geschrieben von Friedericke 

Meine Mantras

„Jede Frau kann natürlich gebären“ und „Meine Geburt wird wunderschön“ – das waren die zwei Mantras, mit denen ich an die Geburt meines Kindes gegangen bin. Schon lange hatte ich den Wunsch nach einer Hausgeburt und dank einer unkomplizierten Schwangerschaft (die 26 Wochen Übelkeit aus der Hölle mal ausgenommen), sprach auch nichts dagegen. Gerade in Corona-Zeiten freute ich mich sehr darauf, entspannt zu Hause mein Kind zu bekommen, interventionsfrei und in einer für mich sicheren Umgebung. Wehen veratmen und mit Schmerzen umgehen ohne PDA? Kein Ding, schließlich mache ich seit Jahren Yoga, kenne mich mit Meditation aus und setzte mich damit in der Schwangerschaft auseinander, um mich auch mental auf das lebensverändernde Ereignis Geburt gut vorzubereiten. Am Ende sollte alles anders kommen, aber dennoch war es genau richtig so.

Es geht wirklich los!

Drei Tage nach dem errechneten Geburtstermin wache ich Montag Nacht um 00:30 Uhr mit Wehen auf. Ich bin aufgeregt, aber versuche mich noch etwas auszuruhen. Nach einer Stunde Vor-mich-hin-Dämmern geht die Fruchtblase auf – krass, es geht wirklich los! Voller Vorfreude wecke ich meinen Mann: „Du musst heute wirklich nicht arbeiten gehen, wir kriegen ein Baby!“ Das hatte er sich am Abend vorher noch gewünscht. Wir sind beide sehr aufgeregt, aber freuen uns auch total, unseren Sohn bald in den Armen zu halten. Während ich meine Hebamme anrufe, trifft mein Mann noch die letzten Vorbereitungen für die Hausgeburt. 

Die Wehen haben da schon einen relativ kurzen Abstand, sind aber noch recht unregelmäßig. Meine Hebamme ist da, untersucht mich und stellt fest, dass der Muttermund bei einem Zentimeter ist, das Köpfchen aber noch nicht ganz fest im Becken ist. Ich soll mich daher auf die Seite legen. Das finde ich sehr unangenehm, aber ok, wenn es das Beste für den Geburtsfortschritt ist, dann bitte.

Im Liegen kann ich die Wehen schlecht aushalten. Mein Mann und meine Hebamme müssen mich ständig daran erinnern, richtig zu atmen. Alles, was ich im Geburtsvorbereitungskurs gelernt habe, ist jetzt komplett vergessen und die Laute, die ich von mir gebe, haben mit tranceartigem Tönen nicht mehr viel zu tun. In den Pausen denke ich: „Ich schaffe das!“ Während der Wehen denke ich: „Wie soll ich das jemals schaffen?“ Ich muss mich stark darauf konzentrieren, mich auf die Wehen einzulassen und mich nicht dagegen zu stemmen. Meditation unter Geburt – was für eine bescheuerte Idee! Irgendwann habe ich mich halbwegs mit den Wehen angefreundet, dämmere sogar in den Pausen kurz weg. Die Stunden vergehen und es wird langsam hell.

“Ihr solltet jetzt ins Krankenhaus fahren”

Mit einem Mal werden die Wehen noch einmal stärker, die Abstände kürzer. Irgendwas ist hier nicht gut, denke ich mir. Meine Hebamme untersucht mich und sagt: „Nicht erschrecken, der Muttermund ist bei fünf Zentimetern und dem Baby geht es gut. Aber drei Faktoren gefallen mir nicht: Dein Blutdruck ist zu hoch, du hast eine verstärkte Blutung und die Wehen sind auf einmal zu heftig. Ihr solltet jetzt ins Krankenhaus fahren.“ Ich fühle mich erleichtert in dem Moment, denn nun fühle ich mich auch zu Hause nicht mehr sicher.

„Schaffst du die Treppen?“, fragt meine Hebamme. Wir wohnen im vierten Stock ohne Aufzug und das Treppenhaus ist so eng, dass die Alternative ein Krankenwagen plus Feuerwehr, die mich dann über den Balkon abseilt, wäre. Nein, danke.

Ich schaffe das Treppenhaus. Wie? Keine Ahnung, aber ich bin super glücklich und stolz auf mich. Bis ich vor der Tür direkt ins Auto zu meinem Mann steige, denn jetzt muss ich sitzen und es kommt direkt die nächste Wehe. Jetzt weiß ich zu schätzen, wie schön Liegen dazu im Vergleich war. Es ist circa 8:10 Uhr, als wir losfahren.

Nach noch zwei Wehen und ungefähr zehn Minuten Fahrt sind wir da. Ich steige aus und gehe mit meiner Hebamme rein, die mich zwei Frauen vom Empfang übergibt. Mein Mann muss erst noch das Auto ins Parkhaus stellen. Ich laufe mit den beiden zum Aufzug, wir fahren in den sechsten Stock zur Entbindungsstation. Noch mehr Wehen.

Bitte, was?!

Ich darf direkt in den ersten Kreißsaal gehen und stütze mich sofort aufs Kreißbett, um die nächste Wehe zu veratmen. Die Hebamme schaut mich an und sagt: „Oha, da drückt’s schon! Ich sag Bescheid, die sollen ihren Mann gleich rein lassen.“ Bitte, was?! Es ist 8:28 Uhr. Im Nachhinein erfahre ich, dass meinem Mann an der Anmeldung gesagt wurde, er solle doch noch eine Viertelstunde spazieren gehen. Wenn etwas Schlimmes wäre, würde man ihn anrufen, ansonsten könne er nach der Zeit hoch. Kannste dir nicht ausdenken. Zum Glück rennt ihm sofort eine der Empfangsdamen hinterher, als er gerade wieder rausgeht.

Währenddessen will ich erst einmal meine komplette Kleidung loswerden, bevor ich mich auf das Kreißbett lege. Mir wird direkt ein Zugang gelegt und ein CTG umgeschnallt. „Muss das sein?“, beschwere ich mich noch. Es muss. Daran, meine Geburtswünsche für eine Klinikgeburt durchzugehen, denkt jetzt eh keiner mehr. Parallel höre ich noch, wie die Hebamme sagt: „Der Muttermund ist bei neun Zentimetern.“ Dann schreie ich mir die Seele aus dem Leib, weil die Wehen so stark sind und so arg nach unten schieben. Ich werde nach der Geburt noch zwei Tage heiser sein.

Mein Mann ist da, endlich! „Es sind jetzt zehn Zentimeter, jetzt darfst du mitschieben!“, sagt die Hebamme. Wieder müssen mir, diesmal Ärztin und Hebamme, ins Gedächtnis rufen, wie man während der Presswehen richtig atmet. Das Gefühl ist nicht, wie ich erwartet hatte und man es oft vorher hört, als müsste man aufs Klo, sondern ein starkes Dehnungsgefühl. Ich sitze halb aufrecht und soll meine Beine trotz starkem Zittern selber halten, um den Druck besser nach unten konzentrieren zu können.

“Baby!”

„Die Haarfarbe kommt eher nach’m Papa“, sagt die Hebamme nach ein paar Wehen. Krass, ich kriege jetzt wirklich ein Baby! Ich schiebe weiter und genieße auf der einen Seite das Gefühl, endlich aktiv etwas zur Geburt beizutragen, andererseits frage ich mich, ob ich das wirklich schaffen kann. „Die Wehen werden etwas zu schwach“, höre ich die Hebamme neben mir sagen. Ich spüre, dass ich in meinem Kopf die Barriere überwinden muss, dass ich tatsächlich in der Lage bin, einen ganzen Menschen aus mir rauszudrücken. Ich nehme all meinen Mut und mein Selbstvertrauen zusammen und gebe Vollgas.

Irgendwann spüre ich eine große Erleichterung und soll plötzlich aufhören zu pressen. „Der Kopf ist da, magst du fühlen?“, fragt mich die Hebamme. Und ob ich will!! Die Frage und der Moment sind wahnsinnig wichtig für mich, weil ich deswegen ganz stark die Verbindung zwischen dem Kind, das in meinem Bauch war und dem Kind, das jetzt in meinem Arm liegt, habe. Mit der nächsten Wehe ist auch der Rest des Körpers da und mir wird mein Sohn auf die Brust gelegt. Es ist 09:06 Uhr.

Mein Mann weint (und das tut er sonst nur bei Zeichentrickfilmen). Das Erste, was ich völlig erschöpft, aber glücklich sage, ist: „Baby!“ Unser Sohn quietscht einmal und guckt uns dann mit großen Augen an. Wir zählen Finger und Zehen und staunen einfach nur darüber, dass wir tatsächlich einen neuen Menschen gemacht haben. „Mach mal ein Foto“, sage ich zu meinem Mann circa zehn Minuten nach der Geburt und ahne noch nicht, wie wichtig diese Bilder später für mich sein werden.

Es ist noch nicht getan

„Spürst du denn Nachwehen?“, fragt mich die Hebamme irgendwann. „Hm, weiß nicht“, murmle ich, obwohl ich mir ziemlich sicher bin, keine zu haben. Das will ich aber nicht wahrhaben. Mir wird Oxytocin gegeben, nichts tut sich. Währenddessen ist mein Mann mit meinem Sohn bei der U1. Der Kleine ist 52 cm groß, wiegt 3930 Gramm und hat laut Ärztin sehr große Füße. Mein Riesenbaby! Zur Plazentalösung probiert die Hebamme vieles: Bauchmassage, Akupunktur, Einmalkatheter, nochmal Oxytocin. „Das wird nichts mit der Plazenta“, denke ich mir. Genau das erklärt mir dann auch die Hebamme: „Wir müssen jetzt dem Oberarzt Bescheid geben, dass eine manuelle Plazentalösung gemacht werden muss.“ Es ist 09:58 Uhr.

Auf einmal ist der Raum voller Menschen und Geräte. Mein Mann muss mit unserem Sohn den Kreißsaal verlassen. Ich sehe ihnen hinterher und weiß, dass es meinem Kind gutgehen wird. Für mich selber spüre ich, was ich während der ganzen Geburt nicht gefühlt habe: Angst. Ich hatte noch nie eine Operation mit Vollnarkose. 15 Minuten wird der Eingriff dauern, wird mir gesagt. Dann soll ich das Betäubungsmittel einatmen. „Na, ob das wirklich funktioniert“, denke ich mir noch und bin sofort weg.

Ich wache auf, als die Anästhesistin in den Raum kommt. „Wie lange war ich weg?“, frage ich. „Knapp zwei Stunden“, antwortet sie und schließt irgendwelche Geräte von mir ab. Nach dem Umlagern in ein Bett werde ich in den Aufwachraum zu meiner kleinen Familie geschoben. Mein Mann gibt mir unseren Sohn und ich stille ihn zum ersten Mal. Es ist circa 12:00 Uhr. Jetzt ist alles gut.

Die Launen der Natur 

Am nächsten Tag bei der Visite erfahre ich, dass ich die Plazenta niemals natürlich hätte gebären können, da sie nicht nur angewachsen, sondern mit der Gebärmutter verwachsen war, eine sogenannte Placenta accreta. Außerdem hatte ich eine Insertio velamentosa, eine Nabelschnuranomalie, bei der die Nabelschnur nicht am Mutterkuchen, sondern an den Eihäuten ansetzt. Wenn die Fruchtblase an dieser Stelle aufgeht, verblutet das Kind sehr schnell. Beides hätte man vorher nicht feststellen können bzw. bei einem Zufallsbefund hätte dieses Wissen keinen Einfluss auf den Geburtsverlauf gehabt. Meine Hebamme hat also mit der Verlegung ins Krankenhaus absolut richtig gehandelt.

Und was ist aus meinen beiden Mantras geworden? Meine Geburt war eine natürliche Geburt. Denn auch Dinge wie die verwachsene Plazenta sind einfach Launen der Natur. Nur würde diese in meinem Fall ohne medizinischen Eingriff auf Dauer tödlich enden… Meine Geburt war krass, nicht wunderschön. Das Endergebnis ist es dafür umso mehr!