Wie sieht es hinter verschlossenen Türen aus? Sie sind das Bindeglied zwischen Mietern und Verwaltung – und sehen so manchen Abgrund, Glücksmoment und Skurrilitäten. Mein Papa, Hausmeister im sozialen Brennpunkt, packt aus.

Seit sechzehn Jahren ist mein Papa Hausmeister in Bremen. 155 Wohnungen. 155 Geschichten. Und viele, viele mehr. In ein paar Geschichten darf er blättern, nur wenige Seiten, ein paar Zeilen. Ich höre ihm nur allzu gern zu, wenn er wieder aus seinem Alltag im sozialen Brennpunkt erzählt. Geschichten aus den Hochhäusern, in denen er hinter fremde Türen schaut, um Heizungsthermostate zu wechseln, Wasserhähne zu reparieren, einen Türzylinder auszubauen oder eben mit der Polizei zu kommunizieren, dass in Wohnung Nr. 123 eine Leiche vermutet wird.

Es sind Geschichten von Bumsbuden. Ich meine so richtige Bumsbuden. Ein Mieter ist zum Beispiel krebserkrankt nach Russland ausgewandert und hat seine Wohnung nicht abgemeldet. Da der Briefkasten jedoch regelmäßig geleert wurde, rochen mein Vater und seine Kollegen aber den Braten. Naja, zumindest einen Braten. Den hätten sie wohl nicht vermutet. Denn ein Freund des Mieters, der anscheinend die Schlüssel besaß, hat die verlassenen Räume als Sex-Apartment eingerichtet. Mein Papa fand das Bett voller Rosenblätter, die Anrichte voller Dessous und auf dem Tisch lagen erotische Spielzeuge wie Handschellen und Gutscheinkarten à la „Du darfst mich oral befriedigen“. Alles, was nicht zum Sex zu gebrauchen war, hatte der Freund des Mieters in eine Abstellkammer gequetscht. Im Nachhinein hat der Verführer gebeichtet, dass er das Liebesnest für eine Affäre mit einer verheirateten Frau eingerichtet hat.

Als die Einsatzkräfte die Wohnung stürmten, warfen sie Blendgranaten

Für Verwirrung sorgte auch eine Mieterin im 12. Stock. Die ältere Dame rief Polizei und Feuerwehr an, weil sie beklaut wurde. Verbrecher seien in ihre Wohnung eingedrungen, hätten Sachen geklaut und Möbel umgestellt. Sofort rückten die Beamten an. Vor Ort war klar: Andere Mieter im Treppenhaus hatten nicht abgeschlossen. Die Dame war dement und in die falsche Wohnung gestolpert.

Sowieso hat mein Papa engen Kontakt mit der Polizei. Einmal rückte das SEK an, weil ein vermeintlicher Täter nicht zu seinem Gerichtstermin erschien. Ein anderes Mal verschanzten sich Verbrecher in einer leerstehenden Wohnung, die Komplizen vermittelt hatten. Die beiden Ganoven waren vorher in einer Entführung verwickelt. Tagelang hatte die Kripo in ziviler Tarnung die Ein-und Ausgänge beobachtet und meinen Papa nach den Gegebenheiten ausgefragt. Als die Einsatzkräfte die Wohnung stürmten, warfen sie Blendgranaten. Mein Papa musste danach erklären, wie die Rauchwarnmelder abgeschaltet werden.

Das SEK ist in seinem Wohnblock auch schon einmal mit dem Rammbock angerückt. Ein Jugendlicher, der auf die schiefe Bahn geraten und unter anderem Rauschgift verfallen war, ist regelmäßig ausgerastet und hat das Haus terrorisiert. Dabei zertrümmerte er die Schalttafel des Aufzugs mit einem Hammer. Nachdem die Verwaltung den Aufzug wieder repariert hatte, kloppte er wieder zu. Das Ganze wiederholte sich dann öfter. Nicht einmal. Nicht zweimal. Ganze sechsmal. Die Mieter im 15. Stock hatten keine gute Zeit.

Licht, Kamera, Action!

Manchmal wird auch Polizei gespielt – wie bei Dreharbeitern einer berühmten deutschen Krimiserie. Die Hochhäuser sind beliebte Drehorte, wenn die Umgebung nach einem sozial schwachen Milieu ausschauen soll. Die Produktionsfirma zahlt Mietern dann eine kleine Pauschale, damit diese ihre Wohnung für ein paar Tage verlassen. Für jene Krimifolge gefiel dem Regisseur aber die Farbe des Treppenhauses nicht. Es solle doch bitte in einer anderen Farbe gestrichen werden. 

Der Höhepunkt aber war der Umbau des Kinderzimmers: Es wurde zum Badezimmer. War drehtechnisch praktischer für das TV-Team. Also wurde das Kinderzimmer ausgeräumt, gefliest, und durch die Wand gebohrt, um Strom- und Wasserleitungen zu legen. Für eine(!) Szene wurde also die Requisiten-Badewanne geflutet und danach wieder mit Eimern in den Küchenabfluss entleert. Schließlich gab es im eigentlichen Kinderzimmer natürlich keinen Abfluss. Nach den Drehtagen wurde das Zimmer wieder in seinen Ursprungszustand renoviert. Mein Papa wird Krimis nie wieder mit denselben Augen schauen.

Massenweise Mieter in Schlüppern

Generell haben die Augen meines Vaters viel gesehen: massenweise Mieter in Schlüppern. Wohnungen, die so verqualmt sind, „dass der Rauchwarnmelder gleich auslösen müsste“. Verklebte Kochherde, Messie-Wohnungen, Computer-Bildschirme, auf denen noch eine Webseite aufgerufen ist, auf der Waffen zu kaufen sind. Ohne Witz. Klingt komisch und nach Klischee, ist aber so.  

Einmal hat er eine Wohnung geöffnet, die bestialisch nach Müll und Muff roch. Das Geschirr stapelte sich, zusammengeschweißt von eingetrocknetem Fett. Tausende von Fliegen belagerten die Räume. Nachbarn hatten sich bei meinem Vater gemeldet, weil die Insekten über den Lüftungsschacht bereits bei anderen Mietern in die Wohnungen flogen.

Natürlich gibt es auch Geschichten zum Schmunzeln. Als eine Mutter erbost anruft, weil es ja wohl nicht sein kann, dass ein Laubbläser morgens um 7:30 Uhr schon Lärm macht. Es seien schließlich Schulferien, und die Kinder müssten doch mal ausschlafen dürfen. Oder eine Omi, die sich monatlich meldet, um stolz die Summe durchzugeben, die nun im Spartopf liegt. Denn sie wünscht sich eine neue Küche. Oder ein verzweifelter Vater, der nur kurz auf dem Balkon eine rauchen wollte, vom Kleinkind ausgesperrt wird und dann bibbernd im Regen steht.

Meine Lieblingsgeschichte aber bleibt das Bier-Klo: Ein Mann ruft an, weil seine Toilette verstopft ist. Klempner finden kurioserweise eine Becks-Bierflasche im sogenannten „Knie“, also im hinteren gebogenen Teil des Abflusses. „Das kann nicht meine sein“, entgegnet der Mieter, „ich trinke nur Astra!“