Wieso ich mich von Ärzt*innen abwandte und wie ich wieder zurückfand

Ich war nie per se gegen Wissenschaft. Aber ich habe ein Faible für das Natürliche. Das bedeutete für mich immer: Tee und Aspirin gingen parallel. Ab Mitte 20 verzweifelte ich immer öfter an Ärzt*innen, die während der Sprechstunde nur auf den Rechner starrten oder leichtfertig heftige Diagnosen rüberwarfen. Ich dachte mir: Könnt ihr bitte mal versuchen, mich zu sehen?

Mit 25 hatte ich die Überweisung in eine Kinderwunschklinik in der Hand – dabei hatte ich weder einen Freund noch einen Kinderwunsch, doch meine Gynäkologin war der Meinung, das würde schwierig werden bei mir. Durch einen glücklichen Zufall fand ich eine Frauenärztin, die auch alternativ behandelte. Die vermeintliche hormonelle Störung stellte sich als Folge einer jahrelangen Pilleneinnahme heraus. Mithilfe von Neuraltherapie – einer sehr milden alternativen Behandlungsmethode des vegetativen Nervensystems – konnte dies reguliert werden. Ich glaube, in diesem Moment hatte ich das Vertrauen in das, was man „Schulmedizin“ nennt, fast vollständig verloren.

„Mit dem Kind zieht die Angst ein“

Es ist kein Zufall, dass dieser Vorgang etwas mit Kinderkriegen zu tun hatte. Wenn es um Schwangerschaft, Geburt oder Babys geht, sind Menschen besonders anfällig für „alternative“ Heilangebote. Die Verantwortung dafür liegt für mich in dem industrialisiert scheinenden System aus Gynäkolog*innen, Kreißsälen und Kinderärzt*innen. „Mit dem Kind zieht die Angst ein“: Werdende Eltern sind ab dem ersten Tag ihrer Schwangerschaft quasi permanent in Sorge um Risiken, Laborwerte und mögliche Komplikationen. 

Als Schwangere kam ich mir vor wie eine wandelnde Karteikarte aus Daten und Prozentzahlen. Mein Frauenarzt sprach mit mir ausschließlich über Zuckerwerte und 3D-Ultraschalloptionen. Ich fühlte mich reduziert auf das Ergebnis meiner Urinuntersuchung. Die gewaltvolle Krankenhausgeburt, die ich erlebte, festigte meine Einstellung, dass Medizin mehr schadet als nutzt.

Homöopathie statt Schulmedizin

Was mit mir passierte, ist typisch für den Prozess, den viele Eltern durchmachen. Auf einmal wirkt alles „Unnatürliche“ falsch, sucht man nach der sanftesten Methode, dem artgerechtesten Weg. Meinem Baby wollte ich kein Zäpfchen in den Po schieben. Was macht eine Impfung mit so einem kleinen Körper? Vielleicht probieren wir es statt Hustensaft mit den netten kleinen Kügelchen? Heerscharen an Hebammen bedienen die Angst vor zu aggressiver Medizin und blättern in Globulimäppchen so groß wie Telefonbücher. Ich kenne Hebammen, die glauben nicht an Homöopathie, bieten sie aber an, weil die Schwangeren und Wöchnerinnen so vehement danach verlangen.

Innerhalb weniger Monate war ich Besitzerin einer homöopathischen Hausapotheke und verließ mit wehenden Fahnen unseren Kinderarzt. Er hatte es gewagt, mich auf den Nutzen einer Rötelnimpfung hinzuweisen. Ich lehnte Impfungen nicht komplett ab, dachte aber, dass ich mit dem Lesen eines einzigen Buchs gut genug informiert sei, um entscheiden zu können, dass meine Kinder nur wenige Impfungen und diese sehr viel später als angeraten brauchten. Dass Tausende Ärzt*innen und unabhängige Kommissionen andere Empfehlungen aussprachen, musste durch die mächtige Pharmaindustrie beeinflusst worden sein. Als Journalistin vertraute ich zwar den Fakten, aber bezüglich der Gesundheit meiner Kinder wurde ich ziemlich anfällig für krude Theorien.

Die Zweifel wachsen

Das alles ging ein paar Jahre gut. Meine Kinder hatten nie etwas Ernstes. Die chronische Bronchitis musste – so sagte die Heilpraktikerin – eine Folge der Masernimpfung sein. Bei Erkältungen verschrieb der anthroposophische Arzt, zu dem wir als Familie gewechselt waren, Meersalzspray. Als ich ein Ekzem am Auge hatte, fragte er mich: „Was wollen Sie nicht sehen?“ Ich machte mich darüber lustig, aber ich mochte es, dass er nicht sofort Antibiotika verschrieb. Er nahm sich Zeit für uns in seiner in warmen Farben eingerichteten Praxis, bat unsere Kinder um Erlaubnis, sie untersuchen zu dürfen. Das gefiel mir. Also blieb ich – obwohl er sich um Impfberatungen wand und am Ende immer abriet. Ich redete mir ein, dass er ja Medizin studiert hatte und mich im Notfall sicher klassisch behandeln würde. Erst an dem Tag, als er meinem Mann vorschlug, wegen dessen Kniebeschwerden Engel zu konsultieren, begann ich endlich mehr zu zweifeln.

Dann kam Corona. Die Pandemie hat alles geändert. Allen Menschen auf dieser Erde wurde vor Augen geführt, was passieren kann, wenn eine Krankheit unkontrolliert grassiert. Wir sahen, welche Folgen es hat, wenn ein Gesundheitssystem nicht gut ausgestattet ist. Und wir merkten, wie gefährlich es ist, wenn Mediziner*innen per se infrage gestellt werden. Auch ich las viel über Viren und dachte mich in wissenschaftliche Themen ein, aber ich verstand, dass ich als Laie niemals die Weitsicht haben kann, um medizinische Themen ganz zu durchdringen. Ich war hingerissen von der weltweiten Wissenschaftsvereinbarung, die es schaffte, ein tödliches Virus in die Schranken zu weisen. Kurz: Ich gewann mein Vertrauen in das Wissen von Expert*innen zurück. In die Medizin.

Balance finden

Auch heute noch mache ich mir bei einem Halskratzen als erstes Salbeitee und lege meinen Kindern bei starkem Husten Bienenwachswickel auf die Brust. Die Kraft der Natur ist gigantisch, und ich finde es wundervoll, Tee aus Spitzwegerich herzustellen oder es bei einer Blasenentzündung statt des Antibiotikums erst einmal mit Cranberries zu versuchen. Was ich aus der medizinkritischen Zeit außerdem mitgenommen habe, ist die Haltung, Krankheiten sehr genau anzuschauen, auch auf psychischer Ebene.

Aber ich habe begriffen, dass die Ablehnung moderner Medizin eine Haltung ist, die man sich leisten können muss. Zu behaupten, dass ein gutes Immunsystem eine Impfung ersetzen kann, ist erstens eine schwer haltbare Hypothese, zweitens in höchstem Maße überheblich und klammert drittens all jene Menschen aus, die wegen chronischer Krankheiten, Behinderungen oder anderer körperlicher Beeinträchtigungen über solche Aussagen nur müde lächeln können. Gesundheit ist nicht selbstverständlich.

Letzte Gedanken

Viele Menschen erleichtert es, etwas „da oben“ abzulehnen: die Pharmaindustrie, die Presse, die Politik. Komplexe Gebilde, die zu durchschauen unmöglich ist. Es gibt uns ein Gefühl von Selbstwirksamkeit, uns gegen diese Systeme zu verbünden. Sich kollektiv einzubilden, dass man selbst die Weisheit gefunden hat. Was für eine Hybris!

Corona hat mir gezeigt, dass wir dankbar sein müssen für eine faktenbasierte Medizin. Ich habe in wenigen Monaten fast alle Ärzt*innen gewechselt. Heilpraktiker*innen suche ich nicht mehr auf. Ich habe meine Kügelchen verkauft und hole Impfungen nach.

Als sich mir die Gelegenheit bot, mich gegen Corona impfen zu lassen, da pochte sie kurz an, die alte Skepsis. Da erinnerte ich mich an all die impfkritischen Texte, die ich damals gelesen hatte. Doch in diesem Moment entschied ich mich gegen die Angst – und für Vertrauen in Menschen, die mehr Ahnung haben als ich. 

Und ich merkte, wie leicht mir das fiel.