geschrieben von Josefine Herrmann @yes.itsyoga

Nennt es Weglaufen, Scheitern, Abbrechen, Aufgeben, Gegen-die-Wand-Fahren, Angst – nennt es, wie ihr wollt. Ich nenne es Neuanfang, Chance, Self-Care, realistisch und endlich befreit sein von dem, für was mich alle feiern, was ich aber weder kann, noch bin: Medizinstudentin mit drei Kindern oder die allseits beliebte Powerfrau. Und ja, mir ist bewusst, dass in allen hippen Mental Health Podcasts gerade das “Failen” abgefeiert wird. Aber glaubt mir: So ein Medizinstudium, das tut man nicht so leichtfertig mit einem „War-nichts-für-Mich“ ab, das muss schon mit richtig viel Schmerz, Pauken und Trompeten passieren.

Alle dachten, ich könnte es schaffen, ich wollte es auch glauben

Oh Gott, was habe ich die letzten Wochen, Monate, ja, Jahre durchgemacht: Disziplin, Kampfgeist, Motivation, Enthusiasmus, Vorfreude, diesen Gedanke, dass es nach dem dritten Kind, der dritten Elternzeit wieder losgeht: dieses Mal mit festem Ziel vor den Augen, den Willen sowieso. „Du kannst es schaffen“, mein tägliches Mantra. Den gut gemeinten Ratschlag meines Umfeldes „Das haben schon ganz andere geschafft“ und der damit verbundene Druck immer im Nacken. ALLE dachten, ich könnte es schaffen, ich habe mich anstecken lassen, ich wollte es auch glauben.

Dann dieser eine Tag, auf den ich so lange hingearbeitet hatte. Diese Mail mit den Prüfungsfächern und Prüfern für diese so wichtige Prüfung, den Meilenstein („Danach wird alles einfacher“). „Dann legen wir mal los“, war mein erster Gedanke, um dann Stunde für Stunde, Tag für Tag immer mehr zu realisieren, dass die knapp sieben Tage nicht reichen, um den Himalaya an Stoff in meinen Kopf zu bekommen. Dachte ich vorher noch, ich hätte einen verhältnismäßig guten Überblick, stürzte nun – Thema für Thema – das ganze Ding über mir ein.

Normal, sagt ihr, so geht es jedem vor dem Staatsexamen. Bestimmt, vom Gefühl her. Aber zu merken, dass man bei einem Großteil der Fragen nur den Kopf schütteln und unsicher maximal ein paar Silben zusammenstottern könnte … Das Gefühl ist scheiße. Es ist einfach nur scheiße. Mit dem Glauben in die Prüfung zu gehen, „Das kriegst du hin, das ist wirklich machbar”, so ging es mir im kompletten Studium nicht ein einziges Mal. Das zehrt sowas von an den Nerven. Jedes – und vor allem dieses Mal – zu wissen, dass man auf das Glück angewiesen ist … Glück, dass der Prüfer nicht eine der zehntausend Lücken trifft, sondern eine der drei Sachen, die du dir irgendwie gemerkt hast. Glück, dass der Prüfer wohlwollend ist, dich nicht fertig macht und bloßstellt, wenn du etwas nicht weißt. Glück, einen der Prüfer zu haben, der jedes Mal das gleiche fragt. Glück, ein leichteres Fach zugelost zu bekommen. Das kotzte mich derart an.

Ich hätte gar nicht so viele vierblättrige Kleeblätter essen können, wie ich kotzen wollte. Es kam soweit, dass ich mir Medikamente einwarf, um besser zu funktionieren. Das ist krank, das ist nicht normal, das sollte keiner tun müssen. Und ich schon gar nicht, denn ich muss und möchte für meine Kinder eine Mutter sein, die sich im Griff hat und dafür sorgen kann, dass die Kinder, die sie wissentlich und willentlich in die Welt gesetzt hat, eine glückliche Kindheit haben.

Erst tat die Entscheidung verdammt weh, dann kam das schöne Gefühl der Befreiung

„Nein danke, ich möchte nicht mehr“. Ich bin zwar 34 und besitze nur den Führerschein und ein schlechtes Abi, aber der Preis ist mir zu hoch. Ich selbst möchte nicht von einem Arzt behandelt werden, der sein Studium nur mit Glück und halber Arschbacke geschafft hat, und ich möchte auch keine Mutter haben, die mit den Gedanken ständig in ihrem zeitlich niemals zu schaffenden Lernplan hängt.

Ja, diese Entscheidung war hart. Erst tat sie verdammt weh, dann kam das schöne Gefühl der Befreiung – gefolgt von einem dunklen schwarzen Loch. Zukunftsängste, das Gefühl, gescheitert zu sein, das Gefühl, nicht gut genug zu sein, und das Gefühl, viele, viele Jahre in dieser ewigen Zerrissenheit vergeudet zu haben. Gleichzeitig erreichten mich viele Nachrichten von Frauen, die diesen Schritt auch gerne gegangen wären, sich aber nicht getraut, sondern stattdessen durchgebissen haben. Und keine davon hatte auch nur einen Hauch von „Es hat sich gelohnt durchzuhalten“, im Gegenteil. Das tat gut.

Es hat ein bisschen gebraucht, bis ich aus meinem Loch heraus einen neuen Weg erkennen konnte. Ein Weg, mit dem ich eine andere Leidenschaft zum Beruf machen konnte. Ich absolvierte mehrere Yoga-Teacher-Trainings und bin Yogalehrerin geworden. Mein Wissen aus dem Studium half und hilft mir bei der Körperarbeit. Das Yoga half und hilft mir, den Weg zu verstehen, den ich gegangen bin und damit zufrieden zu sein.

Und im Moment lerne ich, dass es das nicht gewesen sein muss. Ich muss nicht die nächsten Jahrzehnte als Yogalehrerin verbringen. Ich kann mich auch noch mal neu erfinden und noch mal. Ja, es erfordert etwas Mut, aber was man wirklich braucht, ist Vertrauen. Vertrauen in die Prozesse, Vertrauen in die eigene Intuition, Vertrauen, dass das Leben den richtigen Weg gehen wird, wenn man es lässt.

Meine Kommilitonen von damals sind mittlerweile Assistenzärzte und arbeiten sich fast zu Tode. Drei 24-Stunden-Dienste in Folge sind nicht selten. Einige sagen jetzt schon, dass sie das nicht ewig machen wollen. Und ich schaue und höre mir das an und bin einfach nur froh, dass ich das nicht machen muss, sondern wie jetzt zum Beispiel, mit meinen Kindern ein Jahr um die Welt reisen kann. Hätte ich weiter studiert, wäre ich diesen Schritt mit Sicherheit nicht gegangen.