Erstmal Infos einholen

Als ich mir noch nicht sicher war, ob es Architektur, Biologie oder doch irgendetwas mit Sport werden sollte, besuchten wir mit unserer Schulklasse die „Hochschulinformationstage“ an der Leibniz Universität Hannover. Im Vorfeld konnte man sich eine Art Vorlesungsplan zusammenstellen. Die Vorstellungen, die mich interessierten, fielen natürlich fast alle auf den gleichen Zeitraum. 

Zuerst war die Vorstellung der Studienfächer im Bereich Sport dran. „Hier bei uns kann man Sport nur bis zum Bachelor studieren und weiterführend nur auf Lehramt in der Kombination mit einem Hauptfach.“ So oder so ähnlich war die Aussage und ich dachte nur: Tolle Wurst, das hatte ich eigentlich nicht vor. Also wenn, dann wo anders. So ging ich früher aus der Veranstaltung raus, rüber zu den Architekt*innen.

Die Vorstellung hatte bereits vor zwei Minuten begonnen, aber ich schien nichts verpasst zu haben und setzte mich relativ weit hinten in den Audimax. Die Veranstaltung war sehr gut besucht. Das Erste, was ich mitbekam: „…Ja, also ich bin Herr Sowieso, mein Kollege vom Fachbereich Architektur ist leider verhindert. Deswegen bin ich heute zur Vertretung hier. Ich bin kein Architekt, sondern Bauingenieur und halte eine Professur im…“ 

Mein erster Gedanke: Warum? Gab es nur einen Architekten an der Uni? Hinzu kam, dass der Herr nicht nur nicht aus dem Studienfach war, für das sich hier alle interessierten. Nein, er schilderte, bzw. verurteilte er gar das Studium, das Berufsbild und das Verhältnis zwischen Architekt*innen und Bauingenieur*innen so scharf, wie ich es danach nie wieder in meinem Leben erlebt habe. Keine Ahnung, ob die Uni die Bewerbungszahl drücken wollte – falls ja, dann haben sie es bestimmt geschafft. Ich habe mich nicht davon abhalten lassen, aber Hannover ist es dann (zum Glück?!) nicht geworden.

Das Studium beginnt

Ein Jahr später, der erste Donnerstag im Studium. Ich weiß es noch, als wäre es gestern gewesen. Wir saßen in unserem ersten Entwurfskurs, bei dem 20 bis 25 Studierende einem Professor bzw. einer Professorin zugeordnet wurden. Unsere Professorin stellte sich und ihre beiden Tutoren vor und erklärte, was wir dieses Semester so vorhatten. In unserer ersten Übung sollten wir etwas zeichnen, dass wir mit Architektur verbinden und dass uns zum Architekturstudium gebracht hat. Nur mit Bleistift. 

Letztendlich ging es auch nur darum, das Gekrakel zu präsentieren, zu vermitteln und zu erklären. Ich weiß jedoch noch, dass ich jede Menge unterschiedliche Formen und Kubaturen mit unterschiedlichen Schraffen und Texturen zeichnete. 

Als ich endlich dran war, erklärte ich, dass mir das Gestalten mit Form und Farbe viel Spaß macht und ich mich für den Umgang mit unterschiedlichsten Materialien und Texturen interessiere. Daraufhin fragte mich die Professorin: „Warum studierst du dann nicht Innenarchitektur?“ Ich hatte tatsächlich mit dem Gedanken gespielt. Doch ich war mir nicht sicher, wo meine Reise hingehen würde. Sie auch nicht, denn daraufhin begann sie zu erklären, wie viele es nicht schaffen, in ein anderes Studienfach wechseln oder nach dem Studium einfach nie in diesem Bereich arbeiten würden. Ich sagte ihr: „…weil ich mit diesem Studium hinterher alles machen kann.“ 

Verzerrtes Berufsbild

Im Laufe des Studiums merkte ich immer wieder, wie unklar das Berufsbild des Architekten bzw. der Architektin gegenüber Außenstehenden zu sein schien: „Boah, da musst du ja richtig gut in Mathe sein!“ Ähm, ne nicht unbedingt. In der Schule habe ich mich gerade so durch den Mathe-Leistungskurs gekämpft und unser Professor für Tragwerksentwurf meinte immer: „Erzählt bloß nicht, dass wir hier Mathematik machen.“ Der Nächste: „Boah, dann musst du ja richtig gut malen können.“ Geht so. Wenn ich einen Pinsel in die Hand nehme, sieht es immer noch so aus wie in der vierten Klasse. Aber Zeichnen – das müssen wir. Die ersten zwei Semester, danach (leider) nur noch Skizzen für erste Ideen. So gab es auch noch andere Punkte, auf die das Berufsbild immer wieder beschränkt wurde. Ab und an brachte mich das auch zum Zweifeln. Musste ich das wirklich alles perfekt beherrschen?

Zum Ende meines Studiums redete ich mit einem Kumpel, auf dessen Meinung ich viel gebe und der etwas ganz anderes studierte, darüber, dass ich nicht wusste, in welchem Bereich ich mich spezialisieren sollte. Ich erklärte ihm, egal was ich anfange, ich kriege es hin, ich mache es gut und es macht mir Spaß, aber als Spezialist würde ich mich nicht bezeichnen. Alles zu können, sprich, ein, nach meiner damaligen Definition, Generalist zu sein, schien mir beim Arbeitsumfang und der Schnelllebigkeit kaum vorteilhaft. Er bestätigte mich darin, mich zu spezialisieren. In seiner Branche wäre auch der einzige Weg, gutes Geld zu verdienen, wenn man sich als Spezialist verkauft. Ich wollte aber nicht nur das eine oder nur das andere. 

Generalist oder Taucher?

Das Studium endlich hinter mir gelassen, las ich auf Bali in unserer Elternzeit mit Alma nichtsahnend das Buch „Das Café am Rande der Welt“ von John Strelecky. Hier wurde schön der Unterschied zwischen einem Generalisten und einem Taucher erörtert. Der Autor beschreibt den Taucher als jemanden, der einer Aufgabe seine vollkommende Aufmerksamkeit schenkt und alles andere links und rechts ausblendet. Er taucht voll und ganz ein. Ein Spezialist par excellence. Der Generalist hingegeben kann sich in viele unterschiedliche Dinge einarbeiten und taucht dabei oft unterschiedlich tief ein, bevor er zum nächsten Themengebiet übergeht bzw. übergehen kann. Er ist somit oft ein Spezialist auf Zeit.

Lange ließ ich diese Erkenntnis links liegen. Bis zu diesem Frühjahr, als wir im Büro darüber redeten, dass schon wieder die nächsten Verordnungen und Normen für kommende Projekte in der Pipeline sind, noch bevor sich Planer*innen, Hersteller*innen und Handwerker*innen darauf einstellen konnten. Nachdem wir ewig die Bürokratie durchgewälzt hatten, immer wieder zwischen dem Telefon, dem Zeichenprogramm, Outlook und den auszufüllenden Formularen hin und her gesprungen waren, sagte ein geschätzter Kollege mit deutlich mehr Berufserfahrung zu mir; „Heute haben wir mal wieder gelernt: Mit unserem Beruf gehören wir zu den letzten Generalisten.“ Ich schmunzelte und hatte das erste Mal das Gefühl, zu verstehen, was er da gerade gesagt hatte und stimmte ihm zu.