geschrieben von Judith Lahfeld / auf Instagram @manymoodsofmom
Plötzlich war dieser magische Moment da. Wir sollten ein Geschwisterchen für unsere dreijährige Tochter Ida bekommen. Die Freude war riesig, auch das zweite Kind ein absolutes Wunschkind. Die Schwangerschaft raste und verging mit einem Wimpernschlag.
Mitten in der Pandemie und von einem Lockdown zum nächsten hetzend, zog dieses Wunder Schwangerschaft fast kometenartig an mir vorbei. Den Spagat schaffend zwischen Übelkeit, Müdigkeit und Kitaschließung, bastelte und malte ich, was das Zeug hielt, um meine große Tochter bei Laune zu halten und gegen ihre Langeweile anzukämpfen. Der Babybauch wuchs dieses Mal sehr schnell und mit ihm das schlechte Gewissen, weil ich mich gedanklich nur so selten mit meinem Bauchbewohner verbinden konnte. Es fehlte einfach die Zeit und Ruhe.
Während ich bei Ida noch akribisch Schwangerschaftstagebuch führte und schon in den ersten Wochen Babykleidung kaufte, blieb das Tagebuch für den kleinen Bruder leer, obwohl wir uns natürlich genau so sehr auf unser Baby freuten. Auch ein Babyzimmer wurde dieses Mal nicht eingerichtet, denn wir brauchten unser Arbeitszimmer für Papas Homeoffice, den wohl einzigen Vorteil, den diese Pandemie hatte. Mit dem Endspurt packte mich dann plötzlich die Angst. Kann ich das alles schaffen? Wie wird Ida reagieren? Kann ich noch genug für sie da sein? Kann ich genug für das Baby da sein?
Die Sorge darüber, wie Ida reagieren würde, war vollkommen unbegründet. Genau wie seine große Schwester per Expressgeburt geliefert, verliebte sich die Große in Sekundenschnelle in den Kleinen.
Bedingungslose Liebe
Ich glaube, das kann ich tatsächlich als den schönsten Moment in meinem Leben bezeichnen. Das Geräusch von Idas Schuhen auf dem Krankenhausgang und mein Herz, das vor Aufregung laut klopfte. Dann die Tür, die sich öffnete und meine Tochter mit zwei Zöpfen, die mit strahlenden Augen auf mein Bett zuging und mich als Erste in die Arme schloss, bevor sie ihren Bruder küsste. Ihr Baby war endlich da. Ihr Fritz. In diesem Moment wusste ich wieder einmal, was bedingungslose Liebe bedeutete. Pure Freude durchströmte jede Faser meines Körpers und ich dankte dem Universum und meinem Leben, dass ich all das erleben durfte.
Als wir nach Hause kamen, setzte Ida die Rolle der großen Schwester mit Perfektion fort. Sie brachte Nuckel und Kuscheltiere, wenn Fritz weinte. Puzzelte geduldig neben mir, wenn ich stillte. Küsste und streichelte ihn, als gäbe es kein Morgen und zeigte Verständnis, wenn wenig Zeit zum Spielen blieb.
Ein harter Cocktail
In mir aber tat sich etwas, was mir gar nicht gefiel. Der Cocktail aus Wochenbett, Hormonumstellung, Dauerstillen und Schlafmangel traf mich so hart wie einen Betrunkenen in einer Bar nach einer durchzechten Nacht und zu viel Schnaps.
Ich taumelte in Woche drei meines Wochenbetts und plötzlich kullerten haltlos die Tränen. Schuldgefühle zerfraßen mich, weil ich nicht mehr zu hundert Prozent nur für Ida da sein konnte. Für mein erstes Wunder, auf das ich so lange gewartet habe.
Jedes „Mama hat jetzt keine Zeit“, hinterließ einen kleinen Riss in meinem Mutterherzen. Jedes vorsichtige „ich muss jetzt stillen“ erhöhte meinen Puls, weil ich ein enttäuschtes Aufflackern in Idas Blick sehen konnte, während sie zum tausendsten Mal geduldig „in Ordnung, Mama“ sagte. Nein, in Ordnung war das nicht. Aber es ging einfach nicht anders.
Papa unterstützte so gut er konnte und übernahm wie ein Superheld den Haushalt, das Wickeln und das Kochen. Aber ich weinte innerlich weiter stille Tränen, weil die Geburt unseres entzückenden Sohnes gleichzeitig ein Abschied war. Abschied von uns Dreien. Uns als „Gespann“ und als perfektes Team. Weil Ida mich plötzlich teilen musste.
Ein Brief an mein erstes Kind
“Da war früher so viel ‘du’, wo jetzt ein ‘ihr’ ist. Denn damals warst du es, die ich stillte. Die ich in den Schlaf wiegte, stundenlang herumtrug und mit Küssen bedeckte. Heute trage ich dich auch noch und küsse dich, aber kürzer, weil du schwerer bist. Und seltener, weil du so ein Wirbelwind bist, der schon so vieles allein kann. Damals warst du es, die von jedem mit „Ahs! Und Ohs!“ bestaunt wurde und die ständig meinen Handyspeicher überlaufen ließ. Heute fotografiere ich dich auch noch oft, aber meistens seid ihr zu zweit auf den Bildern, weil du so süß die Nähe deines Bruders suchst.
Ich weinte auch vor Stolz, weil du in dieser Zeit, in der wir alle unseren Platz neu finden mussten, die Stärkste von uns warst. Wieder einmal merkte ich, was für ein unglaubliches Mädchen du bist.
Aber dieser klitzekleine Rest Wehmut in mir, der ist geblieben. Obwohl sich meine Liebe nicht nur verdoppelt, sondern verzehnfacht hat. Auch wenn es manchmal schwierig für dich ist, weil du warten musst. Oder weil ich abends bei der Einschlafbegleitung das Zimmer verlasse, wenn Fritz weint.
Für immer alles
Du wirst immer meine Erstgeborene sein. Du hast mich zur Mama gemacht. Und dieses ganz besondere Band, das wird bleiben. Dein Bruder wird wachsen und mit ihm seine Selbstständigkeit. Wir werden Abenteuer erleben und reisen und ich werde euch die Welt zeigen. Bei euren Geburten hab ich mir geschworen, euch zu starken und glücklichen Menschenkindern zu machen. Du bist der Beweis, dass ich es bereits einmal geschafft habe. Und wenn ich die Liebe in den Augen deines Bruders sehe, während er dich staunend beobachtet, dann weiß ich, ich schaffe das wieder.
Wenn du erwachsen bist und vielleicht mal selbst Mutter, dann wirst du es verstehen. Und mit eigenem Herzen sehen und fühlen, dass wir Mamas immer und zu jeder Zeit alles geben. Dass wir jeden von euch mit jeder Zelle unseres Körpers lieben. Ganz egal, wie viele Fotos wir machen, wie viele Küsse wir verteilen und wie viele Worte in denSchwangerschaftstagebüchern stehen. Ihr seid Alles und werdet es für immer sein. Und unser Band ist nun stärker und fester, weil nicht mehr drei, sondern vier Seelen es mit aller Kraft halten.
Drei ist `ne Party aber vier ist ein Rock ‘n Roll Konzert. Und zwar ein wildes, lautes, wunderbares, das niemals enden darf. Denn das Klingeln in meinen Ohren nach einem langen, verrückten Tag mit euch ist und bleibt die allerschönste Musik.
Ich liebe euch, Ida und Fritz.
Eure Mama”