Immer, wenn ich meinen anderthalbjährigen Knirps aus der Kita abhole, denke ich: jetzt Spielplatz? Ohgott, nee. Bloß nicht. Dann gehe ich mit ihm woanders hin und grübele vor Ort, ob ne Runde aufm Spieli jetzt nicht doch geiler gewesen wäre. Er ist wie ein toxischer Ex-Lover in meinen Zwanzigern: Ich kann nicht mit, noch ohne ihn. Zwei Herzen in meiner Brust.

Allein wie die Sitzbänke am Rande im Kreis herum aufgebaut sind: ein modernes Amphitheater, bereit für den nächsten Gladiatorenkampf. Wer darf als nächstes auf die Wippe? Eine Parallelwelt mit eigenen Regeln, in der der einzig gemeinsame Nenner das Elterndasein ist. Wenn ich mit Eimer und Schaufel im Arm den Spielplatz betrete, fühle ich mich wie auf einer Netzwerkveranstaltung, bei der ich von meiner Abteilungsleitung gezwungen wurde, Kontakte zu knüpfen. Oder zumindest am Buffet unangenehmen Smalltalk zu führen.

Smalltalk. Das versucht auch der gelangweilte Vater am Spielhäuschen. Die Kinder winken uns durch die Fenster und toben durch die Eingänge. Langes Schweigen. Seufzen. Bloß das eigene Kind beobachten, damit sich die Blicke nicht treffen. „Wie alt ist Ihrer?“, fragt er mich. Mission gescheitert. Muss ich nun Energie investieren für ein vorhersehbares Gespräch mit einem Menschen, den ich wahrscheinlich nie wieder sehe? Wo sind die spannenden Fragen, die einem gestellt werden könnten? Irgendwas anderes außer dem fucking Alter oder dem fucking Geschlecht. Der gute Humor? Ehrliche Bekenntnisse – zum Beispiel, dass wir nicht die Kraft haben, zum fünfzigsten Mal heute das Bauernhofbuch zu lesen? Oder neue Ideen, neuer Input, Sichtweisen? 

Immer in Sicht ist der kleine Ferdinand. Seine Mutter begleitet jeden Schritt, wuselt um ihn herum. Der Wechsel von Spielgerät A zu Spielgerät B wird Schritt auf Tritt begleitet, er wird überall hochgehoben. Nervöse Blicke, wenn er sich auf der Rutsche nicht rücklings auf den Bauch legt. Der Bauch von der kleinen Emine hingegen ist voll.  Selbstgemachte Dinkel-Rote-Beete-Waffeln, dazu geschnittenes Obst und Wasser. Franz möchte auch in die Tupperdose fassen. „Sie darf auch von unseren Snacks gern essen!“, lächelt Franz‘ Mutter das kleine Mädchen an und hält eine Tüte Kekse aus der Drogerie hin. Während Emines Mutter noch grübelt, wie sie da jetzt rauskommt, grabscht ihre Tochter bereits mit sandigen Fingern in die Packung. 

Sand ist sowieso überall. In den Schuhen, unter den Fingernägeln, im Rucksack, zwischen den Schneidezähnen. Gerne auch – falls es ein Brunnen-Spielplatz ist – in Matschform in den Haaren. Und was macht man eigentlich in einer Mietwohnung, in der man nichts ins Treppenhaus stellen darf, mit matschigen Hosen und Jacken? Frage für eine Freundin. Sich am Sandkasten einen krummen Rücken zu holen ist so unspaßig. Die Sandburg wird nur gebaut, um zerstört zu werden. Und wieder. Und wieder. 

Und wieder scrollt das eine Elternteil durch Instagram, während es von der Sitzbank aus immer mal wieder kurz hochguckt, ob das Kind noch am gleichen Fleck spielt. „Mama, guck mal! Guck mal!“, schreit der Nachwuchs von der Hängebrücke. Es bricht mir das Herz. Denn ich verstehe die Kleinen, die uneingeschränkte Aufmerksamkeit einfordern. Und ich verstehe das Elternteil, das ausgebrannt ist, online Me-Time möchte oder sich vielleicht gerade auf Vinted durch Wollseidebodys scrollt. Oder eben durch sinnlose Reels. Auch okay. 

„Okay, okay“, flüstert der Papa seinem Kleinen zu. „Das hat aua gemacht ne?“ Ein Strich über die Beule an der Stirn. Es ist wieder Action im Amphitheater. Wenn es zu Verletzungen oder Wutanfällen kommt, spürt man die Blicke im Nacken. Als würde mein Deutschlehrer beim Diktat mir über die Schulter schauen. Wie reagieren die Elternteile? Live dabei beim Clash der Erziehungsmethoden. Methodisch interessant auch die Tricks der Großen und Kleinen beim Verlassen der Tobezone:

„Wir müssen JETZT los! Nur noch 1x Rutschen.“

 Kind: „Ok. Nur noch 1x viermal“.

Viermal oder vierzigmal: die Frage auch an der Schaukel. Welche Zeit ist angemessen, den Platz zu besetzen, während sich Kinder – und ebenso ihre Eltern – vordrängeln und unruhig werden. Ich kann das Quietschen der Schaukel schlecht genießen, wenn uns andere Kinderaugen anstarren. Geschaukelt wird bei uns nur, wenn alle anderen schon zum Abendbrot heimgehen. Oder wenn wir als Stadtfamilie auf dem Land sind. Wo Spielplätze leer sind. Schön leer, schrecklich leer. Ausgestorben, trostlos teilweise. Hat ja auch jeder seinen privaten Spielplatz im Garten. Aber im Garten-Kletterhaus haben Teenager nicht Penisse und Schimpfwörter zwischen die Latten gekritzelt. 

Spielplatz.

Einer schreit immer.

Aber: Einer lacht auch immer.

Und sehr oft sind das tatsächlich wir. Wenn wir aus dem Sand die besten Kiesel gesiebt haben, wenn wir in den Büschen verstecken spielen und uns am Spielhäuschen jubelnd entgegenlaufen. Wenn wir die Schaukel zum Brummkreiseln aufdrehen, bis dem Kleinen schwindelig wird. Oder seine Augen stolz strahlen, weil er zum ersten Mal die erste Stufe zum Klettergerüst alleine geschafft hat. Ja, unterm Strich liebe ich die Zeit auf dem Spielplatz. Meistens. Denn neben all dem Nervkram werde auch ich zum Kind, zwänge mich wieder durch enge Tunnel, in denen ich jodele. 

Für mein Baby, das kein Baby mehr ist, bedeutet der Spieli: Abenteuer an der frischen Luft, sozialer Kontakt mit Kids außerhalb seiner Kita-Bubble und vielleicht am wichtigsten: ein Ja-Ort. Ich nerv mich selber, aber ich sage als Mama zuhause so oft „Nein“. Wenn Papas Bücher aus dem Regal gerissen werden oder im Windeleimer rumgepult wird. Kaum gehe ich aus der Haustür, begrenze ich ihn wieder: Nein, bitte bleib stehen. Nein, bitte nicht mit Steinen an den Autos kratzen. Im Supermarkt: Nein, es gibt jetzt keinen tiefgefrorenen Lachs auf die Faust. Im Freibad: Nein, du darfst Mama nicht die Bikinihose runterziehen und „Vulva“ schreien. 

Aber auf dem Spielplatz greife ich höchstens ein, wenn er anderen Kindern wehtun sollte. Er darf klettern, wo er hochkommt, er kann laufen, wohin er will, er darf Sand fressen oder sich in einer Pfütze rollen. Hier ist Ja-Ort. 

Deshalb möchte ich heute DANKE sagen.

Danke, lieber Spieli. 

Dass du an jeder Ecke wartest und uns immer mit anderen Spielgeräten entertainst. 

Danke, dass du Sitzgelegenheiten in Schatten und Sonne hast und man sich auf dir eigentlich immer am besten mit Freundinnen unterhalten kann. 

Danke, für all die Snacks, die Eltern sich auf dir teilen.

Danke, dass du ein geschützter Raum zum Toben bist. 

Danke, dass du unseren Kleinen glücklich machst. 

Und damit auch mich.

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