Die meisten von uns kennen ihn wohl – den Wunsch, im Leben anzukommen. Gemeinsam mit einem Partner oder einer Partnerin, oft auch in Verbindung mit der Gründung einer Familie, einem Eigenheim oder Haustieren. Aber was ist, wenn es Zuhause nur noch knallt? Wenn Türen geschmissen werden und das Gefühl, eigentlich gehen zu wollen, immer größer wird? 

Wenn der Haussegen schief hängt

Das Bild einer glücklichen Familie. Es ziert Familienmagazine, Werbung für Urlaubsreisen und Plakate für Schwimmbäder. In vielen Familien in Deutschland sieht der Alltag jedoch ganz anders aus. Eltern streiten sich, schreien sich an und schmeißen mit Schimpfwörtern um sich. Sie könnten von ihrem Versprechen „Ich will dich lieben, achten und ehren…“ am Tag der Hochzeit nicht weiter entfernt sein als der Nord- vom Südpol. 

Wenn diese Paare gefragt werden, warum sie noch zusammen sind, dann ist das größte Argument oft eine gemeinsame Verbindung, die von dem Paar gleichzeitig als Verpflichtung wahrgenommen wird. 

„Wir haben ja die Kinder und die brauchen beide Elternteile“, ist oft eines der Argumente, die solche Paare anführen. Und ja, das stimmt. Natürlich ist es für die Kinder die beste Lösung wenn beide Elternteile für sie da sind.** Aber sie brauchen auch eine Mutter, die zuhört, wenn die Tochter von ihrer 5 in Mathe erzählt. Nicht parallel versucht, die letzte Kränkung ihres Mannes/ihrer Frau zu verarbeiten. Und sie brauchen einen Vater, der mit ihnen lacht, wenn sie am Küchentisch einen auswendig gelernten Witz erzählen. Nicht in Gedanken überlegt, wie er sich schnellstmöglich der Situation entziehen kann, um seiner Frau/seinem Mann nicht mehr in die Augen sehen zu müssen. 

Kurzum, sie brauchen Eltern, denen es gut geht und die sie beim Erwachsenwerden begleiten. 

**Wir gehen in unserem Artikel von einer generellen Betrachtung auf Familien aus. Natürlich gibt es Einzelfälle in denen es für die Kinder besser ist wenn ein Elternteil sich aus dem Leben des Kindes/der Kinder zurückzieht. In diesem Fall empfehlen wir den Einbezug eines Experten oder einer Expertin.

Wenn eine Trennung das Richtige ist

Das Bild der glücklichen Familie loszulassen und den Weg der Trennung zu gehen, ist für Kinder oft der bessere Weg. Denn eine Trennung bedeutet für Kinder keineswegs, auf ein Elternteil verzichten zu müssen. Ja, nach der Trennung wird es anders. Es wird zu Beginn schwierig: Es wird allen Beteiligten wehtun. Es wird Regeln und Kompromisse geben müssen. Und es wird, gerade um die neuen Regeln und Absprachen, zunächst weiter Streit geben. Aber wenn die Ambivalenzphase der Trennung überwunden ist, steckt darin eine echte Chance. 

Eine Chance nicht nur für das getrennte Paar, sondern auch für die Kinder. Für die Kinder, die nun die Möglichkeit haben, ihren Eltern wieder zu begegnen. Für die Kinder, die sich wieder trauen, frei zu sprechen, ohne befürchten zu müssen, etwas zu sagen, was den nächsten Streit der Eltern „verursachen“ könnte. Für die Kinder, die durch die unterschiedlichen Erziehungsstile ihrer Eltern nun erfahren, dass es nicht den einen Weg zum Erwachsenwerden gibt. Sondern dass bei dem einen Elternteil das erlaubt ist und bei einem anderen Elternteil dafür etwas Anderes. Sie können von den verschiedenen Erziehungsstilen der Eltern profitieren und lernen so, dass es für unterschiedliche Situationen und Probleme verschiedene Wege gibt, diese zu bewältigen. 

Oft werden die feinen Antennen der Kinder unterschätzt. Die Argumente der Eltern: „Wir achten darauf, dass wir nur streiten, wenn die Kinder im Bett sind“ oder „Wir werden niemals laut, wenn wir streiten“ lassen dabei nur die Eltern selbst besser schlafen. Tatsächlich spüren die Kinder aber auch die ungesagten Dinge, Worte, die in der Luft hängen. 

Meine Empfehlungen

Um die Beziehung festzuhalten, braucht es Eltern, die bereit sind, gemeinsam an der Partnerschaft zu arbeiten, um sich wieder einander zuwenden zu können. Das ist natürlich der wünschenswerteste Weg für alle Familienmitglieder. Wenn einer der Partner*innen sich das jedoch nicht vorstellen kann und der Weg, die Beziehung loszulassen, unumgänglich ist, habe ich an dieser Stelle ein paar Learnings, um es deinem Kind oder deinen Kindern etwas leichter zu machen: 

  • Erkläre deinem Kind/deinen Kindern die Situation in Ruhe und nach Möglichkeit mit deinem Partner oder deiner Partnerin gemeinsam. Mach an dieser Stelle deutlich, dass ihr zwar als Liebespaar getrennte Wege gehen werdet, aber als Elternpaar weiterhin an der Seite eures Kindes/eurer Kinder seid. 
  • Redet nicht schlecht über den anderen Elternteil. Kinder lieben beide Elternteile und sollten nicht den Eindruck bekommen, sich entscheiden zu müssen. 
  • Oft fällt es schwer (vor allem wenn die Trennung nicht einvernehmlich war), sich die Trauer um die verlorene Beziehung vor dem Kind/den Kindern nicht anmerken zu lassen. Versuch es dennoch. Dein Kind wird andernfalls das Gefühl haben, dich nicht alleine lassen zu können. Es macht sich Sorgen und möchte für dich da sein. Kurzum, es übernimmt zu einem Zeitpunkt Verantwortung, an dem es viel zu jung dafür ist. 
  • Mach dir bewusst, dass deine Partner oder deine Partnerin genauso ein Anrecht auf das gemeinsame Kind/die gemeinsamen Kinder hat wie du selbst. Die Tatsache, dass du deinen Partner oder deine Partnerin nicht mehr an deiner Seite willst, ändert nichts daran, dass er oder sie für euer/eure Kind*er eine genauso wichtige Bezugsperson ist und das auch in Zukunft bleiben darf. 
  • Es kann sein, dass du eine Veränderung an deinem Kind wahrnimmst. Vielleicht sucht es häufiger deine Nähe. Es möchte wieder in deinem Bett schlafen, sich nicht mehr mit Freund*innen verabreden, um mehr Zeit mit dir zu verbringen oder weint mehr als vor dem Zeitpunkt der Trennung. Gib deinem Kind/deinen Kindern Zeit, sich an die neue Situation zu gewöhnen. Erwarte nicht, dass sofort alles reibungslos funktioniert. Es ist für alle eine neue Situation. 
  • Schafft bei beiden Elternteilen einen Ort (vielleicht sogar ein eigenes Zimmer) für euer Kind oder eure Kinder. Es tut gut, zu wissen, dass sie bei beiden Elternteilen ein Zuhause haben. Dabei ist es ausgesprochen hilfreich, wenn bei beiden Elternteilen eine Grundausstattung an Kleidung und Spielzeug vorhanden ist, damit das Kind bei beiden Elternteilen zur Ruhe kommen kann und nicht permanent aus einer Reisetasche lebt. 
  • Rede offen und zu jeder Zeit mit deinem Kind/deinen Kindern über die neue Situation und beantworte geduldig ihre/seine Fragen. Es gibt sehr gute Kinderbücher zum Thema Trennungen, die Kindern das Thema spielerisch beibringen, zum Beispiel „Die Sehnsucht des kleinen Orange“ von Judith Zacharias-Hellwig. Gleichzeitig sind es übrigens oft genau diese Kinderbücher, die den Eltern vor Augen führen, wie Trennung und das damit verbundene Loslassen gehen können…