geschrieben von Lena // @lena_valenti

„Ein Paar zu sein bedeutet nicht, damit aufzuhören, zwei Menschen zu sein.“ 

Diesen Satz schreibt Johanna Adorján in ihrer Kolumne Gute Frage im SZ Magazin Heft 43/2021. Und auch, wenn er dort in einem anderen Zusammenhang steht: Ich hätte treffender nicht ausdrücken können, warum wir eine offene Ehe führen. Wenn man mir allerdings vor ein paar Jahren noch erzählt hätte, dass ich bald verheiratet in einer offenen Beziehung leben würde, hätte ich nur ungläubig gelacht. Niemals, dafür bin ich viel zu eifersüchtig! – wäre meine Antwort gewesen. Eifersüchtig bin ich immer noch hin und wieder. Selten geht es dabei jedoch um meinen Mann. 

Monogamie auf Dauer? Funktioniert nicht.

Als wir uns vor sechs Jahren kennenlernten, waren wir sofort unglaublich verliebt. Wir verbrachten quasi jeden Tag zusammen und es dauerte nicht lange, bis ich bei ihm in die WG einzog. Dort führten wir stundenlange Gespräche darüber, was wir bisher erlebt hatten, was uns in einer Beziehung wichtig war und wie wir uns unsere Zukunft zusammen vorstellten. 

Dabei kamen wir auch darauf zu sprechen, wie wir damit umgehen würden, wenn die oder der andere fremdgehen würde. Ich hatte bereits erlebt, wie es sich anfühlte, betrogen zu werden und hatte auch schon selbst betrogen. Für mich war klar: Beides keine schönen Erfahrungen, aber monogam zu leben funktionierte auf Dauer auch nicht. Glücklicherweise waren wir uns da, wie so oft, sehr einig: Wir wussten beide, dass der Zeitpunkt kommen würde, an dem wir andere Personen (wieder) interessant fänden. Das hatten wir beide in vergangenen Beziehungen immer wieder erlebt und ich war diesbezüglich auch aufgrund meiner Familiengeschichte relativ desillusioniert. Und seien wir mal ehrlich – wir erleben und hören doch alle stets dieselben Geschichten: Ein Paar trennt sich, weil einer oder eine von beiden eine Affäre hatte, jemand anderen geküsst hat oder auf Dating-Apps unterwegs war. Fremdgehen und der damit verbundene Vertrauensverlust ist wohl der Grund für eine Trennung. 

Aufgeben ist keine Option.

Als ich meinen Mann kennenlernte, hatte ich gerade eine Therapie beendet und gelernt, gewisse Muster in meinem Beziehungsverhalten zu erkennen. Eines dieser Muster war, dass sich nach einer Phase des Verliebtseins – die üblicherweise etwa ein Jahr anhielt – auf einmal etwas in meinen Beziehungen veränderte: Hatte ich zuvor nur Augen für meinen Partner, wurde ich auf einmal wieder offen für die Blicke und Avancen anderer Menschen. Später lernte ich, dass es ganz normal ist, dass diese sogenannte “Honeymoon Phase” in Beziehungen vorüber geht. De facto würden wir den konstanten Rausch, den Verliebtheit mit sich bringt, nicht überleben, weshalb unser Körper uns die rosarote Brille irgendwann einfach wieder abnimmt. 

Nun mag das vielleicht naiv klingen, aber mein Mann und ich hatten uns zu Beginn unserer Beziehung fest vorgenommen: Aufgeben ist keine Option. Vielleicht, weil ich selbst Trennungskind bin. Vielleicht, weil wir einfach so wahnsinnig verliebt und deshalb völlig realitätsfern waren. Die Idee war also: Wenn wir schon nicht verhindern können, dass irgendwann auch wieder andere Menschen in unser Leben treten, warum dann nicht einfach abschaffen, dass das überhaupt ein Trennungsgrund ist? Warum nicht einfach ausprobieren, wie es sich anfühlt, zu sagen: Hey, es ist okay, wenn du Lust hast, zu flirten, eine*n andere*n zu küssen und mit anderen Menschen als mit mir zu schlafen. Ich kenne das Gefühl und es bedeutet nicht, dass wir einander weniger lieben. Mach das mal und viel Spaß dabei! Lass uns danach darüber reden, was das mit uns gemacht hat und wie es für uns war. 

K wie Kommunikation, V wie Vertrauen

Klingt zu schön um wahr zu sein? Jein. Das Projekt offene Beziehung erfordert unglaublich viel Kommunikation. Unsere Erfahrung ist: Wenn man will, dass es funktioniert, muss man über alles reden. Man muss zuweilen sein Innerstes nach außen kehren. Dabei kommen nicht nur schöne Dinge zum Vorschein – sondern ziemlich viele Altlasten, die man so im Laufe des Lebens angesammelt hat. So viel Ehrlichkeit bedeutet auch, Dinge zu sagen und zu hören, die weh tun. Klingt jetzt doch eher ziemlich anstrengend? Ist es mitunter auch. Aber das Schöne ist, dass man ja nicht alleine ist, sondern sich gemeinsam auf diesen Weg macht. Sich gemeinsam anschaut, woher die Eifersucht kommt, die Angst davor, verlassen zu werden oder das Gefühl, nicht gut genug zu sein, nur weil da eine andere Person auch interessant für meinen Partner oder meine Partnerin ist. 

Und das ist es auch, was diese Beziehungsform (für uns) so unglaublich bereichernd macht: Dieses Level an Vertrauen, an Tiefe, an Verbindung habe ich vorher noch nie in Beziehungen erlebt. Es war, als hätten wir gemeinsam eine neue Stufe erklommen und unsere Liebe mit der Entscheidung, die Beziehung zu öffnen, auf eine andere Ebene gebracht. Denn dass ich nicht für den Rest meines Lebens mit ein und derselben Person schlafen wollen würde, wusste ich schon lange bevor ich geheiratet habe. Dafür habe ich viel zu große Lust am Leben und am Ausprobieren. Dafür bin ich viel zu neugierig und finde Menschen viel zu spannend. Nie zuvor konnte ich mich aber in einer Beziehung mit diesen Bedürfnissen so ehrlich zeigen. Und hatte trotzdem, oder vielleicht gerade deswegen, das Gefühl, mit allem was ich bin, angenommen und geliebt zu werden. 

Respektvolles Miteinander statt Unverständnis

Oft begegnet man mir mit Unverständnis, wenn ich über das Warum unserer offenen Beziehung spreche. Gerade weiblich gelesene Personen erwidern oft, dass sie das nicht könnten und gleichzeitig auch kein Bedürfnis danach hätten. Mag sein, dass dem tatsächlich so ist. You do you! Dieser Text ist kein Manifest gegen die Monogamie. Mag aber auch sein, dass es in unserer Gesellschaft (ja, immer noch) verpöhnt ist, Spaß daran zu haben, mit (vielen) verschiedenen Menschen Sex zu haben. Als Frau wohlgemerkt. Und dann auch noch als Mutter! „Also, da hört’s bei mir auf“, um eine erfolgreiche Influencerin zu zitieren, die wir einmal zufällig auf einer Reise nach Korsika trafen und die unsere Geschichte ein paar Wochen später in einer Folge ihres Podcasts verarbeitete. 

Die häufigste Frage nach dieser Reaktion ist wahrscheinlich: „Und die Kinder?“ Ja, was ist denn mit den Kindern? Aus Altersgründen bekommen sie bis dato herzlich wenig von der Thematik mit – und wenn doch, erklären wir es ihnen altersgemäß. Wenn eine*r von uns über Nacht nicht da ist, dann kommunizieren wir das und erklären, dass die oder derjenige bei einem Freund oder einer Freundin schläft. In Diskussionen, die es natürlich wie in jeder Beziehung immer wieder gibt, leben wir ihnen hoffentlich vor, wie man respektvoll miteinander umgeht, auch wenn man unterschiedliche Bedürfnisse oder Ansichten hat. Irgendwann später verstehen sie vielleicht mehr und lernen, dass es verschiedene Beziehungskonzepte gibt und sie sich aussuchen können, welches sie leben möchten. Und im besten Fall profitieren sie einfach nur davon, dass ihre Eltern glücklich und ausgeglichen sind, weil sie sich gegenseitig die Freiheit geben, nicht nur Paar, sondern auch Mensch zu sein.