geschrieben von Alina Pelling
Das Babyphone ist an. Wir sitzen mit Kuschelsocken und Flanellpyjama vor dem Fernseher, als der Sprecher der Naturdoku bedeutungsschwanger raunt „Das antarktische Plateau. Der trockenste Ort der Erde“. Ich grinse in die Richtung meines Freundes: „Ich dachte das sei ich!“
Zum Glück können wir drüber lachen. Darüber, dass wir – seit unser zweites Kind vor fünf Monaten auf die Welt kam – nur zweimal Sex hatten. Wir lachen kurz, dann schauen wir wieder in Trance auf unsere Handys und scrollen uns, mit genügend Körperabstand auf dem Sofa, durch die kunterbunte Social-Media-Welt. Selbst die Zimtschneckenglasur einer Userin sind gerade spannender als mein Liebesleben.
Ich habe einfach keinen Bock mehr auf Bumsen. Kein. Bisschen. Bock.
Dabei laufen Brüste nicht mehr bei jeder Umarmung aus und ich habe auch keine Geburtsverletzungen mehr. Wie der schläfrige Maulwurf im Buch meines Sohnes haben sich sogar meine Hämorrhoiden wieder nach innen verkrochen. Die Kids gehen gleichzeitig ins Bett, der Stillabstand ist kalkulierbar. Jegliche Ausreden, die wir uns vorher wie einen schützenden Regenmantel umwerfen konnten, gelten nicht mehr. Ich will einfach nicht. Bitte nicht. Nein. Komm, steck deinen Penis wieder ein!
Das Einzige, was ich mir unten reinschiebe, ist mein Beckenbodentrainer
Ich möchte nicht fummeln, ich möchte eine Badewanne während ich Gilmore Girls gucke. Ich will nicht 69, ich will Beverly Hills 90210. Ich möchte nicht nackt sein, ich möchte mich in meiner Jogginghose in die Wolldecke einwickeln. Ich habe keinen Bock, dass du mich fingerst, ich habe Bock auf Kinderriegel aus dem Gefrierfach und Instagram-Reels. Das Einzige, was ich mir gerade regelmäßig unten reinschieben möchte, ist mein Beckenbodentrainer. Schön mit der App verbinden, Beckenboden an- und entspannen und somit Userin „Sabine“ im PingPong schlagen.
Wenn man Schuldige benennen müsste, benennen wollte, wären das wahrscheinlich die lieben Östrogene, die im Keller ne Party schmeißen. Oder eben auskatern. Während ich auf dem Kopf büschelweise Haare verliere, sprießt zwischen den Beinen ein Urwald. Zudem stille ich voll. Das für die Milchbildung zuständige Hormon Prolaktin hemmt sexuelles Verlangen. Alles normal. Alles okay.
Trotzdem plagt mich manchmal das schlechte Gewissen. Wie würde es mir gehen, wären die Rollen mit meinem Partner vertauscht? Was würde ich fühlen, wenn mein Freund von mir verlangen würde, mein Verlangen zu zügeln? Ich würde mich vermutlich unbegehrt fühlen und irgendwie auch ungeliebt. Ich würde zumindest versuchen, meinen Freund zum Kuscheln zu überreden. Aber selbst darauf habe ich keine Lust. Ich habe tagsüber schon ein Baby in der Trage und ein Kleinkind, das mich an meinem Bein zur Schaukel zerren will. Sobald das Rollo im Kinderzimmer runtergezogen wird, möchte ich meinen Körper für mich. Ich vermisse ihn. Nur er & ich. Bis ans Ende der Welt, beziehungsweise bis die nächste Stillmahlzeit kommt und sich winzige Hände in meine Brüste krallen.
Meine Nippel, mein Baby & ich
Das ist auch ein Downer. Früher waren meine Nippel das allerschnellste Streichholz: einmal berühren und der Ofen war an. Nun sind sie desensibilisiert, sie sind Futter- und Trostwerkzeug. Sie sind die Verbindung zu meinem süßen Baby. Meine Nippel stehen nun auf eine komplett andere Art und Weise für Liebe und Intimität. Berührt mein Freund nun meine Brüste spüre ich eine minimale Abwehrreaktion. Als würde er sich in etwas einmischen, bei dem er nichts zu suchen hat.
Meine sexuelle Unlust ist nicht mal neutral, sie geht sogar in den Minusbereich. Früher habe ich im Schwimmbad gerne die Beulen in männlichen Badebüchsen ausgecheckt, habe neugierig geguckt, ob Links- oder Rechtsträger, habe fantasiert, wen ich in die Umkleidekabine zerren würde und wen nicht. Wenn ich heute im warmen Babybecken mit Gießkanne sitze und Männer an mir vorbeigehen sehe, möchte ich beim Anblick ihrer Beulen gerne mit den Augen rollen.
Was würde mein 12-jähriges Ich denken – das manisch mit ihrem Pandakuscheltier auf Aaron Carter masturbiert hat – würde ich ihr erzählen, dass mich nun schon verpackte Penisse nerven und mein Vibrator in einem Schrank weit weg vom Schlafzimmer lagert, weil sich in der Schublade am Bett nun Periodenschlüppis wegen des Ausflusses stapeln?
Sexpartner vs. WG-Mitbewohner
Manche Psychologen sagen, Sexualität sei wie der Kleber, der die Liebe auch in schlechten Zeiten zusammenhält. Nicht wegen der Lust, sondern wegen der körperlichen Intimität, der Nähe. Das erzähle ich einer Freundin auf dem Spielplatz. „Ich habe überhaupt nicht das Gefühl, dass wir schlechte Zeiten durchleben“, sage ich. Einfach nur sehr trockene, so wie in der Antarktis. Meine Freundin sagt, dass sei nach einem Kind ganz normal, manche nennen es die „WG-Phase“. Wenn aus einer Liebesbeziehung plötzlich eine freundschaftliche Zweckgemeinschaft entsteht, die alles rund um den Nachwuchs organisieren muss. Zumindest zeitweise.
Ich muss bei dem WG-Vergleich sehr schmunzeln.
Der Vater meiner Kinder war früher mein Mitbewohner.
Wir waren in der Studienzeit die besten Freunde, bevor wir miteinander bumsten.
Und dort werden wir auch irgendwann wieder landen: im Bett.
Ganz ohne Jogginghose.
Ohne irgendwas.
Irgendwann wieder.
Vielleicht hat er danach Bock auf eine Folge Gilmore Girls.