Wellen

geschrieben von Yara Peterko

Ein bisschen wie Campen

Die Urlauber kommen mit der Erwartung, hier sei die Zeit stehen geblieben. Hauptsächlich wohl, weil es hier keine Autos gibt, keine asphaltierten Straßen und auch keine Straßenbeleuchtung. Ich lebe seit mittlerweile fast zwei Jahren auf der kleinen Kanalinsel Sark. Auf Little Sark, um genau zu sein.

Little Sark ist noch ein bisschen kleiner und um hierher zu kommen, muss eine lange, recht steile Klippe überquert werden. Zu Fuß natürlich oder mit dem Fahrrad. Es gibt Inselbewohner, welche trotz der geringen Größe von Sark (nur 5,5 Quadratkilometer) seit Jahren schon nicht mehr auf Little Sark waren. Einfach weil es vergleichsweise weit ab vom Schuss liegt.

Und hier wohnen wir. In einem Haus ohne Küche. Was wir haben, ist allerdings ein AGA-Ofen im Wohnzimmer und einen Eingangsbereich, in welchem ein Waschecken und ein kleiner Kühlschrank (ohne Gefrierfach) ihren Platz gefunden haben. „Ein bisschen wie Campen“, nennt meine Mama es.

Wenn man mich also fragt, wie es ist, auf Sark zu leben im Vergleich zu Österreich, ist es vor allem unsere aktuelle Wohnsituation, welche es sehr speziell macht, und weniger die restlichen Rahmenbedingungen. Zumindest kann ich mir vorstellen, dass es in ländlichen Gegenden in Österreich oder Deutschland ähnlich abläuft, wenn man kein Auto zur Verfügung hat und der öffentliche Nahverkehr nicht gut erreichbarist. 

Wir haben hier auf der Insel zwei kleine Supermärkte. Von der Größe her ungefähr so, wie man es vom österreichischem „Greisler“ kennt. Allerdings gibt es nicht immer alles. Und damit meine ich nicht nur wenig Auswahl, z.B. nur eine Sorte von etwas, sondern manchmal gibt es manche Dinge einfach nicht, weil sie schneller ausverkauft sind als gedacht und das Cargo-Boot nur zweimal die Woche liefert.

Und wer auf Little Sark wohnt, sollte auch bedenken, dass die Einkäufe 2,5 Kilometer weit über hügelige Schotterwege nach Hause transportiert werden müssen. Besonders mit Kind im Fahrradsitz eine Herausforderung. Also geht man am besten dienstags Einkaufen und lässt es sich mittwochs liefern.

Eigentlich schlau, aber nicht, wenn man vergisst, dass der Traktor (ja, die gibt es hier) die Lieferung erst um 14 Uhr bringt, wenn der Tisch schon gedeckt und die Soße gekocht ist. So sitzen wir hier also und warten, bis der Traktor die Nudeln bringt, und ich habe etwas Zeit, diese Zeilen zu tippen.

Ich vermisse die kleinen Dinge, die einem das Leben leichter machen, einen Geschirrspüler, mal eben schnell Einkaufengehen, wenn etwas fehlt, eine Zentralheizung. Aber all das haben wir auch bald hier auf Sark, denn es ist ein Haus auf Big Sark frei geworden, in welches wir ab Januar 2023 ziehen können.

Auswandern ist wunderschön, aber nicht einfach

Warum wir überhaupt nach Little Sark gezogen sind? Auswandern ist wunderschön, aber nicht einfach. Vor allem nicht während der Pandemie und mit Kleinkind. Es musste schnell eine Wohnlösung her, um auf der Insel, in die wir uns verliebt hatten, bleiben zu können und so wurde es erstmal das Haus in der ländlichsten Gegend des Landes. Und es war ein tolles Jahr, und wäre ich nicht schwanger geworden, wären wir vermutlich auch geblieben. Ich merke jetzt in der 31. Schwangerschaftswoche schon, wie viel es mir abverlangt, mit meinem 2,5 Jahre alten Sohn das schmale Verbindungsstück nach Little Sark zu überqueren. Hut ab vor allen, die das vor mir schon gemacht haben, aber für mich ist es einfach eine körperlich zu große Herausforderung, wenn ich daran denke, es bald mit zwei kleinen Kindern bewältigen zu müssen. Ich wünsche mir spontane Ausflüge auf den Spielplatz, an den Strand und ins Café, ohne mir jedes Mal zu denken, ich wäre gerade trainieren gewesen.

Vielleicht habe ich bewusst mit den harten negativen Seiten begonnen, da ich es immer etwas schwierig finde, wenn Auswanderer einem das Gefühl vermitteln, sie leben den ultimativen Traum und alle anderen sollten es auch versuchen. Das Leben hier ist sicher nicht für jeden etwas, genauso wie es nicht für jeden etwas ist, in einer Großstadt zu leben. Was ich aber auf jeden Fall liebe ist, wie einfach es hier ist, Eltern zu sein. Es gibt so wenige Dinge, die wir verbieten müssen, auf die wir achten müssen, weil hier einfach wenig Gefahren lauern und Eltern sich gegenseitig nicht bevormunden. Jeder macht die Dinge, so wie er oder sie es für richtig hält, und die Kinder haben viele Freiheiten.

Mode und generell Konsumgüter sind hier kein großes Thema. Gelegenheitskäufe à la „Man wollte eigentlich einen Suppentopf, aber kam mit 20 Kerzen und Bilderrahmen zurück“ gibt es nicht. Denn entweder man fährt auf die Nachbarinsel Guernsey, um bewusst etwas zu kaufen, oder man bestellt es im Internet, was bei kleineren Dingen ganz gut funktioniert.

Obwohl … in den Wintermonaten hat man einmal im Monat die Chance auf Gelegenheitskäufe: Beim Jumble Sale verkaufen die Inselbewohner alles, was zu Hause nicht mehr benötigt wird für 0,50 GBP das Stück. Hier bekommt man von Kinderkleidung über Bücher und Haushaltsgegenstände alles, was man sich so vorstellen kann. Auch Möbel sind hier immer wieder zu finden. Denn was einmal auf die Insel kommt, das verlässt sie nicht so schnell wieder. Man nimmt also eher das, was leicht zu bekommen ist, wenn es etwas gibt, was einem grundsätzlich gefällt, statt kompliziert neu zu bestellen.

Ja, es ist so ein bisschen wie in jedem anderen Dorf, denke ich, aber einen großen Unterschied gibt es noch für mich, der das Leben hier so besonders macht und den ich in Österreich anders erlebe am Land. Die Leute, die auf Sark leben, die arbeiten auch auf Sark, eine andere Möglichkeit gibt es nicht. In Österreich fahren die Leute häufig in die Stadt zum Arbeiten und unter der Woche trifft man kaum Leute auf Spielplatz und Co. Die Infrastruktur im Ort stirbt aufgrund der Nähe zu großen Zentren aus und es kann einem wirklich die Decke auf den Kopf fallen, wenn man mit Kind allein zu Hause ist. Hier gibt es so viel zu entdecken und zu erleben, dass wir die geringe Größe der Insel kaum merken.

Ich könnte noch viel mehr erzählen …

Die Nudeln sind nun da und die zwei Seiten schon vollgeschrieben. Dabei könnte ich dir noch viel mehr erzählen, vom ersten halben Jahr hier auf der Insel, als mein Mann plötzlich nur noch auf Krücken unterwegs war, wie ich dadurch zu meinem Job gekommen bin und wie es ist, hier schwanger zu sein, und warum wir trotzdem für die Geburt nach Österreich gefahren sind. Wie wir überhaupt auf diese Insel gekommen sind. Wie wir unseren Alltag ohne externe Kinderbetreuung bisher meistern und was wir machen, wenn unser Kind in die Schule kommt. Über das Leben im Winter und im Sommer und Dinge, die man immer noch vermisst …