„Ich wünsche dir viel Glück!“ Wie oft hast du diesen Ausspruch wohl schon in deinem Leben gehört? Doch was ist dieses Glück überhaupt? Ist es Liebe, Freundschaft, Familie? Sex, Geld, Drogen? 

Christian Thiele beschäftigt sich seit über fünf Jahren mit dem Thema Glück, speziell mit dem Aspekt „Positiv Führen“. Der laut eigener Aussage „meistglückliche Patchwork-Vater“ arbeitet als Coach, Trainer, Speaker und Autor. Er unterstützt Führende, Teams und Organisationen auf dem Weg zu mehr Erfolg, besserem Miteinander und mehr Wohlbefinden in der Arbeit.

Die Covid-19-Pandemie müsste doch eine erhebliche Auswirkung auf das Glück der Menschen haben, könnte angenommen werden. Der Glücksatlas der Deutschen Post aus dem Jahr 2020 zeigt das Gegenteil: Die Lebenszufriedenheit der deutschen Bevölkerung lag auf einer Skala von 0 bis 10 aktuell bei 6,74 Punkten, was nur 6 Prozent unter dem Wert des Vorjahres ist. 

Doch wenn schon eine Pandemie das Glücksempfinden kaum schmälert, was beeinflusst es dann? Christian Thiele meint, dass es unter anderem von der sozialen sowie wirtschaftlichen Situation der Menschen abhängt, ob diese Ausnahmesituation ihr Glücksempfinden beeinflusst.

Lieber Herr Thiele, wann haben Sie sich das letzte Mal glücklich gefühlt?

Gerade eben beim Sport im Schnee! Heute Mittag, nachdem ich von dem geglückten Eingriff bei meiner Frau gehört habe! Gestern in einem Webinar, das ich leiten durfte! Wer genau hinschaut, findet viele unterschiedliche Facetten, Momente und Intensitäten von Glück und Wohlbefinden. Im Kleinen wie im Großen.  

Ist Pech das Gegenteil von Glück?

Nein, das wäre ein Missverständnis. Pech ist nicht mal das Gegenteil des Zufallsglücks, es ist eine subjektive Einschätzung dessen. Unglück, Unzufriedenheit, Sinnlosigkeit, Einsamkeit – das wären für mich die Gegenteile von Glück, wie ich es verstehe.

Was ist dieses „Glück“?

Glück kann, wie schon gesagt, unterschiedliche Farben, Intensitäten, Ausprägungen haben. Es kann ein flüchtiger Moment, aber auch eine tiefe, erfüllende Zufriedenheit sein. 


Ist denn Glück messbar?

Definitiv, die Positive Psychologie (PP) hat in den letzten 20 Jahren unterschiedlichste Methoden zur Messung von Zufriedenheit, Wohlbefinden und Glück entwickelt. Da gibt es harte körperliche Marker wie etwa den Spiegel bestimmter Hormone im Körper. Außerdem gibt es Verhaltens- und Beobachtungsmerkmale wie etwa bestimmte Gestiken und Mimiken, und es gibt Befragungen – all das lässt sich messen. Eine sehr leicht anzuwendende Methode, um Ihr eigenes Glück zu messen: Stecken Sie sich morgens 10 Murmeln in die linke Hosentasche. Für jeden glücklichen Moment, für jede schöne Begegnung, für jede erfüllende Tätigkeit lassen Sie eine Murmel in die rechte Hosentasche wandern. So können Sie am Abend messen, wie glücklich Ihr Tag war!

Welcher Faktor macht Menschen am glücklichsten?

Den gibt es nicht. Glück ist zwar objektiv messbar, aber die Faktoren, die uns zufrieden machen, sind bei jedem Menschen etwas unterschiedlich ausgeprägt. Den einen machen bestimmte Tätigkeiten glücklich, den anderen bestimmte Erfahrungen. Aber drei Faktoren wirken fast immer positiv auf unsere Zufriedenheit ein, die „drei Ps“: Positivity, People, Purpose. Wenn ich also schöne Momente sammle und bewusst auskoste oder erinnere; wenn ich meine Stärken kenne und ausleben kann in dem, was ich tue; wenn ich mich auf Dinge in der Zukunft freuen kann, dann zahlt das auf das Positivitätskonto ein.

Wer sich immer wieder mit Menschen austauscht, die ihr oder ihm wichtig sind, egal ob in Präsenz oder per Videochat, wenn ich anderen Menschen helfe, dann stärkt das die People-Dimension des Glücks – denn wir alle sind soziale Wesen. 

Sinn zu erleben, in dem was ich tue, mich als Teil etwas Größerem zu erleben, zu bemerken, dass mein Sein und Handeln etwas bewirken kann, verschafft mir Sinnerleben, die dritte wichtige Glücksstrategie. Sie kann gerade in schweren Zeiten, in Momenten der Ungewissheit hilfreich sein. Wie hat Viktor E. Frankl so schön gesagt: „Wer ein Wofür zu leben hat, erträgt fast jedes Wie.“  

Macht das Alter einen Unterschied?

Statistisch gesehen ja. Demnach gibt es bei vielen Menschen ein leichtes U: Das Glücksempfinden der Jugendjahre sinkt in der Zeit des mittleren Erwachsenenalters – wenn häufig Hauskredite, Schulsorgen und Ähnliches zu bewältigen sind. Im Alter erleben sich viele Menschen wieder als zufriedener und glücklicher. Aber das ist wie gesagt die Statistik – das mag bei jedem Menschen etwas anders sein.

Wie wirkt sich die Pandemie auf das Glücksempfinden der Menschen aus?

Das geht sehr auseinander. Je stärker Menschen sozial eingebunden sind, je sinnhafter sie ihr Tun und Leben empfinden und je weniger wirtschaftliche Sorgen sie haben, desto weniger beeinträchtigt ist ihr Glücksempfinden. Manchen Menschen kann die Pandemie wenig anhaben, das sind die Resilienten. Manche Menschen sind in ein tiefes Loch gefallen, etwa durch Verlust des Arbeitsplatzes – aber haben neue Prioritäten für sich gesetzt, sind auf dem Weg zu tiefgreifenden Veränderungen – und werden verändert, gestärkt und zufriedener aus der Pandemie herausgehen.


Wie lässt sich Glück beeinflussen?

Ich kann mich, grob gesagt, in mehr Glück hineinempfinden, hineindenken und hineinhandeln. Das PPP-Rezept – Positivität, Menschen, Sinnerleben – bietet da einen guten Denk- und Handlungsrahmen. Das PERMA-Konzept nach Martin Seligman nimmt zusätzlich noch die Erfolgserlebnisse (Accomplishment) und den Fokus auf Flow und Stärken (Engagement) in den Blick.


Gibt es Orte/Städte/Länder, wo Menschen glücklicher als an anderen Orten sind?

Um ehrlich zu sein: Ich habe mich mit dem Thema länger nicht mehr eingehend beschäftigt. Da müsste ich noch mal tiefer in die aktuelle Studienlage eintauchen – als relativ junge, empirische Wissenschaft liefert die Positive Psychologie laufend neue Erkenntnisse und Studien. Im so genannten World Happiness Index allerdings liegen die skandinavischen Länder regelmäßig weit vorne. Und tendenziell erleben sich Menschen in ländlichen Gegenden als zufriedener als in der Stadt. 

Was genau ist Positive Psychologie?

Wenn Sie fünf Positive Psychologen fragen, bekommen Sie sechs Antworten. Ich versuchs mal so: Positive Psychologie ist die Wissenschaft und die Praxis vom gelingenden Leben. Sie nimmt dabei sowohl die schönen und angenehmen als auch die schwierigen Aspekte des menschlichen Lebens und Erlebens in den Blick.


Seit wann arbeiten Sie schon mit dem Thema?

Ich bin, wie viele Theoretiker und Praktiker der Positiven Psychologie, in einer persönlichen und beruflichen Krisensituation an die Positive Psychologie geraten – genauer gesagt zunächst an Positive Leadership, also die Anwendung der Haltung und Methodik der PP auf die Arbeits- und Unternehmenswelt. Das war 2015. Und seither beschäftige ich mich im Wesentlichen mit nichts anderem mehr. Zu meinem großen Glück. 

Wie nehmen Unternehmen Ihre Arbeit an?

Da gibt es erst mal eine große Bandbreite, von Skepsis über Interesse bis hin zu Begeisterung. Letztere versuche ich gern einzudämmen, erstere abzumildern. Denn wer den Menschen im Unternehmen Glück in großen Packungen und zwar ab gestern verspricht, macht sie meist nur unglücklicher.

Was sind die drei wichtigsten Faktoren für ein glückliches Unternehmen?

Dass immer wieder Momente von Positivität stattfinden und nicht nur gemeckert und kritisiert wird. Dass Menschen in ihren Stärken gesehen, gewertschätzt und gefördert werden – das lässt ihre Schwächen und Defizite weniger ins Gewicht fallen. Dass Menschen einander auch als Menschen begegnen und nicht nur als Funktionsträger, dass sie Vertrauen ineinander und Spaß miteinander haben dürfen. Dass die Beschäftigten wissen, wer was von ihrer Arbeit hat, dass sie ihr Tun – zumindest immer wieder – als bedeutsam und sinnvoll erleben. Und dass Ziele formuliert, erreicht und gefeiert werden, wenn sie erreicht werden. Das waren jetzt fünf, pardon …


Wie kann eine Führungskraft dazu beitragen?

Menschen kommen in eine Firma – und verlassen eine Führungskraft. Positive Führung kann einen entscheidenden Einfluss haben auf das Erleben von Zufriedenheit, auf die Stress- und Burnout-Raten, auf die Mitarbeiterzufriedenheit und auf die Kundenbewertungen. Mit dem Perma-Lead-Profiler lässt sich das übrigens sogar auch messen, trainieren und nachweisbar verbessern!

Info übers Glück:

Wer mehr über Positive Psychologie, das Thema Glück oder Positive Leadership erfahren möchte, ist auf den Seiten der Deutschen Gesellschaft für Positive Psychologie und von Christian Thiele gut aufgehoben:

https://www.dgpp-online.de/

https://positiv-fuehren.com/