bewusst konsumieren

geschrieben von Ann-Christin Neuenstein

Können wir durch bewusstes Konsumieren freier leben? Ich behaupte: Ja! Denn viel Besitz bedeutet immer weniger Freiheit und Flexibilität. Seit Jahren ist magisches und strukturiertes Aufräumen nach Marie Kondo absolut en vogue. Und gerade jetzt am Anfang des Jahres denkst du vielleicht auch darüber nach, auszumisten und dich neu aus- oder einzurichten. Denn sich frei von alten Dingen machen, bedeutet auch immer Platz für Neues zu schaffen.

Diese Aussage hat ihre Gültigkeit nicht nur bei tatsächlichen Dingen, die ausgemistet werden können, sondern auch beim eigenen Seelenzustand: Wenn es unruhig in mir ist, fange ich an aufzuräumen, zu ordnen oder sauber zu machen. Bei Chaos im Inneren kann Aufräumen/Strukturieren im Äußeren Wunder bewirken. Ein Grund, warum “to kondo” (habe gelesen, dass das jetzt ein Verb im Englischen ist) so erfolgreich geworden ist: eine Leistungsgesellschaft, die verlernt hat, zur Ruhe zu kommen und zu hinterfragen, was sie denn wirklich glücklich macht im Leben – und diese Frage nur allzu gerne mit Konsum beschwichtigt.

Das Zur-Ruhe-Kommen kann also ein Schlüsselerlebnis für nachhaltigen Konsum sein. Ein Schlüsselerlebnis, das die aktuelle, herausfordernde Zeit geradezu nahelegt, gar erzwingt. Denn in der Zeit von Lockdown und Pandemie kann man sich nur noch schwer von äußeren Dingen ablenken lassen kann. Eine ausgelaugte Gesellschaft befasst sich mit der inneren Stimme, mit dem, was wirklich wichtig ist und wirklich glücklich macht. 

Krisen auf verschiedensten Ebenen bedeuten auch immer neue Chancen und Möglichkeiten. Damit will ich nicht sagen, dass eine globale Pandemie Spaß bereitet – im Gegenteil – oder der persönliche Burn-out der direkte Weg zur Erleuchtung ist. Allerdings weiß ich aus eigener Erfahrung, dass genau das die Erlebnisse sind, die mich im Nachhinein am meisten haben wachsen lassen und die mich am Ende des Tages etwas verändern lassen haben – weil sie mich gezwungen haben, mich mit mir selbst auseinanderzusetzen.

Klingt das nicht besonders glücklich für dich? Oh doch! Denn wenn ich Gewohnheiten reflektiere, dann mache ich mich frei von alten Mustern oder Glaubenssätzen. Genauso ist es auch beim Konsumieren von neuen Produkten (was ja noch vorm Aufräumen, Strukturieren und Ausmisten kommt): Ich entscheide mich aus vollem Herzen und nicht, weil der Kopf mich glauben lässt, etwas kaufen zu müssen, um glücklich zu sein. Dann, wenn ich wirklich das Gefühl habe, dass ich lange Freude an dem Produkt haben werde.

Ist das wirklich so einfach, wie es klingt, denkst du gerade? Okay, pass auf. Ich verbinde dich mal mit meinem inneren “Monk”, wie ich meine innere Kritikerin gerne nenne, die mir immer so auf der Schulter hockt, bevor ich mich zu einer Entscheidung durchgerungen habe. 

Der innere Monk will mir natürlich erst einmal sagen, dass ich das natürlich alles brauche, weil doch alles total schön ist und mich so glücklich machen wird. Aber genau dann gehe ich diese Fragen in meinem Kopf durch:

  • Brauche ich das Produkt wirklich?
  • Bleibt es in meinem Kopf über eine längere Zeit hängen oder habe ich es am nächsten Tag schon wieder vergessen? (So verhindere ich Impulskäufe.)
  • Bringt mir das Produkt auf lange Sicht einen Nutzen?
  • Sind die Arbeitsbedingungen, unter denen es hergestellt wird, moralisch vertretbar?
  • Wie findet das Produkt seinen Weg zu mir? Muss ich wirklich online bestellen oder kann ich auch beim Bücherladen um die Ecke den Abhol- oder Auslieferungsdienst benutzen?
  • Was passiert im Produktlebenszyklus, wenn ich das Produkte nicht mehr selbst nutzen möchte (Zweitnutzung möglich? Verkauf? Recycling?)
  • Gibt es das Produkt vielleicht gebraucht in genau der gleichen Qualität?
  • Wie umweltschädigend ist das Produkt?
  • Und vor allem: Macht es mich wirklich glücklich?

Alles Fragen, die ich mir stelle, bevor ich was Neues anschaffe. Achtsamen und nachhaltigen Konsum würde ich es nennen. Nachhaltigkeit bedeutet nämlich auf vielen Ebenen viel Achtsamkeit. Und eben auch, nachhaltig glücklich und zufrieden zu sein. Es macht Spaß, sich damit zu beschäftigen, wie viel Herzblut jemand in seine Produkte steckt, wie die Wertschöpfungskette aufgebaut ist und was ich mit dem gekauften Produkt bewirke. Was es wirklich bedarf, ist Zeit. Zeit zum Konsumieren, Zeit zum Ruhen und Reflektieren, Zeit zum Heilen, Zeit, um etwas zu bewirken. 

Spätestens beim nächsten Aufräumen oder Ausmisten wirst du dir danken, dass du achtsam eingekauft hast. Und hey: Das Leben ist kein Wettbewerb und die Fragen sollen keine aufgezwungene Checkliste zum Abhaken sein, sondern eine Inspiration, um sich dem Thema Nachhaltigkeit Schritt für Schritt zu nähern. Denn viel Besitz bedeutet auch immer weniger Freiheit und Flexibilität. Denk dran: Ein nachhaltiges und achtsames Leben macht glücklich und vor allem: frei.