geschrieben von Anna Aumüller

Hier liege ich also, auf einer moosgrünen Yogamatte, das Licht über mir irgendwie zu hell. Ich soll mich entspannen, meinen Körper fühlen und dabei nichts denken. Klappt ja schon mal nicht… MBSR heißt das, was ich tue – Mindfulness Based Stress Reduction. Oder zumindest das, wozu ich mich angemeldet habe. Stressreduktion durch Achtsamkeit. Im Moment sein. Im Hier und Jetzt, dort wo das Lebe stattfindet. Nicht beim gestrigen Elternabend, nicht bei der nächsten Wäsche oder dem Impftermin von morgen. Noch nicht einmal im heute, sondern nur im JETZT.

Nach dem hellen Gong der Klangschale und einer Minute des Schweigens dann die obligatorische Vorstellungsrunde und die Frage, wieso wir hier sind. Ja, wieso eigentlich… Weil ich als Mama von zwei Kleinkindern ständig im Außen bin und die Verbindung zu meinem Inneren verloren habe. Weil es immer um die Bedürfnisse der anderen geht und ich meine eigenen gar nicht mehr wahrnehme. Und wenn ich sie doch spüre, dann ignoriere ich sie meistens. Weil ich mir keine Zeit für mich nehme und wenn doch, sie dann nicht genießen kann.

Ich kann nicht abschalten. Ständig einhundertdreiundsiebzig Positionen auf der To-Do-Liste. Von der 10er Yogakarte zum letzten Geburtstag (natürlich online-Yoga – bloß nicht zu Hause fehlen!) habe ich bisher nur eine Stunde wahrgenommen. Und das war die gratis Schnupperstunde. Wenn ich Podcasts höre, solange das Kind schläft, dann nur mit einer Seite des Kopfhörers, damit das andere Ohr noch das Babyphone checken kann. Volle Konzentration nur auf mich gibt es in meinem Leben nicht mehr. Und alles, was ich tue, geschieht in dem Wissen, jederzeit unterbrochen werden zu können.

Volle Konzentration auf mich

Aber jetzt, jetzt liege ich hier. Volle Konzentration auf mich. Bekomme ich natürlich nicht hin, aber hier gilt: alles kann, nichts muss. „So, wie es euch heute möglich ist, ist es gut“, sagt die Kursleiterin immer wieder. Sie sieht genauso aus, wie ich sie mir vorgestellt habe. Eine ruhige angenehme Frau in ihren Sechzigern mit langen grauen Haaren, welche sie zu einem lockeren Pferdeschwanz gebunden hat. Ihr Lächeln ist groß und herzlich und auf jede geteilte Erfahrung einer Teilnehmerin (ja, nur Frauen!) antwortet sie mit einem demütigen DANKE. Gekleidet ist sie in erdigen Rot- und Orangetönen, welche sie mit gedeckten Grüntönen kombiniert hat – irgendwo zwischen Wolle und Filz. An ihr ist nichts in irgendwelchen Spiri-Sphären abgehoben, sie wirkt sehr bodenständig. Das gefällt mir, denn ich fühle mich bei ihr aufgehoben.

Wir spüren in uns rein

Wir machen ein paar Atem- und Yogaübungen, spüren in uns rein. Nichts, was ich noch nie gehört oder getan hätte, aber dennoch tut es gut. Wie wir uns gerade fühlen, ist die Einstiegsfrage. Was soll ich sagen? Gestresst! Ja, gestresst – gepaart mit dem Gefühl, sich von diesem Stress jetzt lösen zu wollen. Als ich mich abgehetzt auf die moosgrüne Matte setze, ist es halb sieben abends. Keine Zeit, die für mich ein stressfreies Loskommen von zu Hause bedeutet.

Damit das überhaupt klappt, muss mein Mann früher aus dem Büro nach Hause kommen. Auf seinem Rückweg darf es keinen Stau geben, sonst ist das ganze Konstrukt sowieso im Eimer – wer zum Feierabend schon mal aus dem Stuttgarter Kessel gefahren ist, der weiß, dass das fast ein Ding der Unmöglichkeit ist. Ich selbst bin mit zwei müden und hungrigen Kindern noch auf dem Rückweg von Kindersport, Musikschule oder Spielplatz. Mein Blick ständig auf der Uhr, während die Nerven bei mir und den Kindern längst überstrapaziert sind.

Los gehts in drei Stunden Stressreduktion

Endlich übernimmt der Papa, etwas zu spät, aber nicht viel. Ich hetze los, eigentlich wollte ich noch eine Jogginghose anziehen, aber egal – so unbequem ist die Jeans von heute auch nicht. Im Auto stopfe ich mir einhändig ein kaltes Stück Zwiebelkuchen vom Bäcker rein – ziemlich sicher das genau Gegenteil von Achtsamkeit. Noch schnell einen Kaugummi hinterhergeschoben für den Atem und los gehts in drei Stunden Stressreduktion.

Es wird mich vor eine Herausforderung stellen

Irgendwann während dieser drei Stunden liegt vor mir eine Rosine. Ein Stück runzeliges verdörrtes Obst, klein und hässlich – ziemlich unscheinbar. Diesem dunklen Ding widmen wir uns jetzt. Wir sollen es anschauen, jedes kleinste Detail begutachten. Wir sollen es fühlen und dabei unsere eigenen Emotionen wahrnehmen. Welche Erinnerungen löst diese Rosine in uns aus? Spüren wir eine Abneigung oder Verwunderung? Wie riecht das faltige Etwas und was macht es mit uns? Wie hört sich eine Rosine an? Diese Frage konnte ich bis zu diesem Abend tatsächlich nicht beantworten. Eine scheinbar lächerliche Aufgabe, aber ich kann mich trotzdem darauf einlassen. Zum Schluss essen wir die kleine Rosine genauso achtsam und sollen ab heute täglich eine Mahlzeit achtsam zu uns nehmen. Ich muss an den Zwiebelkuchen von vorhin denken und weiß, es wird mich vor eine Herausforderung stellen.