Warum uns schlaue Ratgebersprüche nicht halfen, als wir nach dem ersten Baby in eine Beziehungskrise gerieten – und warum wir heute keine Angst mehr vor Flauten haben.

Mein Idealbild von Elternschaft

Am Anfang war da dieses Ideal: Ein Paar entscheidet sich für ein Kind oder mehrere, die beiden meistern kleine Krisen und klopfen sich nach schlaflosen Nächten anerkennend auf die Schulter. Sie verzichten ein paar Jahre auf Zweisamkeit und sind danach verbundener denn je. 

So sah sie aus, meine Vorstellung. Es klang schon hart, aber irgendwie auch romantisch. Ich malte mir aus, wie mein Freund und ich uns müde, aber glücklich abends auf der Couch anlächeln würden, während wir eine gute Flasche Rotwein entkorken. Ich dachte, Beziehungen gehen auseinander, weil Menschen nicht mehr miteinander reden – und reden, das konnten wir. Ich dachte, wir sind so entspannt, uns wird ein Kind schon nicht aus dem Takt bringen.

Ich konnte nicht wissen, dass es ganz anders kommen würde. Und viel, viel schlimmer.

Perfekte Bedingungen!

Wir waren noch nicht lange zusammen, als sich der Kinderwunsch meldete. Er war groß und bedingungslos und ich wusste genau: Dieser Mann wird der Vater meiner Kinder. Nicht alles zwischen uns war perfekt, aber unsere Lebenskompasse zeigten in die gleiche Richtung. Unsere Werte passten zusammen. Wir funktionierten im Alltag wunderbar. Wir gingen oft feiern, hatten einen riesigen Freundeskreis, eine enge Bindung zu unseren Eltern, die sich nichts sehnlichster wünschten, als ein Enkelkind zu betreuen. Perfekte Bedingungen! 

Und so gingen wir die Sache mit der Familienplanung an, obwohl wir noch nicht zusammen wohnten – wir lebten zu der Zeit nicht mal in einer Stadt. Wenn ich zu der Zeit mit Freundinnen sprach, die bereits Kinder hatten, redete ich mir ein, dass es bei uns anders kommen würde. Dass meine Freundin und ihr Partner kurz vor der Trennung standen nach vier schlaflosen Jahren – ich schob es auf ihre Beziehung, die ja nie wirklich getragen hatte. Wir waren doch anders!

Doch ich hatte keine Ahnung. 

Der Wechsel von “Paar” zu “Eltern”

Wenige Wochen vor der Geburt zogen mein Freund und ich noch schnell zusammen. Unser wundervolles Baby trugen wir in eine halb fertig eingerichtete Wohnung, das Glück war grenzenlos. Doch unser Traum hatte nicht die Option beinhaltet, dass ein Baby mehr Bedürfnisse hat, als zwei Menschen stillen können. Wir wurden förmlich umgehauen von der Wucht der Überlastung, die viele Jahre währen würde.

Die erste Zeit ging all unsere Kraft drauf, mit maximal zwei Stunden Schlaf am Stück zu überleben. Als ich wieder arbeitete, schlief das Baby schon besser, dafür begann uns der Alltag und die Diskussionen über gleichberechtigte Elternschaft aufzufressen. Auch nach der Babyzeit fanden wir nicht zurück zu unserer alten Verbindung. Früher hatten wir den Großteil unserer Freizeit mit gemeinsamen Freunden verbracht, auf Reisen und Kulturveranstaltungen. Nun wollte jeder für sich sein. Wir verbrachten die wenige Zeit, die uns neben Arbeit, Kind versorgen und Haushalt noch blieb, vor dem Fernseher. Ohne Rotwein.

Wir hatten uns vorher nicht ausmalen wollen, dass die Liebe zu einem Kind die Liebe zum Partner tatsächlich überlagern kann. Wir hatten nicht geahnt, dass Elternsein so ziemlich jede Sehnsucht danach tötet, dem Partner auch nur ansatzweise nah zu sein. Beide waren wir ausgelastet von der Nähe zu unserem Baby, kuschelten einfach den ganzen Tag lang – nur eben nicht miteinander.  Der Wechsel von „Paar“ zu „Eltern“ wirbelte uns so sehr durch, dass wir zwischenzeitlich nicht wussten, wo und wie wir uns wiederfinden sollten.

Wir nahmen uns Zeit. Wirklich Zeit.

Immerhin: Wir erkannten das Problem und suchten nach Lösungen. Wir versuchten es mit romantischen Dates, für die wir uns mühsam eine Babysitterin organisierten. Und dann saßen wir uns bei Kerzenschein gegenüber und hatten uns nichts zu erzählen.

Als unsere Tochter anderthalb war, wurde die Sprachlosigkeit zwischen uns so groß, dass wir beschlossen, in ein Paar-Coaching zu gehen. Nur sehr wenige Sitzungen und ein paar gute Fragen der Beraterin waren nötig, um uns zu zeigen: Es ist kein Wunder, dass all das passiert. Aber wir müssen uns schon ein bisschen Mühe geben, damit es nicht so bleibt.

Wir nahmen uns Zeit. Wirklich Zeit. Zum Reden, vorwurfsfrei und wirklich interessiert am anderen. Wir deckten Missverständnisse auf und sprachen über Empfindlichkeiten, die wir voneinander nicht kannten. Wir legten Code-Wörter fest für Situationen, in denen wir zickig wurden, obwohl wir beide eine Umarmung brauchten. Wir verabredeten, uns jeden Tag etwas Freundliches zu sagen, um Ausgleich zu haben für die schwierigen Momente. Wir fanden heraus, dass es nicht immer rosarot sein muss – aber dass es jeden Tag wieder eine Entscheidung braucht, miteinander leben zu wollen. Und wir versicherten einander immer wieder: Ich will das mit dir schaffen.

Unsere Leitlinien

Es gibt kein Zauberrezept für das Gelingen einer Beziehung, wenn ein Paar Kinder bekommt. Uns halfen diese Leitlinien, die uns bis heute begleiten:

Erstens: Es geht allen so.

Zweitens: Es ist Arbeit, Nähe herzustellen, und nicht alles, was früher funktionierte, klappt heute genauso gut. Am Ende ist es egal, womit ihr gemeinsame Zeit verbringt, aber Hauptsache, ihr tut es bewusst.

Drittens: Manchmal gibt es nicht mal für die kleinsten gemeinsamen Unternehmungen Zeit oder Kraft. In diesen Zeiten hören wir nicht auf, aneinander zu glauben. Wir kneifen dann die Arschbacken zusammen, sind so nett wie möglich zueinander und arbeiten darauf hin, dass wir wieder zueinander finden.

Viertens: Wenn es uns beiden nicht gut geht, geht es niemandem in dieser Familie gut. Darum sorgen wir aktiv für unsere Paarbeziehung.

Fünftens: Sex kann dabei helfen, dass Nähe entsteht. Es ist nicht nur andersherum.

Neue, andere gemeinsame Erlebnisse

Vor den Kindern sind wir regelmäßig zusammen klettern gegangen. Wir hatten versucht, dieses Hobby auch mit Kindern beizubehalten, aber auch hier sah die Realität anders aus als unsere Vorstellung: Nein, unser Kind schlief nicht friedlich im Buggy, während wir an der Wand hochkraxelten. 

Zum gemeinsamen Wachsen gehörte auch zu akzeptieren, dass es neue, andere gemeinsame Erlebnisse geben kann. Unsere Kinder schliefen zwar fürchterlich, dafür waren sie sehr gern bei ihren Großeltern, die nicht weit entfernt von uns wohnten. Und so wurden gemeinsame kinderfreie Wochenenden lange Zeit unsere Paar-Lebensversicherung. Wir ließen all die alten Bilder vom Elternsein los – und schufen uns eine neue, eigene Realität.

Obwohl wir beide nie Fans des Konzepts Ehe gewesen waren, beschlossen wir drei Jahre nach der Geburt unserer zweiten Tochter, dass wir heiraten wollten. Diese Entscheidung war nicht so heiß-romantisch, wie man sich das manchmal vorstellt. Ehrlich gesagt antwortete ich einmal auf die Frage, warum wir jetzt „erst“ heirateten: „Weil es kein Argument mehr dagegen gibt.“ Zu heiraten war wie die logische Konsequenz unserer überstandenen Krise, das vollzogene Ritual einer bewussten, gemeinsam getroffenen Entscheidung FÜR uns beide. Dafür, auch bei allen Schwierigkeiten, bei aller Distanz und allen Zweifeln immer wieder zu sagen: weiter geht’s. 

Inzwischen sind wir seit über 12 Jahren ein Paar und seit über 9 Jahren Eltern. Wir haben seit der ersten Krise weitere erlebt. Wir mussten uns immer wieder unsere Leitlinien hervorholen, uns gegenseitig sagen: Hey, wir gehören nicht zu denen, die so etwas hinschmeißen. Wir wissen, dass es Arbeit ist – aber das ist es wert.

Ich hatte nicht geahnt, wie schwer es werden würde, Eltern zu werden und ein Paar zu bleiben. Doch was ich auch nicht geahnt hatte: welche Kraft ich besitze, wenn ich beschließe, nicht aufzugeben.