geschrieben von Felicia Membarth @felicia.amelie

Heute sitze ich in der Sonne im Süden Sardiniens. Die Sonne scheint warm in mein Gesicht, der Aperitif in meiner Hand glänzt orange und schmeckt kalt und stark. Ich schließe die Augen, höre meine Tochter und meinen Mann lachen und schreien. Ich atme tief ein und aus. Lächle. Wer hätte gedacht, dass mir so ein Leben vergönnt ist. Einzig meine Haut erinnert auf den ersten Blick daran, dass es mal ganz schön knapp war. So knapp, dass ich um ein Haar heute hier nicht sitzen könnte.

Es war ein ebenso schöner Sommertag damals im März 2014, als ein Grillnachmittag mein Leben als 17-Jährige auf einen Schlag komplett veränderte. Aus Sonne, Spaß, einem Bier und guten Freunden wurde ganz schnell ein Kampf ums Überleben. Hubschrauber, Koma, Krankenhaus, Operationen, Reha und Narben fürs Leben.

Eine blöde Aktion eines anderen Anwesenden. Sein Versuch den Grill mit etwas Spiritus nochmal anzufeuern führte dazu, dass ich mit voller Wucht von einer Stichflamme getroffen wurde und wortwörtlich in Flammen stand. Voller Panik sprang ich auf, wurde zu Boden gestoßen, die Flammen gelöscht. „Nein. Das passt mir gerade gar nicht. Ich habe doch Pläne!“, waren meine Gedanken. „Jemand muss meine Mutter informieren.“ Ich sagte immer wieder ihre Telefonnummer und dass jemand sie anrufen müsse. „Ich kann doch jetzt keinen Unfall haben. Ich habe doch Termine, bin verabredet.“

Damals war mir das Ausmaß des Ganzen nicht bewusst. Vielleicht zum Glück. Das Letzte, was ich hörte, war die Stimme meiner Mutter: „Ich bin da, Fee. Alles ist gut, ich bin da.“ Erleichtert schlief ich ein.

Ich verschlief den Kampf um mein Leben

Fast 6 Wochen später wachte ich erst wieder auf. In einer anderen Stadt, einem fremden Zimmer, umgeben von fremden Leuten. Was war passiert? Wo war ich? Ich war in einer speziellen Klinik für Brandverletzte, fast 200 Kilometer weit weg von Zuhause, denn dieser schöne Frühlingsnachmittag endete für mich mit Verbrennungen unterschiedlicher Tiefe von 55 % meiner Körperoberfläche. Im Koma verschlief ich etliche Eingriffe: Hauttransplantationen, Verbandswechsel, Probleme meiner Lunge. Ich verschlief den Kampf um mein Leben, den tolle Ärzt:innen und Pfleger:innen gemeinsam mit mir kämpften. Wie knapp es tatsächlich war, wie gering meine Überlebenschancen, wurde mir erst viel später bewusst, als ich selbst im Medizinstudium war.

Nach weiteren Wochen in der Klinik und in einer Reha-Einrichtung durfte ich nach 4 Monaten endlich nach Hause – die Freude war riesig. Doch dort warteten erst die noch viel schwierigeren Hürden auf mich. Akzeptanz, von anderen und von mir selbst, öffentliches Auftreten, lange Kompressionstherapie, mehrere Folgeoperationen zur Verbesserung der Beweglichkeit, Physio-, Logo- und Psychotherapie-Sitzungen mehrmals in der Woche, Schule und das Schlimmste: mich immer wieder aufzuraffen. Raus zu gehen, trotz der Blicke anderer, trotz des Tuschelns, des Starrens, trotz meines anderen Aussehens.

Verbrennungen von 55 % der Körperoberfläche hinterlassen eben Narben, welche immer nach außen sichtbar sind. Meine Haare, die davor immer hüftlang waren, waren auf einmal ganz kurz, ich war anfangs dünn, schwach und musste immer spezielle Kleidung tragen, die Sonne meiden. Ich musste laufen lernen, laut sprechen lernen und vor allem musste ich lernen, mich zu akzeptieren und mich wegen meines Unfalles nicht zu verstecken. Nach und nach mit der Hilfe meiner tollen Familie und vielen Freunden klappte es immer besser.

Ich fing an, meine Narben weniger zu sehen

Ich ging meinen Weg weiter, lernte, Blicke von anderen nicht zu beachten, lernte, über meinen Unfall zu sprechen, lernte, mich selbst zu lieben, trotz und vor allem mit all meinen Macken. Ich begann mein Medizinstudium, um selbst einmal Patient*innen helfen zu können, die ein schlimmes Schicksal ereilt. Ich fing an, meine Narben weniger zu sehen und mich mehr zu akzeptieren und lieben.

Und als ich irgendwann schon gar nicht mehr daran glaubte, lernte ich jemanden kennen, der dies auch tut. Der mich sieht, ganz und gar, mich liebt, so wie ich bin, und mir an Tagen, an denen ich es selbst nicht so gut kann, die nötige Kraft gibt, mich trotzdem zu akzeptieren. Mit dem ich eine tolle Tochter habe, die mir jeden Tag aufs Neue zeigt, wie toll diese Welt ist, in der wir leben, und wie viel es hier zu entdecken gibt. Und die mir immer wieder vor Augen führt, wie schön es doch ist, dass ich all das erleben darf. Dass ich überleben durfte und dieses Leben leben darf.

Denn: Ist es perfekt? Nein. Auch für mich gibt es immer wieder schwere Tage. Tage, an denen die Haut juckt und spannt. Tage, an denen mir alles lieber wäre, als schon wieder zur Physiotherapie zu müssen. Oder wenn der Sommer kommt und die Klamotten kürzer werden und ich wieder all den Blicken ausgesetzt bin. Dann muss ich mich jedes Jahr aufs Neue erst einmal daran gewöhnen, bis ich sie nicht mehr wahrnehme.

All diese Schmerzen machen mich zu der Person, die ich heute bin

Wünsche ich mir manchmal, dass dieser Unfall damals nicht passiert wäre? Ja. Ja, denn es hätte mir so viele Schmerzen erspart, es hätte mir ein „normales“ Aussehen gegeben, ich wäre vielleicht doch Sängerin geworden, meine Familie und ich hätten nicht so viel leiden müssen. Aber eigentlich nein. Ein ganz klares NEIN! Denn ohne die Geschehnisse von damals wäre ich heute nicht wo und wer ich bin. All diese Schmerzen, die unzähligen Kämpfe, die Blicke, die Hürden machen mich zu der Person, die ich heute bin.

Wer weiß ob ich heute an dem Punkt in meinem Leben wäre: fast Ärztin mit nur noch 6 Monaten Studium vor mir, mit einer Tochter, die mit ihren blauen Augen und strohblonden Haaren so laut „nommal“ schreit, wenn wir uns wild im Kreis drehen, mit einem Mann, der für mich mit Sack und Pack 4 Monate in ein Land zieht, obwohl er nicht mal die Sprache spricht, weil ich hier gerne ein Praktikum machen will, und der mich so liebt, wie ich bin. Mit einer Familie, die immer hinter mir steht und auf die ich mich zu 100 % verlassen kann. Mit einem Körper, der zwar nicht normschön ist, mit dem ich aber einen Marathon rennen, Schwimmen und Wandern gehen kann, mit dem Rennrad ans Mittelmeer fahre, der Nächte durchtanzen kann, der langes Stehen im Operationssaal aushält und auf den ich mich jeden Tag verlassen kann.

Ich habe noch so viel vor

Man könnte sagen: Puh, ist das alles positiv, das nervt ja schon fast. Aber: So bin ich. Ich versuche, aus allem das Beste zu machen. Denn für mich ist ein Happy End irgendwie auch eines, weil ich es eben beschließe. Ich finde meines meistens ziemlich „happy“ und hoffe, dass es noch lange nicht das Ende ist. Denn: Ich habe noch so viel vor! Ich muss es schließlich ausnutzen, dass mir dieses Leben geschenkt wurde.

Und so feiere ich jedes Jahr zweimal Geburtstag, jeweils an einem 21. des Monats. Einmal, als meine tolle Mutter mich auf die Welt gebracht hat, und einmal, als mir noch einmal eine Chance gegeben wurde zu leben. Also tue ich es. Ich lebe. Mit meinem Aperitif in der Hand stoße ich an. Auf mich. Denn viel zu selten feiern wir uns selbst und all das, was wir bisher schon geschafft haben. Also lasst uns dies einfach öfter tun und ein Stück zu unserem eigenen Happy End beitragen.