Wie wird es sein, wenn das Baby da ist? Was für eine Mutter werde ich sein? Was für Menschen werden meine Kinder werden? Fragen, die sich vermutlich jede werdende Mutter stellt. Wie es mit der eigenen mentalen Gesundheit nach der Geburt aussieht? Eine Frage, die oft nicht bedacht wird. Das Motto lautet: „Hauptsache, dem Baby geht es gut.“ Dabei ist das Wohl der Mutter genauso wichtig!

Monatelang hat man sich auf das Baby vorbereitet und gefreut. Aber für manche ist ebendiese Vorfreude erst einmal die schönste Freude. Denn für 15 bis 20 Prozent aller Mütter und auch einige Väter sieht der wahr gewordene Traum anders aus: Eine postpartale Depression oder auch Wochenbettdepression – eine Form der Depression, die im Zusammenhang mit der Geburt eines Kindes steht. Erste Anzeichen können bereits während der Schwangerschaft auftreten, aber spätestens bis zu einem Jahr nach der Geburt.

Wichtig ist: Postpartale Depression kann alle treffen, die ein Kind bekommen haben. Alle. Es gibt Einflüsse, die sie bei einigen Personen wahrscheinlicher machen können: psychische Vorerkrankungen bei sich oder in der Familie, Tod der eigenen Mutter im Kindesalter, traumatische Erfahrungen oder ein schwieriger Schwangerschafts- oder Geburtsverlauf. Jedoch muss es solche Risikofaktoren nicht geben. Da ist es genauso wie bei jeder anderen Depression: Sie kann bei Menschen mit Vorerkrankungen oder Traumata entstehen, aber auch die augenscheinlich glücklichsten und privilegiertesten Menschen können darunter leiden. Mentale Gesundheit ist ein Thema für alle.

Der Baby Blues

Der Baby Blues ist nicht dasselbe wie die postpartale Depression. Hier handelt es sich um einen kurzen Zeitraum, meist beginnt es zwischen dem dritten und fünften Tag nach der Geburt und hält höchstens 14 Tage an. Den Blues erfahren rund 50 bis 80 Prozent aller neuen Mütter. Es wird sogar davon ausgegangen, dass beinahe jede neue Mutter zu einem Zeitpunkt kurz nach der Geburt Symptome wie eine unerklärbare Traurigkeit, grundloses Weinen oder Stimmungsschwankungen hat. Die Psychologin Melanie Eckert sagt: „Der Baby Blues beschreibt die emotionale Achterbahnfahrt kurz nach der Geburt, die innerhalb weniger Tage von selbst abklingt. In dieser Zeit ist die Mutter plötzlich angespannt und gereizt. Tränen verdrängen die Glücksgefühle, die Gedanken kreisen um das Wohl des Kindes und die Zukunft.” Das ist aber völlig normal. Das Erlebte muss verarbeitet werden, der neue Lebensabschnitt, auf den sich monatelang vorbereitet wurde, ist nun da. Das kann überwältigen. 

Die Erschöpfung nach den letzten Monaten der Schwangerschaft und der Geburt hemmt bei einigen die Glücksgefühle. Dafür fühlen sich viele dann schuldig – was sie absolut nicht brauchen. Es ist ein plötzlicher Einbruch, das Leben hat eine 180-Grad-Wende von ohne Kind zu mit Kind gemacht. Oder von einem Kind zu nun zwei, etc. – so oder so ist es eine große Veränderung, die nicht zu unterschätzen ist. Und auch die Hormone müssen damit erst einmal klarkommen. Nach diesen zwei Wochen sollten die Glücksgefühle jedoch zurückkehren. Falls die Traurigkeit länger anhalten sollte, kann dies ein Anzeichen für eine entstehende postpartale Depression sein. Dies kann ein schleichender Prozess sein. Und dann wird es ernst.

Diagnose postpartale Depression

Die postpartale Depression tritt im ersten Jahr nach der Geburt auf, bei einigen sogar schon während der Schwangerschaft. Viele wissen nicht, dass es sich bei ihnen darum handelt. Sie schleicht sich meist an und entsteht nicht plötzlich. Es gibt eine Reihe von Symptomen, die typisch sind: Traurigkeit, Antriebslosigkeit, Schlafstörungen und Schlaflosigkeit sowie Appetitlosigkeit, Konzentrationsschwäche und Gereiztheit. Viele empfinden ambivalente und fremde Gefühle gegenüber dem eigenen Kind und zweifeln, ob sie es richtig lieben können. Daraus entstehen Schuldgefühle und Versagensängste, die Mutterrolle nicht erfüllen zu können.

Meist beginnt die Depression zwischen der zweiten und vierten Woche nach der Geburt. Ihren höchsten Punkt erreicht sie oft im dritten Monat nach der Geburt. Das Wochenbett ist dann vorbei und es ist offiziell genügend Zeit verstrichen, dass sich alles etwas eingependelt haben sollte. Viele Mütter fühlen sich allein, auf sich gestellt und in Isolation – und dort verfestigt sich oft die Depression. 

Mit einer Schwangerschaft und der Geburt ändert sich so ziemlich alles – vom Sozialleben, dem Körper, der Karriere und auch der Identität. Außerdem spüren viele Schwangere heutzutage immer mehr Druck, perfekt zu sein und alles problemlos zu balancieren. Wenn das nicht die Realität ist, kann es sich wie ein Versagen anfühlen. Aber das ist es absolut nicht.

Sonderfall postpartale Psychose

Die postpartale Psychose tritt meist in den ersten vier Wochen nach der Geburt auf und ist ein absoluter Notfall. Nur 0,1 bis 0,2 Prozent aller Mütter sind davon betroffen, aber wenn es dazu kommt, muss dringend gehandelt werden. Hier spricht man von Realitätsverlust, Wahnvorstellungen und extremen Stimmungsschwankungen. Diese Situationen bekommen Betroffene und ihre Angehörigen nicht alleine in den Griff. Medikamentöse Behandlung hilft meist schnell, jedoch können Psychotherapien zusätzlich helfen, die Mutter-Kind-Beziehung aufzubauen. Die Wahrscheinlichkeit, dass die postpartale Psychose erneut auftritt, ist bei zuvor Erkrankten leider sehr hoch und liegt bei bis zu 75 Prozent. Daher wird Betroffenen meist von Folgeschwangerschaften abgeraten.

Hilfe

Die Depression ist absolut heilbar – aber nur, wenn sie behandelt wird. Dies geschieht meist durch eine Kombination aus medikamentöser Therapie, Psycho- oder Verhaltenstherapie und wenn möglich noch einer Mutter-Kind-Therapie. Wenn sie nicht behandelt wird, kann es chronisch und sehr gefährlich für die Mutter und das Kind werden.

Hinweis: Der Edinburgh Postnatal Depression Scale (EPDS) ist ein Fragebogen, der kostenlos ausgefüllt werden kann, um selbst zu erkennen, ob es sich eher um Stimmungsschwankungen oder eine Depression handelt. Je nach Ergebnis kann Hilfe gesucht werden. Bereits ein erstes Gespräch mit Angehörigen kann entlasten, danach können die betreuende Hebamme, Gynäkolog*innen oder Psychotherapeut*innen helfen. Außerdem gibt es bestimmte Klinikambulanzen und Eltern-Kind-Beratungszentren.

Falls ihr euch Sorgen macht, Symptome habt oder jemanden kennt, bei der oder dem es Anzeichen für eine postpartale Depression gibt – zögert bitte nicht, euch an jemanden zu wenden und Hilfe zu suchen.

Was können Angehörige tun?

Die postpartale Depression darf nicht nur als eine schlechte Laune der Mutter abgestempelt werden, sondern muss ernst genommen werden. Viele Betroffene trauen sich nicht, nach Hilfe zu fragen oder wissen nicht, wie und ziehen sich zunehmend zurück. Deswegen sollten Angehörige auf das Wohl der Mutter achten, ob sie isst, schläft, etc.

Die erkrankte Camille Mehta erzählt, wie selbst kleine Gedanken und Taten helfen, sich gesehen zu fühlen. Die meisten Menschen fragen nicht, wie es der Mutter geht, sondern fokussieren sich auf das Baby. Ein „Und wie geht es dir?”, erinnerte sie daran, dass sie noch ein eigener Mensch ist und nicht nur eine Mutter, die für ihr Baby funktionieren muss.

Tipp: Betroffene wissen sich selbst oft nicht zu helfen, aber sie wissen, dass sie sich anders fühlen sollten. Dass sie eigentlich glücklich sein sollten und auch möchten. Deswegen helfen Aussagen wie: „Ein Kind ist doch das, was wir wollten” gar nicht, sondern verstärken nur die Schuldgefühle, dies eben nicht zu spüren. Ganz wichtig: Auch Angehörige können sich Hilfe suchen, um ihre Sorgen und Gefühle zu verarbeiten.

Die Autorin Ulrike Schrimpf spricht in ihrem Buch „Wie kann ich dich halten, wenn ich selbst zerbreche?“ von ihrer Überforderung und Angst, allem nicht gerecht zu werden: „…am anstrengendsten [war], dass ich mich immer für alles verantwortlich fühlte. Für jede Missstimmung und jeden Konflikt. Ich hatte stets den Eindruck, ich müsse zwischen allen Bedürfnissen vermitteln und es allen zu jedem Zeitpunkt recht machen.” Deswegen ist die Unterstützung und das Verständnis von Angehörigen so wichtig!

Ende dem Tabu

Depression isoliert. Scham isoliert. Angst isoliert. Und so bleiben Tabus bestehen. Wenn niemand darüber spricht, bleibt mentale Gesundheit ein Tabu. Scham und Angst sind keine Gefühle, die wir gerne mit der Welt teilen. Deshalb schweigen viele, die unter einer postpartalen Depression leiden und so werden nur rund ein Drittel der Betroffenen behandelt, weil die Überzahl nicht diagnostiziert wird. Depression ist eine ernstzunehmende psychische Erkrankung, für die sich niemand schämen sollte und die auch kein Versagen bedeutet. Immer mehr Menschen teilen ihre Erfahrung mit (postpartaler) Depression öffentlich und helfen so, das Stigma zu bekämpfen. 

Die YouTuberin Ella Thebee spricht von ihren Gefühlen: „Ich konnte nicht darüber sprechen, denn dann hätte ich es vor mir selbst zugeben müssen und ich bin sehr gut darin, die gute-Laune-Maske aufzusetzen. Vor anderen hab ich mich schrecklich geschämt. Wie soll man jemandem das dunkle Gedankenchaos erklären, der erwartet, dass man vor Glück platzt? Man versteht es ja selbst nicht.” Mit jeder weiteren Stimme, die sagt, dass sie ähnliche oder die gleichen Erfahrungen gemacht hat, fühlen sich Betroffene weniger allein. Anstatt ein augenscheinlich perfektes Leben zu inszenieren, können soziale Medien genutzt werden, um Sichtbarkeit und Zugehörigkeit zu schaffen.

Wochenbett ausleben

Es wird geraten, das Wochenbett wirklich auszuleben, wenn möglich sechs bis acht Wochen, aber mindestens zwei bis drei Wochen. So viel Zeit muss sein. Die Hebamme Kathrin Vorbrink empfiehlt, dass der Partner oder die Partnerin und weitere Angehörige der neuen Mutter dabei helfen sollen. Verfügbar, ansprechbar und da sein: Im Haushalt helfen, die Mutter mit Frühstück im Bett verwöhnen, frische Wäsche beziehen und ihr Zeit und Energie lassen, sich zu erholen und sich voll und ganz auf sich und das Baby zu konzentrieren. (Unsere Empfehlungen zu schönen Dingen im Wochenbett, findet ihr in unserem Beitrag „Wochenbett-Lieblinge“.)

Die Hebamme Aline Middeldorf schlussfolgert mit diesem Sprichwort: „Eine frischgebackene Mutter muss gut bemuttert werden, damit sie gut Mutter sein kann.“

Mentale Gesundheit = Gesundheit

Ich habe noch keine Kinder. Aber ich habe einen Heidenrespekt davor – vor der Schwangerschaft, der Geburt und der Lebensumstellung mit Kind. Deshalb möchte ich mich auch über potentielle Krankheitsbilder informieren, die mich erwarten können als wann auch immer werdende Mutter.

Mentale Gesundheit ist ein Thema, das in unserer Gesellschaft endlich mehr Aufmerksamkeit bekommt. Unsere mentale Gesundheit ist genauso wichtig, wie unsere körperliche. Unterstützung und Zusammenhalt sind wichtig, doch Scham und Stigma halten Betroffene zurück. Betrachtet es so: Falls ihr euch das Bein brecht, würdet ihr euch auch an eure Lieben wenden und deren Rückhalt suchen und wertschätzen. Bei (postpartaler) Depression ist es genauso wichtig und hilfreich. 

Die Psychologin Isabel Huttarsch appelliert deswegen: „Nimm dich und dein Empfinden ernst. Sei achtsam mit dir. Und stehe für dich ein. Denn damit tust du es auch für dein Kind.“

Hilfestellen

Deutsche Depressionshilfe

Edinburgh Postnatal Depression Scale

Schatten und Licht e.V.

Deutsche Version des EPDS von Schatten und Licht e.V.

Liste von Selbsthilfegruppen und Beraterinnen von Schatten und Licht e.V.

Liste für Anlaufstellen und Beratung des Bundesverbands der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen e.V.

Literaturliste des Bundesverbands der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen e.V.