Geschrieben von Lea Ekberg

Wie lange ich denn noch stillen will? „Von Anfang an und bis zum letzten Tag, an dem es meiner Tochter ein Bedürfnis ist“, antworte ich gelassen. Dabei stelle ich mir vor, wie ich mit gartendreckigen Gummistiefeln und ohne zu klingeln in ihr Haus stapfe und lauthals feststelle: „Na hier muss aber auch mal wieder einer sauber machen.“ So ungefähr fühlt sich nach anderthalb Jahren Elternschaft meine spontane innere Reaktion auf Ratschläge, um die ich nicht gebeten habe, für mich an. Vielleicht nicht die sympathischste Reaktion, aber eine für mich heilsame.

Schon als werdende Mama stellte ich fest, Rat weiß auf jede gestellte und ungestellte Frage fast jeder, und das Bedürfnis sich mitzuteilen oder gleich einzumischen ist groß. Familie, Bekannte, Fremde, alle wollen sie Experten für meine Situation, mich und mein Kind sein. Manche Bemerkung perlt an mir ab, manche lässt mich meine Situation reflektieren, eine andere ärgert mich, ist übergriffig oder sogar verletzend. „Schon anderthalb und noch nicht in der Betreuung?“, „Familienbett?“, „Spaghettibrei kalt aus dem Gläschen?“ und „Braucht das Kind bei dem Wetter nicht besser Gummistiefel?“

Ja, vielleicht habe ich mir auch vorgestellt, wie wir zusammen auf dem Markt Biogemüse einkaufen und es selbstgemachten Spaghettibrei gibt, aber viele frustrierende Situationen später stehen ich mit meinem Kind zufrieden am Fenster, gucken den Tauben auf dem Dach gegenüber zu und mein Baby löffelt mit Freude sein kaltes Spaghettigläschen. Und diese Situation fühlt sich richtig an. Für uns beide.

Ein Schnipsel, der gar kein Bild ergibt

Trotzdem habe ich Zeit gebraucht, um meine Geschichte zu teilen. Einerseits weil ich Zeit gebraucht habe, um zu akzeptieren, dass wir hier weit von meiner Elternvorstellung weg sind, und andererseits, weil ich neben all dem, was im Elternalltag anstrengend ist, keine Lust und keine Energie habe, mich mit der Bewertung durch andere auseinanderzusetzen. Der Bewertung einer für mich so richtigen Situation, die überdies nur einen winzigen Ausschnitt zeigt, einen Schnipsel, der ohne die anderen Schnipsel gar kein Bild ergibt.

Ich bin inzwischen so selbstsicher, dass ich das genauso für mich und uns empfinde. Leise in meinem Inneren und sichtbar nach außen. Denn genau das ist es, ein Schnipsel. Familie, Freunde, Bekannte und Fremde sehen Ausschnitte, sind nicht dabei, wenn uns entschieden ablehnend der Teller Selbstgekochtes entgegengeschoben wird oder wenn wir froh sind, dass das Kind beim Verlassen des Hauses überhaupt Schuhe trägt. Und vielleicht kam für mich manchmal erschwerend hinzu, dass ich Erziehungswissenschaften studiert und mich bei dem Gedanken erwischt habe, dass ich doch weiß, wie es richtig geht. Wie auch immer: unser Weg ist gut. Vor allem, wenn sich das Hier und Jetzt so richtig anfühlt.

Elternrealität statt Elternvorstellung

Aber die Situation, die stellvertretend für so viele andere ist, ist anders, als ich sie mir immer vorgestellt habe, als Lehrbücher und Studium es vermittelt haben und als die Schnipsel, die ich bei befreundeten Familien beobachte. Eben Elternrealität statt Elternvorstellung. Gar nicht so einfach, das zu akzeptieren und mit dem guten Gefühl, das ich für meine Situation habe und für mich auch immer hatte, unter einen Hut zu bekommen.

Darf sich etwas so richtig anfühlen, von dem ich immer dachte, dass das andere so machen, aber bestimmt nicht ich? Auf dem Arm essen – „Wo sind wir denn hier?“ und „Mit geordnet hat das ja wohl nichts zu tun“, höre ich das Außen werten. „Dabei ist doch genau das so wichtig für Kleinkinder, Struktur und geordnete Verhältnisse. Auch und gerade bei den Mahlzeiten.“ So und ähnlich hallt und widerhallt es. Eine Mischung aus Gelerntem aus meiner eigenen Kindheit und aus der Übernahme von Überzeugungen meiner Eltern. Aus Prägung, Erfahrung, Ausbildungsweg und entschiedenem Es-anders-machen-werden. Und aus Glaubenssätzen, die aus alldem entstanden sind.

Dinge anders zu machen, beunruhigt und trifft nicht nur bei mir auf innere Überzeugungen und kollidiert mit Glaubenssätzen. Es nicht so zu machen, wie es erwartet wird, fällt auf und wird vor allem sofort bewertet, um das Verhalten einzuordnen oder zumindest versuchsweise. Dabei scheint es in Sachen Elternsein vor allem zwei Bewertungskategorien zu geben: so und so nicht.

Das Bewerten und damit Einordnen ist ein nachvollziehbarer Versuch Sicherheit und Orientierung herzustellen. Gerade als Eltern noch kleiner Kinder ist das als eines der Grundbedürfnisse, das kaum Befriedigung findet, unabdingbar. Eltern zu werden ist schließlich eine der größten und einschneidendsten Veränderungen im Erwachsenenleben und bringt auf allen Ebenen Unsicherheiten und Verunsicherung mit. Deshalb legen wir uns Pläne zurecht und überlegen im Vorfeld, wie wir was machen wollen.

Dabei haben wir sehr individuelle Idealvorstellungen von Erziehung und Elternschaft, um im Laufe der Zeit festzustellen, dass man als Mutter und Vater Pläne nicht mehr so umgesetzt bekommt wie vor dem Familienleben. Wenn dann noch von allen Seiten Ratschläge und Bemerkungen kommen, kann so eine Idee vom Elternsein ganz schön ins Wanken geraten. Da ist die eigene Verunsicherung, weil man seinen Plan und damit seinen Sicherheitsrahmen verlässt, und dann kommt obendrauf ein Ratschlag, der im unglücklichsten Fall das Gefühl, es nicht richtig zu machen, verstärkt.

Elternrealität bedeutet oft Planänderung

Elternrealität bedeutet so oft Planänderung. Woran sich also orientieren? An den eigenen Eltern, Freunden, Ratgebern, Instagram, Wissenschaft, dem woken Elternpaar auf dem Spielplatz oder Glaubenssätzen? Oder am Ende doch an den eigenen Bedürfnissen, je nach Alter allen voran an denen des Kindes und an denen des eigenen Haushalts.

Sich an Bedürfnissen statt an Elternvorstellungen, und Glaubenssätzen zu orientieren ist nicht immer der einfache Weg, zumal nicht immer gleich klar ist, was gerade wirklich das Bedürfnis ist. Das eigene und schon gar nicht das des noch kleinen Kindes. Da sind andere meist schneller, uns eine Lösung zu präsentieren, während wir einfach erstmal noch da sind, spüren, sehen, hören, gemeinsam aushalten oder trösten, auch wenn wir gar nicht nach Rat gefragt haben. Und bei dem Überangebot an Lösungen, die allein in Form von Elternratgebern Regalmeter um Regalmeter in Buchläden füllen, müssen wir vielleicht auch erst wieder lernen, auf uns zu hören und nicht gleich zum Buch greifen.

Wenn wir bei uns selbst angekommen sind und es uns gelingt, das Leben nicht an einen Glaubenssatz anzupassen, sondern nachzuspüren, worum es gerade wirklich geht, wer gerade was braucht, den dazu paraten Glaubenssatz ans Leben anzupassen und Pläne als Absichtserklärungen zu betrachten, entstehen Spaghettiglas-Momente. Und so stehen wir also da, essend am Fenster und sind glücklich, weil ich weiß, dass ich die Expertin für meine Situation, mich und mein Kind bin. Und vielleicht möchte sie morgen wieder Milch. Und dann ist das richtig.