Das trügerisch gute Gefühl

Marie Kondo macht es vor: Does it spark joy? Nein? Dann bitte aussortieren. Und das Aussortieren funktioniert gleich noch viel besser, wenn man die Kleiderstücke, die einem selbst keine Freude mehr bereiten und die im eigenen Schrank keinen Platz mehr haben, weitergeben kann. Weitergeben an Menschen, die sich darüber freuen und denen wir damit helfen können.

Die Kleidung wird deshalb mit ziemlich gutem Gefühl, wenig Trennungsschmerz und einem trügerisch heldenhaften Selbstbild in einen Altkleidercontainer geworfen. Schuhe paarweise zusammengeschnürt, Hosen und Pullover ordentlich gefaltet, alles säuberlich gewaschen und in eine große Tüte gepackt. Da hat man jetzt aber wirklich was Gutes getan. Minimalismus und Nächstenliebe. Kann es so einfach sein?

Langjährige Kritik an der Altkleiderspende

Ist es natürlich nicht, denn schon seit Beginn der 1990er wird immer wieder Kritik bezüglich der Altkleiderspende in Deutschland geäußert. Ein Kritikpunkt war und ist, dass ein Großteil der gespendeten Kleidung an gewerbliche Textilverwerter weiterverkauft und damit zur Handelsware wird. Ein weiterer Kritikpunkt ist die fehlende Transparenz bezüglich der zugehörigen Organisation, deren Logo auf dem Altkleidercontainer zu sehen ist.

Denn oftmals ist es eben nicht die auf dem Container abgebildete oder beworbene Organisation, die die Kleidung weiterverwenden. Auch nicht der kirchliche Träger, der damit wirbt. Stattdessen wird lediglich der Name oder das Logo des Trägers an gewerbliche Sammelfirmen vermietet. Diese erschleichen sich somit einen gewissen Vertrauensvorsprung. Es fehlt, ganz klar, die Transparenz. Und genau aus diesem Grund wurde bereits 1994 FairWertung e.V., der Dachverband gemeinnütziger Kleidersammler*innen und bestehend aus 115 gemeinnützigen und kirchennahen Organisationen, gegründet.

FairWertung e.V.

Laut FairWertung e.V. sortieren deutsche Haushalte jährlich mehr als 1,5 Milliarden Textilen aus. Das sind circa 1 Million Tonnen Altkleider, die in Altkleidercontainer oder Sammlungen abgegeben werden. Die Hauptmotivationen dieser Spenden dürften dabei meist eine der folgenden sein: etwas Gutes tun mit etwas, das man selbst nicht mehr braucht, Platz für Neues schaffen und der relativ geringe Aufwand, seine alte Kleidung so ganz einfach zu entsorgen. Deshalb findet sich auf der Webseite der FairWertung e.V. folgender und wichtiger Hinweis:

Eine (Kleider-)Spende darf keine Entsorgung sein! Eine Kleiderspende dient der Unterstützung sozialer Arbeit und Ziele. Leider werden Altkleidercontainer immer häufiger zur illegalen Müllentsorgung missbraucht. Dies stellt nicht nur für die entleerenden Teams eine Zumutung dar, sondern auch eine erhebliche Kosten- und Arbeitsbelastung für die sammelnden Organisationen. Entsorgen Sie Ihren Müll sachgerecht und nicht in Kleidersammlungen von gemeinnützigen Sammlern. Vielen Dank!

Etwa die Hälfte der Altkleider, die gespendet werden, sind nicht mehr tragbar. Sie sind stark beschädigt, verschmutzt oder schlichtweg gar keine Kleidung. Diese Materialien landen dann entweder tatsächlich im Müll oder werden zu Dachpappe, Dämmmaterial oder Putzlappen verarbeitet.

Export in andere Länder

Die Sachen, die tragbar sind, werden zum Großteil an Textilsortierbetriebe verkauft. Dort werden sie nach Artikel und Qualität geprüft und landen letztendlich in Afrika, Osteuropa, im Nahen Osten oder auch Asien. Der Grund: Nur ein Bruchteil der gespendeten Kleidung wird in Deutschland tatsächlich benötigt. Und dann landet die Kleidung dort, wo sie am dringendsten benötigt werden? Leider nein. Die Gebrauchtkleider gehen vorrangig in die Länder, die zahlungsfähig sind. Da spielt Bedürftigkeit eine untergeordnete Rolle. So sind die Altkleiderimporte des Kongos beispielsweise sehr gering, obwohl es dort Millionen Binnenflüchtlinge gibt.

Ob der Import von Gebrauchtkleidung die lokale Wirtschaft in an europäischen Standards gemessenen armen, aber bitte doch zahlungsfähigen Ländern nachhaltig schadet, ist schwierig zu beantworten. Es gibt verschiedene Aspekte zu beachten. Durch den Import entstehen neue Arbeitsplätze, bei den Sortierbetrieben, beim Transport und im Handel. Aber gleichzeitig verdrängt es die lokale Textilindustrie und damit auch wieder lokale Arbeitsplätze. Um die heimische Wirtschaft zu stärken, hat das ostafrikanische Land Ruanda im Jahr 2016 die Zölle für die Einfuhr gebrauchter Kleider verzwölffacht. Und für den Import von Second-Hand-Schuhen werden zehnmal so hohe Zölle fällig wie zuvor.

Eine Alternative: Lokal spenden

Eine bessere Alternative zu den Altkleidercontainern ist es, lokal zu spenden. Wichtig ist, vorher nachzufragen, was tatsächlich gebraucht wird. Eine sehr hilfreiche Plattform ist dabei beispielsweise „Wohin damit?“. Dort werden soziale Einrichtungen für mögliche Sachspenden nach der gesuchten Postleitzahl aufgelistet.

Ein wenig Recherche hilft hier oft noch weiter. Denn womöglich existieren Kleiderkammern in der Nachbarschaft, von denen ihr vielleicht noch gar nichts wusstet. Kleiderkammern oder auch sogenannte Fair-Kaufhäuser geben die Textilien und andere Sachgestände kostenlos oder für wenig Geld direkt an bedürftige Menschen vor Ort weiter. Soziale Einrichtungen wie die Arbeiterwohlfahrt (AWO), Johanniter, Malteser, Unterkünfte für Geflüchtete, Bahnhofsmissionen und Kirchen sind ebenfalls potentielle Anlaufstellen für eure gut erhaltene Kleidung und weitere Sachspenden.

Auch hier gilt: Soziale Einrichtungen sind ebenso wie die Altkleidercontainer keine Entsorgungsstelle für abgetragene und unbrauchbare Dinge. Die Antwort auf die Frage „Würde ich diese Ware selbst kaufen oder tragen?“, sollte ein hilfreiches Qualitätskriterium für die angedachte Sachspende sein.

Tatsächlich wird einem beim genauen Betrachten der eigenen Kleidung oft bewusst, wie abgetragen die einzelnen Kleidungsstücke schon sind und dass man dafür bestimmt äußerst wenig bis kein Geld bekommen würde. Und dass das Spenden dieser Kleidung deshalb oft ein seltsamer Akt ist, der die eigenen Privilegien so unmittelbar klarmacht. Nach dem Motto: Für mich und Menschen aus meinem Dunstkreis nicht mehr gut genug, für die Menschen in xy wird es aber schon reichen.

Weitere Alternative: Weniger kaufen, mehr wiederverkaufen

Eine weitere und meiner Meinung nach sehr gute Alternative zu der ganzen verzwickten Kleiderfrage ist der Drei-Punkte-Plan. 1) Selbst weniger konsumieren. 2) Unerwünschtes oder wenig Getragenes weiterverkaufen. 3) Verkaufswert spenden. Denn es liegt ja auf der Hand, dass es das Beste ist, selbst weniger zu konsumieren. Ganz klar, das spart Ressourcen und schont die Umwelt. Und wenn der Kleiderschrank dann in regelmäßigen oder unregelmäßigen Abständen ausgemistet wird, dann verkaufe deine Kleidung direkt über ebay, Vinted oder auf dem Flohmarkt und spende das erwirtschaftete Geld an eine kosteneffiziente Wohltätigkeitsorganisation.

Klingt erstmal recht unempathisch und sehr analytisch. Doch solche Entscheidungen bringen laut britischem Philosophen William MacAskill die größtmögliche Verbesserung. Wie MacAskill in seinem sehr lesenswerten Sachbuch „Wie wir mit effektivem Altruismus die Welt verändern können” ausführlich erläutert, ist die Spende an eine Hilfsorganisation die effektivste und wirksamste Hilfe. Zum Beispiel Deworm the World, die sich darauf spezialisiert hat, Kinder weltweit vor parasitären Würmern zu schützen. Weitere kosteneffiziente Organisation findet ihr hier.

Beispiel: 15 Euro für 17 entwurmte Kinder

Konkretes Beispiel dafür: Ihr verkauft einen gut erhaltenen Pulli auf Vinted, anstatt ihn in die Altkleiderspende zu geben. Dafür kassiert ihr noch 15 Euro, die ihr an Deworm the World spendet. Davon können etwa 17 Kinder entwurmt und so die von parasitären Würmern verursachten und völlig vermeidbaren Gesundheitsprobleme vermieden werden. Nach Schätzungen der WHO sind weltweit etwa 240 Millionen Menschen mit der Wurmerkrankung Schistosomiasis infiziert. Jährlich gibt es mehr als 20.000 Todesfälle. Bei der Wurmerkrankung Helminthiasis geht man sogar von 1,5 Milliarden Infizierten und bis zu 135.000 Menschen pro Jahr aus, die an den Folgen einer Infektion sterben.

Auch bei einem nicht tödlichen Verlauf können die Auswirkungen auf die Gesundheit schmerzhaft und gravierend sein. Kinder leiden besonders stark darunter, da ihre körperliche Entwicklung massiv beeinträchtigt wird. So können die Wurmerkrankungen zu Unterernährung und Vitaminmangel führen, was wiederum Wachstumsstörungen und Blutarmut zur Folge haben kann. Durch chronische Immunreaktionen erhöht sich zudem die Anfälligkeit für andere Infektionen. Der Wurmbefall hat also massive Auswirkungen auf ihre Gesundheit und ihr gesamtes Leben.

MacAskill argumentiert nun so: Das Spenden der 15 Euro für 17 entwurmte Kinder ist effektiver als das Weitergeben eines Kleidungsstücks, das der Empfänger oder die Empfängerin tragen kann. Mit den 15 Euro kann mehr Menschen effektiver geholfen werden.

Eben (noch) besser Gutes tun.

Quellen und Links zum Weiterlesen

FairWertung e.V.

Der Altkleider-Wahnsinn: Mit Spenden Schlechtes tun

Die Nordreportage: Die Altkleider-Flut

Deworm the World

GiveWell

William MacAskill – „Gutes besser tun: Wie wir mit effektivem Altruismus die Welt verändern können”