Wie ich mir Freundschaft mit Kindern vorgestellt habe
Ich hatte eine sehr idealisierte Vorstellung von der Vereinbarkeit von Kindern und Freunden: Meine Freundinnen und ich bekommen alle circa gleichzeitig (klar) unsere Kinder und dann sitzen wir (klar) stundenlang entspannt in Cafés, trinken Cappuccino mit (klar) Hafermilch und quatschen den lieben langen Tag lang. Wir teilen unsere Sorgen, helfen uns gegenseitig und erzählen uns lustige Geschichten und süße Dinge, die unsere zuckersüßen Kindern gesagt haben, während unsere Kids friedlich und entspannt in der Kinderecke des Cafés miteinander spielen. Die sind nämlich (klar) ebenfalls alle die besten Freunde.
Dass so ziemlich alles an dieser Vorstellung naiv ist, war mir natürlich auch schon vor dem Kinderkriegen bewusst und trotzdem habe ich still und heimlich an diesem Idealbild festgehalten.
Mein Idealbild
Mit Freundinnen, von denen ich wusste, dass sie auch gerne jetzt Kinder hätten, habe ich davon geträumt, wie wir zusammen einen Geburtsvorbereitungskurs besuchen und Babysachen shoppen gehen. Bei Freundinnen, die sich dazu noch nicht ganz klar geäußert hatten oder unsicher waren, ob es der richtige Zeitpunkt sei, um Kinder zu bekommen, war ich mir trotzdem sicher, dass sie, sobald eine von uns schwanger wäre, auch schwanger werden wollten. Denn – wart’s mal ab – das wirst du dann auch ganz großartig finden, dachte ich absolut überheblich. Die Vorstellung, dieses Kapitel gemeinsam mit meinen Freundinnen zu beginnen und zu durchlaufen, war einfach zu schön.
Als kinderlose Frau hatte ich schließlich ständig Grüppchen von Frauen und Männern mit Kindern auf dem Spielplatz gesehen. Und wenn sie zusammen auf dem Spielplatz standen, dann würden sie doch bestimmt auch gemeinsam im Café sitzen. Oder im Restaurant. Oder abends alle zusammen kochen und gemeinsam Urlaub machen. Warum sollte das nicht so ablaufen? Und was für mich auch immer klar war: Alle meine Freundinnen würden automatisch irgendwann auch Mütter werden. Was für ein unfassbar naiver und realitätsferner Gedanke, denke ich mir heute.
Eine wird Mutter, die andere (noch) nicht
Gleichzeitig mit einer der besten Freundinnen schwanger zu sein, kommt vor. Wenn du das erlebt hast: lucky you. Ich würde behaupten, sehr viel öfter läuft es so ab: Eine wird schwanger, die andere nicht. Wenn der Kinderwunsch bei der nicht schwangeren Freundin noch nicht allzu lange besteht und sie keine traumatischen und furchtbar traurigen Erfahrungen wie beispielsweise eine Fehlgeburt erlebt hat, ist die Freude auf beiden Seiten riesengroß. Die schwangere Freundin wird mit fortschreitender Schwangerschaft immer runder, der Freundschaft tut das im Idealfall aber keinen Abbruch, denn: Die schwangere Freundin ist trotz Übelkeit, Müdigkeit oder sonstigen negativen Schwangerschaftsbegleiterscheinungen noch sehr frei, hat neben der Arbeit Zeit zur freien Verfügung und trifft sich auch spontan abends zum gemeinsamen Essen und alkoholfreien Cocktail.
Man spricht natürlich immer wieder über die Schwangerschaft, über das ungeborene Kind, wie aufregend und wunderschön das ist. Und das ist es auch. Es ist aufregend und wunderschön und lebensverändernd. Dieser neue Lebensabschnitt, das Mutterwerden und Elternteilsein, verändert Frauen und damit auch soziale Beziehungen und Freundschaften.
Wir verändern uns ein Leben lang
Den Begriff der “Matrescence” oder ”Muttertät” haben wir in diesem Artikel versucht, anschaulich zu definieren. Mit dem Mutterwerden verändern sich Frauen meist in vielen Aspekten und Bereichen – körperlich, zwischenmenschlich, beruflich und psychisch. Diese Veränderung kann man sogar in der Gehirnstruktur nachweisen. Sie sind so deutlich, dass Forscher*innen mindestens zwei Jahre lang allein anhand der Abbildungen von Hirn-Scans mit 100-prozentiger Sicherheit sagen konnten, ob das Gehirn zu einer Mutter gehört oder nicht. Eine ähnlich plastische Umstrukturierung konnte bisher nur in der Pubertät beobachtet werden. Und wir erinnern uns: Auch damals ist in Sachen Freundschaft wahnsinnig viel passiert.
Freundschaften verändern sich ein Leben lang, nicht nur im Teenie-Alter, denn Lebensumstände ändern sich, neue Partner*innen kommen dazu, gehen, es entstehen räumliche Distanzen, Interessen driften auseinander und auch Lebensentwürfe können sich in völlig unterschiedliche Richtungen entwickeln. Und manchmal kommen dann eben auch Kinder dazu.
Freundschaften mit Kindern
Ich behaupte: Es ist für eine tiefe Freundschaft sehr viel einfacher, wenn beide irgendwann Kinder haben. Denn diese Veränderung, die mit dem Leben als Mutter daherkommt, kann selbst ein sehr emphatischer und ebenso reflektierter Mensch nicht in vollem Umfang nachfühlen. Wie man eben alles nicht gänzlich nachempfinden kann, was man nicht selbst erlebt hat.
Ich persönlich habe das Glück, so würde ich es tatsächlich betiteln, dass meine engsten Freundinnen nun alle entweder bereits mindestens ein Kind haben oder aktuell hochschwanger sind. Zwei dieser sehr engen Freundinnen habe ich auch erst mit Kind bzw. dank der Kinder kennenlernen dürfen. Gemeinsamkeiten lassen Menschen automatisch enger zusammenrücken. Und klar, eine gemeinsame Lieblingsautorin oder die geteilte Vorliebe für Urlaub auf Sardinien sind gute Ice-Breaker für’s Kennenlernen und Anfreunden. Das Leben mit Kindern oder vielmehr das Mutterwerden ist aber eine so tiefgreifende Veränderung, die ganz fundamental verbindet.
Gemeinsame Erlebnisse, Gedanken und Sorgen
Der Schlafmangel, die Sorge um das kränkelnde Kind, die Suche nach der passenden Kita, das Gefühl, immer und überall nicht ganz da zu sein und sich stets im Spagat zwischen Menschsein, Muttersein, Arbeitnehmerin-Sein zu befinden – das verbindet. Und ich bin unfassbar dankbar, dass ich all diese Sorgen, Gefühle und Glücksmomente, die mit dem Kinderhaben einhergehen, mit Freundinnen, die auch Kinder haben, teilen kann. Ich stelle mir vor, dass das bei Freundschaften, die sich in diesem Punkt unterscheiden – sprich: eine hat Kinder, die andere nicht – schwierig ist.
Die Frau mit Kindern wird versuchen, viel von sich als Mutter zurückzuhalten, damit sie nicht die Freundin mit Kindern ist, die nur noch über ihre Kinder spricht. Die Frau ohne Kinder wird versuchen, möglichst viele Fragen zu stellen, um die Kinder miteinzubeziehen und die Freundin ”im Gesamtpaket” zu sehen und zu erfahren. Und das stelle ich mir für beide Parteien schwierig vor. Bitte korrigiert mich und teilt eure Erfahrungen dazu. Ich bin aktuell der Meinung, dass es einfacher ist, Freundinnen zu bleiben, wenn beide Mütter werden.
Mutter werden und Freundin bleiben
Natürlich ist die Gemeinsamkeit ”Kind” kein ausreichender Klebstoff für eine tiefe Freundschaft. Es soll auch Freundschaften geben, die sind am Thema Kindererziehung zerbrochen – kann ich mir selbst aber erstmal überhaupt nicht vorstellen. Meine Freundinnen und ich leben dafür in einer zu ähnlichen sozialen Blase und teilen die Ideale bezüglich einer glücklichen und liebevollen Eltern-Kind-Beziehung. Und dass der zweijährige Sohn von Julia Paw Patrol schauen darf, meiner aber nicht, er wiederum nach zwei Minuten vom Tisch aufstehen darf, wenn er keinen Hunger hat, Selmas aber nicht, hat bei uns – bisher – noch zu keinem Zerwürfnis geführt. You do you.
Was mich als Mutter zu Beginn eher beschäftigte, war dieser unüberwindbare Graben zwischen der Freundin, die kinderfrei war, und mir, der frisch gebackenen Mutter, die einerseits ihr Glück kaum fassen konnte, aber auch nicht pausenlos von ihrem Kind erzählen wollte und sich gleichzeitig so wenig wie sie selbst fühlte, aber auch das nicht permanent beklagen wollte. Ich hatte ständig das Gefühl, ich müsste noch ganz die alte Freundin sein, die energiegeladene, vor Tatendrang strotzende und zeitlich flexible, die ich vor dem Kind war.
Spagat zwischen meinen sozialen Rollen
Das hat keine meiner Freundinnen tatsächlich lautstark eingefordert, ich hatte nur das Gefühl, dass das so sein müsse. Dass ich mich als Freundin nicht verändern sollte, damit sich auch an unserer Freundschaft nichts ändert.
Es hat mich am Anfang sehr viel Kraft gekostet, so vehement und verbissen die Rolle weiterzuspielen. Bei der Freundin zum Abendessen unter der Woche zu erscheinen, mit bester Laune und Wein in der Hand, wohlwissend, dass meine Nacht um vier Uhr früh wieder vorbei ist, da mein Sohn ein absoluter Frühaufsteher ist, ich aber trotzdem zur Arbeit muss und am Nachmittag dann die Kinderbetreuung übernehme. Heute weiß ich, dass das nicht geht. Dass ich nicht einfach so weitermachen kann wie zuvor. Mutter zu werden, verändert einen und damit eben auch die sozialen Beziehungen, die man pflegt und wertschätzt. Mir fiel und fällt der Spagat zwischen den sozialen Rollen, die ich innehabe, allerdings auch heute noch nicht leicht.
Mütter- und Freundinnensein
Was es für mich tatsächlich einfacher gemacht hat, ist, dass alle meine engsten Freundinnen heute auch Kinder haben oder hochschwanger sind. Es entspannt mich, zu wissen, dass sie auch weniger Zeit, weniger Nerven, weniger Schlaf zur Verfügung haben und wir deshalb alle im selben Boot sitzen. Dass wir uns gerne sehen würden, gleichzeitig aber keine Ahnung haben, wie, wo und vor allem wann wir das realisieren können. Dass wir natürlich gerne stundenlang am Telefon quatschen würden, das aber in dieser Woche mit Quarantäne, Kleinkind-Bespaßung und Homeoffice definitiv nicht machbar ist.
Das Muttersein ist so ein großer Teil von mir, dass ich unfassbar dankbar bin, diesen Teil und all die dazugehörigen Gefühle, Erfahrungen und Sorgen mit Freundinnen teilen zu können, die diese Gefühle nicht nur verstehen und versuchen, nachzuempfinden, sondern sie eben auch in demselben Ausmaß fühlen. Ebenso braucht eine kinderfreie Frau, vorausgesetzt das Leben ohne Kinder ist selbst gewählt, am besten eine kinderfreie Freundin im Freundeskreis und eine ungewollte kinderlose Frau eben auch eine ungewollt kinderlose Freundin, um den Schmerz und die damit einhergehenden Gefühle teilen zu können. Dieses tiefe Verständnis füreinander – das lässt Frauen in einer Freundschaft noch viel enger zusammenrücken. Und ja, es gibt natürlich noch andere sehr wichtige Faktoren und Themen in einer Freundschaft.
Vollstes Verständnis
Ich glaube dennoch, dass wenige Ereignisse im Leben mehr Gefühle und Veränderungen mit sich bringen als das Kinderkriegen. Wenn man das mit Freundinnen teilen, tatsächlich teilen, kann, dann ist das ein absolutes Glück und eine Bereicherung für die Freundschaft. Und klar, Mütter müssen sich besonders gut organisieren, um Freundinnen zu sein. Die eigenen Ressourcen sind knapper und mit Kindern ist eigentlich nichts planbar. Ich habe eine sehr gute Freundin von mir seit sechs Wochen nicht gesehen; erst war ihr Kind krank, dann war ihre Familie in Quarantäne, dann war ich krank, sie hatte einen wichtigen Arbeitstermin, mein Kind kränkelte, schließlich hatten sie Corona. Telefoniert haben wir zweimal kurz. Und das ist absolut okay.
Wir sind beide Mütter und haben vollstes Verständnis für den unplanbaren Alltag mit Kindern. Das heißt nicht, dass kinderfreie oder kinderlose Freundinnen kein Verständnis haben. Ich bin mir sicher, dass sie ebenfalls verständnisvoll reagieren würden – ich würde mich allerdings viel mehr erklären und versuchen, möglichst schnell einen Ersatztermin zu finden, um meinen guten Willen zu demonstrieren. Und das kostet Kraft. Kraft, die ich als Mutter manchmal nicht habe. Vielleicht ist es deshalb auch nur Selbstschutz, dass ich Freundschaften zu anderen Frauen mit Kindern als einfacher erlebe?