Flirten, Smalltalk und Balzgehabe

Das Studentenleben machte mir großen Spaß, doch Flirten? Was ist das? Was soll das sein und wie geht das? Ich hatte es nie „gelernt“, mich darin üben müssen oder Erfahrungen gesammelt.

Als ich mit 23 quasi das erste Mal in meinem Leben Single war, hat es einen Moment gedauert, doch nach einiger Zeit stellte ich fest: Krass, ich habe jahrelang Flirtversuche ignoriert. Es schlichtweg nicht verstanden, was das Mädel mir gegenüber in der Bar sagen wollte. Wahrscheinlich hat sich die ein oder andere verarscht gefühlt. Doch es war reine Naivität und ich hatte definitiv einigen Nachholbedarf im Flirten, Smalltalk und Balzgehabe. 

„Warum denn nicht?“

Als ich mich damit abgefunden hatte, kam fast gleichzeitig der Kulturschock: Studieren in der Nähe von Berlin. Mit jeder Menge Berliner*innen. Modelle wie Offene Beziehungen oder Polygamie drangen aus gefühlter Fiktion zumindest bis in den Sprachgebrauch vor. Von da aus fing es bei mir an, zu rattern, und es weckte in mir zumindest das Interesse, was es da neben der bis gerade eben noch nie in Frage gestellten Monogamie noch so gibt. 

Das „Warum denn nicht?“ einiger, die so ein Modell lebten, stellte mich dabei nicht zufrieden. Ich wollte auf die Frage „Warum?“ mehr als eine Gegenfrage als Antwort haben. Zumindest, bis ich die Liebe meines Lebens und Mutter meiner beiden Kinder kennengelernt hatte. Von da an war das Thema für mich erledigt. Doch Jahre später stolperte ich zufällig über das letzte Puzzleteil, mit dem ich sagen würde: Jap, ich habe eine eigene Meinung dazu. Von diesem Puzzleteil möchte ich hier gerne erzählen.

“Die Biologie der glücklichen Liebe”

Das Puzzleteil war eine Podcast-Folge. Ein Arbeitskollege ist großer Fan des Podcasts „Hörsaal“ von Deutschlandfunk Nova und erzählte uns im Büro von der letzten Folge, die er gehört hatte mit dem Titel “Die Biologie der glücklichen Liebe“. Ohne besondere Erwartungen an den Podcast und diese Autofahrt nach Feierabend hörte ich Herrn Professor Thomas Junker aufmerksam zu. Er wurde als Biologiehistoriker vorgestellt und begann seinen Vortrag mit genau den Fragestellungen, die ich Jahre zuvor hatte, in Bezug auf unterschiedliche Partnerschaftsmodelle. Kurz gesagt: Warum jenes oder welches? Warum nicht und warum doch? 

Ich musste etwas schmunzeln, denn er stützte einen großen Teil seiner These auf den Vergleich der Hodengröße unterschiedlicher Menschenaffenarten. Wie bitte? Ja, richtig gehört. Hodengröße. Anhand dieser könne man weitreichende Rückschlüsse auf Sex, Partnerschaft und Leben in der Gemeinschaft ziehen. Diese ergaben für mich vollkommen Sinn. Der Bonobo mit den verhältnismäßig größten Hoden zum Beispiel vollführt regelrechtes Rudelbumsen und es gilt: Wer am meisten Sex hat, wird auch die meisten Nachkommen zeugen. Dominanz durch möglichst viele Befruchtungsversuche. 

Der Gibbon hingegen, der dem Menschen anatomisch (Verhältnis von Hodengröße zu Körpergewicht) am ähnlichsten ist, hat deutlich kleinere Hoden. Das ergibt in seiner Lebensweise auch Sinn. Er dominiert seine Mitbewerber nämlich nicht über mehr Befruchtungsversuche, sondern über körperliche Auseinandersetzungen. Hat er im Kampf ein Weibchen für sich gewonnen, kann er sich in Ruhe fortpflanzen und lebt mit ihr in einer Partnerschaft.

Zumindest in einer Partnerschaft auf Zeit, bis der Nachkomme oder die Nachkommen aus dem Gröbsten raus sind. Dann entscheidet sich, ob das Paar weitere Nachkommen zeugt oder sich dafür andere Partner*innen sucht. 

Alles kann, nichts muss!

Projiziert auf den Menschen kommt Herr Professor Junker zu dem Schluss, dass der Mensch biologisch für eine Partnerschaft auf Zeit ausgelegt ist mit einer Paarbindung für etwa vier bis sieben Jahre. Ob das vielleicht sogar eine Erklärung für das berühmte „verflixte 7. Jahr“ ist, lässt er als mögliche These im Raum stehen. 

Zusammenfassend schwingt für mich mit: Alles kann, nichts muss! Das darf und sollte jedoch bei Bedarf in gewissen Intervallen hinterfragt und angepasst werden (dürfen). Für mich drückt es unterm Strich aus, dass die Verantwortung für seine Kinder eine genauso große Rolle spielt, wie die Verantwortung für sich selbst. Die Gewichtung kann aber in gewissen Abständen variieren. Sich von Zeit zu Zeit umzudrehen. Zu betrachten. Zu hinterfragen. Die Partnerschaft im Sinne aller Familienmitglieder zu beurteilen. 

Aber hört euch die Folge am besten selbst an.

Quelle: Deutschlandfunk Nova, Podcast Hörsaal vom 29.12.2019. Vortrag “Die Biologie der glücklichen Liebe: Alles Evolution oder könnten wir auch ganz anders leben?” Von Biologiehistoriker Prof. Thomas Junker. Aufgezeichnet am 25. November 2019 im Rahmen der Offenen Hochschule Erding an der Volkshochschule im Landkreis Erding.