Foto: Stiftung „Alltagsheld:innen“ (Fotografin: Simona Dietiker)

geschrieben von Mirca Elena Heidler

Als alleinerziehende Mutter von zwei Söhnen hatte Heidi Thiemann in den 90er-Jahren mit vielen Sorgen zu kämpfen. Besonders der ständige finanzielle Druck machte ihr zu schaffen, denn aufgrund der mangelnden Betreuungsmöglichkeiten für ihre Kinder konnte sie nur eingeschränkt Geld verdienen. Ein Problem, mit dem auch heute noch viele Alleinerziehende zu tun haben.

Um die Situation von alleinerziehenden Eltern zu verbessern, gründete sie schließlich die Stiftung „Alltagsheld:innen“, die erste bundesweit aktive Stiftung für die Rechte von Alleinerziehenden. Im Interview berichtet Heidi Thiemann von den vielfältigen Projekten, mit denen ihre Stiftung alleinerziehende Eltern unterstützt – beispielsweise einer kostenlosen Rechtshotline und Wohnprojekten für alleinerziehende Mütter.

Liebe Frau Thiemann, Sie haben 2020 mit „Alltagsheld:innen“ die erste bundesweit aktive Stiftung für Alleinerziehende gegründet. Welche Projekte unterstützen Sie mit dieser Stiftung?

Heidi Thiemann: Als Stiftung arbeiten wir daran, die benachteiligenden Strukturen für Alleinerziehende zu verändern. Dabei ist uns wichtig, die Vielfalt von Initiativen, Vereinen und Verbänden zu stärken, indem wir ihre Projekte für Ein-Eltern-Familien fördern. Das Spektrum ist dabei sehr breit und setzt immer ganz konkret an den Bedürfnissen an.

Wir haben psychosoziale Ansätze gefördert, wie therapeutisches Boxen für Eltern, und in der Corona-Pandemie eine Hotline, die die Überlastung der alleinerziehenden Eltern im Blick hatte. Viele Frauen sind traumatisiert, nicht nur durch erlebte Gewalt in Beziehungen, sondern auch durch die Erfahrung, für alles immer alleine zuständig zu sein und gleichzeitig keine Zeit für sich selbst zu haben. Daher haben wir auch traumasensible Selbsthilfegruppen gefördert.

Dann gibt es auch viele Projekte, die Unterstützung im Alltag anbieten, wie Kinderbetreuung außerhalb der Betreuungszeiten in Schule und Kita in Münster. Damit den alleinerziehenden Eltern Zeit für sich bleibt, für Sport, Ausruhen oder den Arztbesuch ohne Kind. In München unterstützen wir ein Wohnprojekt von und für alleinerziehende Mütter mit acht Wohnungen. Und in Duisburg fördern wir gerade ein Projekt, das migrantische alleinerziehende Eltern organisiert, damit sie einen Kitaplatz bekommen und ihre Bedarfe von der Stadtverwaltung nicht länger ignoriert werden können.

Besonders stolz sind wir auf den Erfolg von Amuvee.de, ein Suchsystem im Netz, mit mittlerweile mehr als 50.000 Besucher:innen. Dort findet man Unterstützung und wichtige Informationen zur nächsten Beratungsstelle, Orientierung im Behördendschungel oder Tipps für die nächste Steuererklärung. Auch „Solomütter.de“, das Onlinemagazin von Sarah Buschmann, das mit tollen redaktionellen Artikeln das Image von Alleinerziehenden verändern will und Selbstbewusstsein stärkt, wurde von uns von Anfang an unterstützt.

Daneben realisieren wir aber auch stiftungseigene Projekte, initiieren Forschung, kooperieren mit Partnerorganisationen und entwickeln Netzwerke, um die multiplen Herausforderungen im Leben von Alleinerziehenden systemisch anzugehen. Das heißt auch: Wir geben keine Individualhilfen. Allerdings haben wir im Dezember letzten Jahres den „Energie-Soli“ zusammen mit dem Verein „Fair für Kinder“ ins Leben gerufen. Mit der Aktion gegen Armut und hohe Energiepreise konnten rund 108.000 Euro Spenden gesammelt werden. Davon kauften wir Einkaufsgutscheine, die von 50 Beratungsstellen in ganz Deutschland an Alleinerziehende verteilt wurden.

Wie ist die Idee zu dieser Stiftung entstanden?

Heidi Thiemann: Ich war in den 90er und Nuller-Jahren selbst alleinerziehend, kenne die Lebenssituation und ihre strukturellen Barrieren also gut. Vor einigen Jahren – meine Söhne waren bereits erwachsen und aus dem Haus – arbeitete ich als Gleichstellungsbeauftragte. Dort hatte ich wieder die Alleinerziehenden in meinem Büro sitzen, mit nahezu den gleichen Problemen, die ich selbst kannte. Ich dachte: Das kann doch nicht sein, dass sich so wenig getan hat! Also habe ich begonnen, mir Gedanken zu machen, wie man das Thema noch einmal auf neuen Wegen anpacken kann. So kam ich schließlich auf die Idee einer Stiftung, die andere Handlungsmöglichkeiten hat als zum Beispiel ein Verein.

Was hat Ihnen als alleinerziehende Mutter das Leben besonders schwer gemacht?

Heidi Thiemann: Nach der Geburt meines ersten Sohnes sah ich mich mit einem Quasi-Berufsverbot konfrontiert: Es gab so gut wie keine Kinderbetreuung – nur drei Prozent aller Kinder unter drei Jahren hatten einen Kitaplatz. Das bedeutete, dass ich nur eingeschränkt arbeiten und Geld verdienen konnte, um meine Familie zu ernähren. Als mein zweiter Sohn neun Jahre später auf der Welt war, sah die Situation nur minimal besser aus. Obwohl ich eine gute Berufsausbildung hatte, war ich die ganze Zeit unter finanziellem Druck, was mich sehr wütend machte.

Die Kinderbetreuungsmöglichkeiten haben sich zwar theoretisch verbessert, aber praktisch fehlen auch heute, 30 Jahre später, immer noch 378.000 Kitaplätze. Dazu kommt: In vielen Kitas gibt es keine verlässliche Betreuung mehr, da es an Erzieher:innen mangelt.

Was hat Ihnen geholfen?

Heidi Thiemann: Mir hat es sehr geholfen, mit zwei Freundinnen, eine war auch alleinerziehend, in einer WG zu wohnen. So konnten wir uns gegenseitig unterstützen und abwechseln bei den täglichen Dingen wie Kochen, Einkaufen, Kinder betreuen usw. Dadurch haben wir uns Freiräume ermöglicht, um arbeiten zu können oder auch mal abends auszugehen. Für unsere Kinder war das Zusammenleben ebenfalls toll, denn sie wuchsen mit einem Zieh-Geschwisterkind auf. Mein Sohn und der meiner Freundin sind bis heute noch in gutem Kontakt.

Wer sich näher mit der Thematik „Trennung mit Kindern“ beschäftigt, dem begegnen die Begriffe getrennterziehend und alleinerziehend: Was ist hier der Unterschied?

Heidi Thiemann: Es gibt inzwischen den Trend, Alleinerziehende, die allermeist Frauen sind, in die von Ihnen genannten zwei Gruppen aufzuteilen: hier die Vollzeit-Alleinerziehenden, da jene, die das mit dem anderen Elternteil gemeinsam leisten. Das bildet die Vielfalt von Alleinerziehenden-Situationen aber nicht ab und verengt zudem die Perspektive nur auf den anderen Elternteil. Alleinerziehende, deren Ex-Partner sich in größerem Umfang mit um die Kinder kümmern, sind dennoch rechtlich, strukturell und ökonomisch benachteiligt.

„Getrennterziehend“ macht ihre strukturelle Diskriminierung als Frauen und Mütter unsichtbar, es wirkt leicht lebbarer als „alleinerziehend“. Aber auch „getrennterziehende“ Mütter haben nur ein einziges Einkommen, meistens niedriger als der Kindsvater, müssen die Kosten für einen gesamten Mehrpersonenhaushalt allein stemmen, werden aber nahezu wie Singles besteuert. Leben die Kinder im Wechselmodell, fällt meist auch der dringend benötigte Kindesunterhalt weg.

Eine konfliktfreie Mitbetreuung durch den anderen Elternteil mag psychologisch und zeitlich eine Entlastung sein. Mit der finanziellen Herausforderung stehen sie dennoch oft allein da. Angesichts des hohen Armutsrisikos von 43 Prozent bei Ein-Eltern-Familien sollte man ihre Benachteiligung nicht mit Begriffen verschleiern. Entscheidend ist für mich das gesamte Netzwerk, auf das ein:e Alleinerziehende:r zurückgreifen kann. Das kann der andere Elternteil, die Großeltern oder Freund:innen sein. Sie zusammen mit staatlichen Unterstützungsleistungen machen die Lebensqualität von Ein-Eltern-Familien aus.

Was sind Ihrer Erfahrung nach heute die häufigsten Probleme von getrennt- und alleinerziehenden Eltern?

Heidi Thiemann: Die zentralen Herausforderungen für Alleinerziehende liegen nach wie vor im Bereich der Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Care-Arbeit. Die angebotenen Kinderbetreuungszeiten passen oft nicht zu den Arbeitszeiten von Solo-Eltern. Geringeres Einkommen führt zu Kinderarmut. Die betrifft jedes zweite Kind in Ein-Eltern-Familien. Da bräuchte es dringend eine ausreichend finanzierte Kindergrundsicherung.

Eine weitere große Herausforderung ist bezahlbarer Wohnraum. Die Wohnkosten fraßen schon vor der Energiepreiskrise in Großstädten teils die Hälfte des Monatsbudgets von Alleinerziehenden auf. Bezahlbare Wohnungen sind kaum zu finden und bei der Vergabe von Wohnungen werden sie laut Erhebungen zudem regelmäßig benachteiligt. Deshalb widmen wir uns in einem unserer Arbeitsschwerpunkte den „Wohn- und Lebensräumen für Alleinerziehende“. Wir wollen neben bezahlbarem Wohnraum auch gemeinschaftliches Wohnen in Wohnprojekten für Ein-Eltern-Familien ermöglichen.

Außerdem nehmen wir eine Gruppe der Alleinerziehenden in den Fokus, die bis heute viel zu wenig berücksichtigt wird: Migrantische und geflüchtete Alleinerziehende haben zusätzliche Hürden wie Sprachbarrieren oder Probleme beim Aufenthaltsstatus zu bewältigen. Ihnen widmen wir den zweiten Schwerpunkt in unserer Stiftungsarbeit.

Ein weiteres Problem, das ebenfalls immer mehr Alleinerziehende beschäftigt: Die rechtlichen Auseinandersetzungen zwischen Eltern um die Betreuung der Kinder nach einer Trennung haben in der letzten Dekade deutlich zugenommen. In diesem Bereich besteht ein wachsendes Belastungspotenzial für Ein-Eltern-Familien. Zugleich fehlt es in der Fläche bisher an fachlich spezialisierten, niedrigschwelligen Rechtsberatungsangeboten. Um Alleinerziehende in diesem Bereich zu unterstützen, haben wir als Stiftung in 2022 die erste bundesweite Rechtshotline für Alleinerziehende im Familienrecht eingerichtet. In dieser können sich Ratsuchende kostenfrei von erfahrenen Anwält:innen beraten lassen.

Sie sagen, jede Mutter sollte schon in der Beziehung an eine mögliche Trennung denken. Was sollten die Mütter hierzu bedenken oder vorbereiten?

Heidi Thiemann: Jede Frau sollte, möglichst bevor sie schwanger ist, mit ihrem Partner die finanziellen und strukturellen Konsequenzen ihrer zukünftigen Mutterschaft durchsprechen und festlegen, wie sie gemeinsam ab der Geburt des ersten Kindes ihr Familienleben organisieren möchten. Dazu gehört die Frage nach der Aufteilung der Elternzeit, aber auch der langfristigen familiären Care-Arbeit.

Es sollte selbstverständlich werden, dass es einen finanziellen Ausgleich für den Elternteil gibt – immer noch meist die Mutter –, der beruflich zurücksteckt, sowie dessen private Altersvorsorge, um die geringeren Rentenansprüche auszugleichen. Es empfiehlt sich, alles in einem Ehe- oder Partnerschaftsvertrag festzuhalten. Einmal etablierte benachteiligende Strukturen können bei und nach einer Trennung drastische langfristige Konsequenzen haben, bis hin zur Altersarmut.

Ist Ihre Stiftung nur für alleinerziehende Mütter gedacht oder sollen auch alleinerziehende Väter sich von Ihren Angeboten angesprochen fühlen?

Heidi Thiemann: Die Stiftung adressiert die strukturellen Benachteiligungen für alle Alleinerziehenden. Das betrifft jedoch in erster Linie Mütter, die rund 90 Prozent der Alleinerziehenden ausmachen. In der Regel verdienen alleinerziehende Väter besser als die Mütter, und statistisch betrachtet leben eher ältere Kinder ab 10 Jahren, also mit geringerem Betreuungsbedarf, bei den Vätern.

Trotzdem leiden auch alleinerziehende Väter unter diskriminierenden Strukturen wie der Steuerungerechtigkeit, gegen die wir als Stiftung kämpfen. Oder Arbeitgeber machen es ihnen oft schwer, in Teilzeit zu arbeiten, da die Care-Arbeit noch immer nicht selbstverständlich zum Rollenbild von Männern gehört. Da setzen wir auch mit unserer Arbeit zum Verständnis von Care-Arbeit an.

Wie finanziert sich Ihre Stiftung? Wird sie durch öffentliche Gelder unterstützt?

Heidi Thiemann: Die Stiftungsgründung wurde durch private Spenden ermöglicht. Wir sind eine gemeinnützige Verbrauchsstiftung, das heißt, wir können das Gründungskapital für unsere aktuelle Arbeit ausgeben, sind aber kontinuierlich auf Spenden und Zustiftungen angewiesen, damit wir auch zukünftig arbeiten können. Öffentliche Zuwendungen haben wir bisher noch nicht bekommen.

Vielen Dank für Ihre Zeit, Frau Thiemann!

Foto: Stiftung „Alltagsheld:innen“ (Fotografin: Julia Nohr)

Heidi Thiemann, Jahrgang 1959, hat Ethnologie studiert. Ihre beiden Söhne zog sie größtenteils alleine groß. Seit ihrer Jugend engagiert sie sich für Geschlechtergerechtigkeit. In den vergangenen 25 Jahren arbeitete sie in der Entwicklungszusammenarbeit und als Gendertrainerin.

Mehr Informationen zur Stiftung „Alltagsheld:innen“ findet ihr hier:
alltagsheldinnen.org und auf Instagram


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