geschrieben von Franziska Ferber @franziska_kindersehnsucht
Ich habe null Bock auf die „Opferrolle“. Ich habe überhaupt keine Lust auf „mini-mi-mi“ und Gejammer. Ja, ich bin ungewollt kinderlos – obwohl ich jahrelang in der Kinderwunschbehandlung war. Ja, ich habe mir mein Leben wirklich anders vorgestellt. Aber: Ich habe damit inzwischen meinen Frieden gefunden und sage von mir selbst, dass ich trotzdem ein wirklich gutes, reiches, erfülltes Leben lebe.
Gelegentlich aber rege ich mich auf. Sehr sogar.
Nicht nur, dass ungewollt kinderlose Menschen ständig mit wahnsinnig „klugen Ratschlägen“ zu kämpfen haben, nein, auch diverse Vorurteile Annahmen pflastern unseren täglichen Weg. Darum geht es mir heute jedoch nicht. Heute möchte ich dir erzählen, weshalb ich mich so über das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes hinsichtlich der Entlastung kinderreicher Familien bei den Beiträgen zur Pflegeversicherung aufrege:
Jawohl, ich verstehe, dass wir als Gesellschaft und auch der Staat Nachwuchs brauchen. Im Grunde sind alle Bestandteile unserer gleichermaßen viel gerühmten und viel beschimpften Sozialversicherungssysteme darauf angewiesen. Du weißt schon – Demografie und so weiter.
Wir brauchen als Land Kinder – gerne viele Kinder.
Nicht alle Menschen können Kinder bekommen
Fakt ist jedoch auch: Nicht alle, die Kinder bekommen möchten, können Kinder bekommen. Sonst hätten wir viel mehr Geburten in unserem Land.
Das zentrale Deutsche IVF Register (DIR) – ein dicker Statistikwälzer, der Kinderwunschbehandlungen dokumentiert – sagt: „Das DIR ist stolz auf nunmehr 340.053 geborene Kinder, deren dokumentierte Geburten es seit Einführung der elektronischen Erfassung im Jahr 1997 bis 2019 enthält und die es ohne die deutsche Reproduktionsmedizin wahrscheinlich nicht geben würde.“
Ich freue mich tatsächlich riesig über all diese Kinder, die Männer und Frauen trotz widriger Umstände zu Eltern gemacht haben! Gut so für diese Menschen; es ist so ein großes Glück, das sie erleben dürfen. Und es ist ein Glück, das auch unserem Land zu Gute kommt.
Dennoch sagt man, dass circa jedes siebte bis achte Paar in Deutschland – wie mein Mann und ich – ungewollt kinderlos ist. Man sagt, circa zwei Millionen Menschen bleiben ungewollt kinderlos.
Action-Tipp: Geh doch beim nächsten Einkauf mal bewusst die Menschen in der Schlange durch und nimm – nur um es für dich zu visualisieren – gedanklich mal an, dass jeder siebte Mensch, den du siehst, ungewollt kinderlos ist. Siehst du, wie viele Menschen das sind!?
Das Bundesverfassungsgericht hat im Mai 2022 entschieden, dass kinderreiche Menschen (ja, das sind Eltern mit vielen Kindern!) künftig weniger in die Pflegeversicherung einzahlen müssen.
Meinetwegen.
Ich persönlich finde jedoch, dass wir hier in einen ethischen und moralischen Bereich hineinkommen, wo gesundheitliche „Fähigkeiten“ die Grundlage einer finanziellen Bewertung eines Menschen werden.
Wir wissen doch alle: Gesundheit ist ein hohes Gut.
Wer ein Kind bekommt, kann das einerseits körperlich-biologisch und hat zudem großes Glück.
Wer kein Kind bekommen kann, hat gesundheitliche Einschränkungen.
Nicht jeder Mensch ist vollumfänglich gesund, leider!
Niemand trägt Schuld daran, wenn er (oder sie) aus medizinischen Gründen kein Kind bekommen kann. Und genau deshalb habe ich mit der Ermäßigung zur Pflegeversicherung für Menschen mit vielen Kindern ein genauso großes Problem wie mit dem Beitragszuschlag für ungewollt Kinderlose. Denn hier wird Gesundheit zur Verhandlungsmasse: Rabatt oder Strafe – je nach persönlicher Gesundheit sowie persönlichen Lebensentscheidungen und einer dicken Portion Glück.
Und ja, ich hab schon verstanden, was das Bundesverfassungsgericht als Begründung anführt, nämlich „(dass Menschen mit Kindern einen) generativen Beitrag zur Funktionsfähigkeit eines umlagefinanzierten Sozialversicherungssystems” leisten.
Dennoch:
Ich habe in diesem Kontext ein wirkliches Problem mit dem Gleichheitsgrundsatz.
Halten wir fest: Wenn Menschen mindestens ein Kind bzw. die statistisch durchschnittliche Anzahl von Kindern (FYI: 2019 waren das 1,53 Kinder pro Frau) bekommen, dann zahlen sie also den jeweiligen Normalbetrag in die jeweiligen Sicherungssysteme.
Wenn Menschen mehr Kinder als die Norm bekommen, werden sie – laut Urteil des Bundesverfassungsgerichtes – künftig zu entlasten sein. Wie auch jetzt schon bei Renten- und Krankenversicherung.
Wenn Menschen – nämlich die ungewollt Kinderlosen wie auch die gewählt Kinderlosen – gar keine Kinder bekommen, zahlen sie einen sogenannten Beitragszuschlag.
FYI: Seit Anfang dieses Jahres liegt er für Kinder-Habende bei 3,05 Prozent des Bruttoeinkommens, der für Kinderlose bei 3,4 Prozent.
In Kreisen der Menschen, die keine Kinder bekommen können, wird dieser Zuschlag gerne auch „Strafbeitrag“ genannt.
Und genau deshalb frage ich laut und deutlich:
Ist es wirklich fair, dass jemand einen Strafbeitrag – äh, sorry: Beitragszuschlag – zahlen muss, der gerne Kinder bekommen hätte und dem es medizinisch und gesundheitlich schlicht nicht möglich ist sich fortzupflanzen?
Ich möchte nicht polemisch sein, dennoch muss eine Frage an den Gleichheitsgrundsatz erlaubt sein: Wenn jemand aus gesundheitlichen Gründen etwas nicht kann, was die Normalität (ja, die statistische Norm) anderer Menschen ist, darf er dann dafür „bestraft“ und benachteiligt werden?
Mir fallen viele Beispiele ein, die zum Vergleich herangezogen werden könnten. Ich möchte jedoch nicht zu plakativ werden. Für mich ist klar, dass es ein gravierender Unterschied ist, ob jemand aufgrund einer körperlichen Inability keinen Beitrag zu den umlagefinanzierten Sicherungssystemen leistet oder schlichtweg aus einer persönlichen Lebensentscheidung heraus. Und selbst da könnte man noch das verbriefte Recht auf Selbstbestimmtheit anführen; aber das führt womöglich hier zu weit.
Wollen oder Können – das ist ein Unterschied
Es ist aus gutem Grund üblich, dass wir von Menschen mit einer medizinischen Inability nicht verlangen, dass sie dafür die Kosten selbst zu tragen haben.
Wenn ungewollte Kinderlosigkeit das Ergebnis einer medizinisch-gesundheitlichen Einschränkung ist, weshalb lassen wir diese Menschen dafür „Strafbeiträge“ zahlen?
Ich finde das absolut nicht fair. Und genau deshalb rege ich mich – wie vermutlich weitere zwei Millionen Menschen, die wie ich ungewollt kinderlos sind – auf. Ich vermute sogar, dass sich auch viele der gewollt kinderlosen Menschen aufregen. Dann wären wir noch viel mehr Menschen, die sich – zwar aus vollkommen unterschiedlichen Perspektiven heraus – bestraft fühlen.
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Über die Autorin
Franziska Ferber ist ungewollt kinderlos – trotz jahrelanger Kinderwunschbehandlungen. In Zeiten größter emotionaler Not suchte sie psychische Unterstützung und konnte keine passende finden. So hat sie beschlossen, dass sie genau das Angebot schaffen würde, das sie selbst so dringend gebraucht hätte und arbeitet seit vielen Jahren als Kinderwunsch-Coach.
Sie widmet ihre Arbeit all den Frauen, die unter ihrem unerfüllten Kinderwunsch leiden – unabhängig davon, ob sie mitten im Kinderwunsch stecken, bereits viele Enttäuschungen hinnehmen oder gar Abschied nehmen mussten.
Auf www.kindersehnsucht.de bietet sie über 500 Artikel zu verschiedenen Kinderwunsch-Themen an und stellt ihr Coaching-Angebot vor. Franziska Ferber ist die Autorin der Bücher „Unsere Glückszahl ist die Zwei“, „Mutig durch den Kinderwunsch“, „Kinderwunsch Entscheidungen“ und „Inspiration und Impulse – 48 gute Gedanken für die Kinderwunsch Zeit“.
1 thought on “Strafbeiträge zur Pflegeversicherung für ungewollt Kinderlose – ist das wirklich fair?”
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