Ob bollige Boxspringbetten oder das Poster, das man sich niemals selber aufhängen würde: Die Einrichtung fremder Menschen – oder auch von Freunden und Familie – ist oft erschreckend hässlich. Zumindest aus der eigenen Sicht. Warum wohnen manche Menschen, wie sie wohnen?

Wohnungen über Wohnungen

Ok. Zeit für eine Beichte. Als Fernsehredakteurin betrete ich viele Wohnungen. Sehr viele Wohnungen. Es gehört zu meinem Job, Menschen mit einem Kamerateam zu besuchen. Mal geplant, mal spontan – je nachdem ob tagesaktuell berichtet wird. Für mich ist es einer der spannendsten Aspekte meiner Arbeit, in fremde Wohnzimmer zu luschern. 

Regelmäßig kommt es dabei zu folgender Szene: Ich betrete die Wohnung oder das Haus. Ich sehe sofort eine Ecke, in der Hintergrund und Licht geeignet sind für das TV-Interview. Und dann sage ich – eindeutig schuldig-unschuldig: „Oh, hier würde es ganz zur Not schon gehen. Darf ich mich trotzdem kurz umschauen, ob es noch einen schöneren Bildausschnitt gibt?“ Dann öffnen sich Türen. Mmh. Küchentüren. Arbeitszimmertüren. Kinderzimmertüren. Schlafzimmertüren sogar.

Im Schnelldurchlauf scannt mein Auge den Raum ab, private Fotos, die selbstgebastelte Korkpinnwand von Pinterest, wunderschöne Trockenblumen, grauenvolle Trockenblumen. Dankeskarten mit Eselsohren an Kühlschränken, furchtbare Nachtschränke mit kitschigen Beton-Herzen drauf, die signierte Gitarre in der Ecke, die nie und nimmer gespielt wird. Nichts spiegelt die Persönlichkeit besser wider als der Raum, den wir uns als ein Stück Heimat einrichten.

Ich liebe fremde Wohnungen. Ich hasse fremde Wohnungen. Bei 5 Prozent denke ich: Wow. Gott, wie wunderschön. Wieso ist das nicht meine Wohnung oder mein Haus? Bei 95 Prozent denke ich: Was. Zur. Hölle. Wir haben doch nur ein Leben! Warum stellt man sich in diesem einen Leben glitzernde Engel auf den Stubentisch?! Warum entscheidet man sich für silberne Bettgestelle aus Metall? Oder Orchideen? Diese überbewerteten Stöcker. Ein Großteil fremder Einrichtungen lässt mich zusammenzucken und ein Lächeln fingieren: „Oh, ja wie schön hier!“ Uäh. Ich liebe es, fremde Wohnungen auszuspähen. Oh, wie liebe ich meinen Job.

Mitläufer, kein Pionier

Was ich auch liebe? Das, was meine Bubble – medienschaffende Großstädter in den Dreißigern – auch liebt. Ich bin kein Interior-Pionier, ich bin ein elendiger Mitläufer. Ich richte mir meine Wohnung genauso dschungelmäßig voller Pflanzen ein, wie es gerade hip ist. Auch ich habe überteuerte Scherenlampen vom Flohmarkt und einen Esstisch aus Eichenholz mit Industriebeinen. Sowieso: überall Holz. Ein Schafsfell auf dem Sofa. Voll Hygge.

Trockenblumen, völlig überteuert von Sostrene Grene. Hätte man auch for free in Schleswig-Holstein pflücken können. Aber gut. By the way: WIE spricht man diesen Laden aus? Ein paar Teile, die Charakter haben, besitze ich natürlich auch: das Küchenbuffet, das durch diverse WGs mitgezogen ist und jedem Umzugshelfer den Rücken bricht. Die Holzbank im Flur, die mein Freund mir mal zum Geburtstag gebaut hat. True Story: Es ist unsere „Kussbank“. Es ist das Holz, auf dem wir uns das erste Mal geküsst haben. Nun küssen wir uns manchmal einfach so darauf im Flur. Oder die bunt gestreifte Hängematte aus der mexikanischen Karibik, die ich als Backpackerin mitgeschleppt habe – ich hab’s niemals bereut.

Leider sind Maden aus dem Baumstamm geschlüpft

Wir haben auch einen echten Birkenstamm im Wohnzimmer stehen. Wenn man ihn mit einer UV-Lampe anstrahlt – so wie Geheimagenten es machen – erscheint „A+I“. Leider sind irgendwann Maden aus dem Baumstamm geschlüpft. Meine Mama weiß das nicht. Wir haben den Stamm heimlich ausgetauscht, nachdem Motten durch unsere Wohnung flogen. Liebe Mama, wenn du diesen Artikel hier liest: Wir hatten Maden. Und Motten. Und Scham.

Natürlich besitze ich auch ein IKEA Kallax (ehemals Expedit). Ich schäme mich auch, dass ich dieses olle Regal habe, das in gefühlt jeder Alman Bude der Republik steht. Aber IKEA ist einfach wie ein Ex-Lover. Man denkt, man ist über ihn hinweg, aber dann verführt er einen immer wieder. Wie. macht. IKEA. das? Immer familienfreundlich und penetrant sympathisch, dieses Kackhaus.

In meinem Kopf denke ich überheblich: „Oh Gott, IKEA, die Zeiten sind vorbei. Du richtest dich originell ein.“ Nur schnell einmal in die blau-gelbe Wunderbox schauen, weil günstige Pflanzenübertöpfe für den hippen Dschungel gebraucht werden. Zack – 280 Euro auf der Quittung. Wer kennt es nicht? Und bei jedem Besuch die Erkenntnis: Fuck, ihr macht echt hübsche Sachen. Habt mich wieder in euer Bett gezogen. Ich bin so leicht zu haben. Für euch.

Verbannt werden sollten auch: Dekoherzen. Leuchttürme und Muscheln im Badezimmer

Zurück zu schlimmen Einrichtungen. Was bereitet noch Gänsehaut? Ungemütliches bläuliches LED-Licht, das in fremden Kulturen irgendwie oft der heiße Scheiß ist. Sowieso: LED-Beleuchtung. Sie löst gern bei Männern das Bedürfnis aus, jede Ecke indirekt zu beleuchten, seit es diese Klebe-Leuchtstreifen gibt. Nein, Thorsten, nicht jedes Regal braucht eine eigene Lasershow.

Grässlich auch „HOME“-Schilder. Home-Kerzen. Home-Poster. Herrgott, ich weiß doch, wo ich bin! Und ich brauche auch kein Live-Laugh-Love Mantra auf einem Türstopper. Das erinnert mich an den Freund einer Kollegin, der in der gesamten Küche diese Cappuccino Cappuccino Cappuccino Cappuccino Tapete in der Farbe Kackbraun hatte. Einst dachte ich, eineiige Zwillinge gruseln mich, aber nun ist es die Cappuccino-Wand des Grauens.

Verbannt werden sollten auch: Dekoherzen. Leuchttürme und Muscheln im Badezimmer (nur weil da Wasser ist, muss es nicht gleich nach Sylt aussehen!). Saisonale Deko, die es bei DEPOT zu kaufen gibt, zum Beispiel kecke Herbstblätter, die wahllos in der Bude rumliegen. Außerdem natürlich: Wandtattoos. Das schlimmste, was ich je auf einem Dreh gesehen habe, hing über dem Ehebett und lautete: „Hier schlafen Engel“. Ok. Klingt als wäret ihr tot.

Auch aus der Hölle: Neunziger Kiefernmöbel, Tischläufer, Glastische. Weltenbummler-Rubbel-Karten zum Protzen. Sofas, auf denen man seine Beine nicht ausstrecken kann. Und nein, ein Hocker ist nicht dasselbe Feeling. Familienfotos auf Leinwänden. Bordüren. Gipsabdrücke von schwangeren Bäuchen, die einen wie gruselige Galionsfiguren von der Decke anstarren. Fußmatten mit kecken Sprüchen. „Ob du wirklich richtig stehst, siehst du wenn die Tür aufgeht“. Ok, da will ich sowieso gar nicht rein.

Hier meine Top-Liste der schlimmsten Einrichtungen im Freundeskreis:

Bekannte 1 – angeheiratet in den Freundeskreis

Ein Herz aus zerbrochenen Spiegeln im Wohnzimmer. Metallische Teelichthalter mit Perlen dran auf der Fensterbank. Ein XXL-Gemälde eines Tuaregs mit Turban in der Wüste – sieht aus wie selbstgemalt im Kunst LK. Bevor ich diese Bekannte das erste Mal besuchte, flüsterte mir mein Freund vor der Haustür ins Ohr: „Du wirst ihre Bude richtig schlimm finden“. Oh ja. Indeed. Ich meine… eine Küche in gelber Wisch-Technik. Weißes Ledersofa. Wiederhole: Weißes. Ledersofa. Natürlich mit indirekter LED-Beleuchtung.

Ich weiß ehrlich gesagt gar nicht, wo ich anfangen und aufhören soll. Wenn ich in ihre Wohnung trete, höre ich das durchgängige Piepen eines Herzstillstandes wie bei Grey’s Anatomy. Wo bleibt der Chief Resident? Wir brauchen einen Defibrillator.

Freundin 2 – Abi-Freundin

Alles ist shabby-chic. Der Spiegel, das Bett, das kleine mintfarbene Schmuckkästchen auf dem Nachtschrank. Aber nicht authentisch shabby – wie ein bearbeitetes Möbelstück vom Flohmarkt von der coolen Frau in Latzhose mit dem Messy Bun – sondern künstliches shabby-chic wie bei Nanu Nana. Wenn „alt“ eigentlich neu ist. Und das deutlich sichtbar. Dazu Deko mit Schnörkeln und Ornamenten. Alles ist sehr girly, wenn ihr wisst, was ich meine. Aber DANN. DANN kommt der Bruch, der Gipfel, die Fassungslosigkeit. Ein Wandtattoo an der Schlafzimmertür. „Achtung, Sie betreten die Pupszone“. What? Whaaat?

Freundin 3 – Kindheitsfreundin

Das WG-Zimmer meiner „wilden“ Freundin. Diese Freundin, die mit Nippel-Tapes im Berghain feiert, während man selber am Freitagabend ein Filzmobile für das Baby bastelt. Die eine strickt, die andere fickt. Eine Freundin, dessen Lebenspartner mit einer illegalen Ware X in Kroatien handelt, aber niemand aus dem Freundeskreis weiß, mit was. Organen? Frauen? Drogen? Egal, er ist immerhin ein wunderhübsches Schwulenmodel. Die Freundin, dessen Künstlermutter mir beim Kuchenessen erzählt, dass Christoph Waltz im Studium furchtbar egoistisch im Bett war.  

Alles im Leben dieser Freundin ist irgendwie aufregend, nur ihr Zimmer nicht. Denn da ist nichts. Matratze auf dem Boden. Zwei weiße Möbel. TV auf dem Boden. Keine Bilder, keine Pflanzen, keine Gardinen. Einfach unbewohnt. Gefühlt. In vielen Wohnungen denke ich: Weg mit dem Krempel! Hier denke ich: Oh je, sie braucht dringend Krempel. Ein sehr schlauer Satz von Sophie Passmann zu diesem Thema: „Der Unterschied zwischen Minimalismus und Kargheit ist oft das Nettogehalt“. (Anmerkung: Ja, Freundin Nr. 3 ist stinkreich.)

Freund 4 – Kumpel von der Journalistenschule

Die Bude, die sich auch nach vier Jahren so anfühlt, als wäre er gerade erst eingezogen. Kein Pfannenwender. Keine Garderobenhaken. Keine Decke auf dem Sofa. Irgendwie steht immer alles im Weg. Die Stimmung ist ungemütlich. Im Wohnzimmer der grausige Anblick: ein Schalke-Schal, eingerahmt, den seine Mitschüler in der zehnten Klasse mal signiert haben. Nichts passt zusammen, weder er und seine neue Freundin, noch, dass schwarze, braune und weiße IKEA-Möbel wild gemixt wurden.

Jener Kumpel wehrt sich auch gerade gegen seine neue Flamme, weil sie die gesamte Wohnung mit Makramee säumen möchte. Zusammenzuziehen ist geschmackstechnisch oft kritisch. Man betritt ein Minenfeld der Befindlichkeiten. Bis die Einrichtung uns scheidet. Auch bei uns gab es lange Streit. Ein Tauziehen der Macht. Ok, ich erlaube dir das hässliche Raumschiff, dafür darf ich noch ein Bastkörbchen kaufen.

Mein Freund hat lange versucht, etwas Rotes in der Wohnung unterzubringen. Ich verabscheue Rot! Es ist grell, auffällig, billig. Bitte alle Regenbogenfarben, aber kein Rot. Das einzige, was wir in Rot besitzen, ist unser „Trennungsgeschirr“. Wir haben es damals vor neun Jahren frisch verliebt auf dem Flohmarkt gekauft. „Oh, unser erster gemeinsamer Kauf“, schmachtete ich. Ich war so stolz. Das rote olle Teeservice. Mein Freund schien auch begeistert: „Ach cool, schau mal, gleich zwei Kannen! Wenn wir uns mal trennen, nimmt einer die Teekanne, der andere die Kaffeekanne!” Ja. Cool. Juhu. Zum Glück steht das Geschirr noch – glücklich und unzertrennlich – im Küchenschrank. Was soll ich von diesem Mann aber auch erwarten? Als ich ihn kennenlernte, steckte ein alter Puppenkopf umgedreht auf der Glühbirne. Fand er fetzig. Freak.

Was wäre eine Welt ohne Geschmäcker?

Übrigens wurde meine Angewohnheit, bei Drehs zu flunkern, um fremde Einrichtungen weiter auszuspionieren, gebrochen. Denn vor wenigen Wochen wurde ich selbst zur Protagonistin. Einer meiner Auftraggeber, eine TV-Redaktion, suchte einen Balkon mit Insektenhotels und wusste von meinen Wildbienenbabys, die zu jener Zeit auf unseren zwei Quadratmetern Freiluft schlummerten. 

Als das Kamerateam eintrat, sah ich die Blicke. Die schnellen Blicke in die Ecken, durch Türspalte hindurch, an die Decke. Und obwohl es Kollegen waren, fühlte ich mich unglaublich unwohl. Ich wusste schon vorher, dass das, was ich tat, unrecht war. Aber nun fühlte ich das Unrecht. Ich bin den Wohnungen und Häusern meiner Interviewpartner seitdem mit Respekt begegnet. Und Demut. Aber natürlich auch einem Schmunzeln.

Ich muss dann immer an meinen Lieblingsfilm „Hook“ denken. Als Peter Pan seinen Erzfeind im Kampf stellt, den Degen an der Kehle, fragt der Kapitän: „Was wäre das für eine Welt ohne Kapitän Hook?“ Ja. Was wäre das für eine Welt? Eine Welt ohne Geschmäcker? Ich möchte es mir nicht ausmalen. Hoch leben HOME-Schilder und Orchideen!