Das Thema Rassismus ist endlich wieder vermehrt in den Medien und auf den Straßen. Doch nun liegt es an uns, dass es diesmal auch so bleibt und wir nicht zu der vorher herrschenden Normalität zurückkehren. Es ist die Aufgabe von uns weißen Menschen, etwas zu verändern, denn BIPOC sind weiterhin Tag für Tag von Rassismus betroffen!

Wir müssen uns hinterfragen, uns weiterbilden, für BIPOC einstehen und können so viel bewirken, um Rassismus dauerhaft zu verhindern.

Den größten Einfluss nach Außen haben wir auf unsere Kinder und daher ist es wichtig auch sie für das Thema zu sensibilisieren und gewissenhaft mit ihnen zu reden. Auch in diesem Zusammenhang möchte ich wieder einer Schwarzen Frau meine Stimme geben. Sarah arbeitet bei der Volkssolidarität als Referentin für Migration, Geflüchtete und Rassismus und ist daher Expertin für dieses Thema.

 

Liebe Sarah, wie sieht dein Daily Business als Referentin für Migration, Geflüchtete und Rassismus aus?

Ich betreibe viel Recherche zu den Bereichen, denn gerade das Thema Flucht und Migration ändert sich wöchentlich. Es gibt neue Gesetzesvorhaben und es passieren weltweit neue Dinge. Dann gebe ich noch Kurse für alle möglichen gesellschaftlichen Gruppen. Am häufigsten werde ich angefragt, ob ich zum Thema Rassismus weiterbilden kann. Das ist oft pädagogisches Personal, aber auch Parteien oder andere Institutionen.

Bevor unsere Kinder zu künftigen Politikern, Pädagogen und Co. heranwachsen, können wir Eltern bereits viel dafür tun, dass sie Rassismus kritisch betrachten. Was würdest du Eltern raten, die sich gemeinsam mit ihren Kindern mit dem Thema Rassismus beschäftigen wollen?

Zuallererst müssen wir bei uns selbst anfangen und unsere eigenen Vorstellungen überdenken. Was für Bilder habe ich zum Beispiel von Schwarzen Männern, denn das überträgt sich auch auf unsere Kinder.

Ab welchem Alter können wir mit Kindern, in diesem Kontext genauer gesagt mit weißen Kindern, über das Thema Rassismus sprechen?

Es ist erforscht, dass sich Kinder ab 3 Jahren in der Gesellschaft positionieren, beispielsweise, was das eigene Geschlecht betrifft. Das ist im Prinzip so die Zeit, in der wir anfangen können, darüber zu sprechen. Sicherlich kann dann noch nicht Rassismus in dieser Begrifflichkeit thematisiert werden, aber es kann kindgerecht aufbereitet werden.

Wir müssen aber auch nicht direkt drüber sprechen, es fängt ja schon viel früher an, beispielsweise indem ich mir einmal anschaue, wie das Kinderzimmer so ausgestattet ist. Das heißt, wie sehen eigentlich die ProtagonistInnen in den Büchern aus, die ich mit meinen Kindern ansehe, sind das alles weiße, blonde Kinder? Das geht auch noch auf anderen Ebenen, zum Beispiel bei weiblichen Protagonistinnen in Büchern: Welche Attribute werden ihnen eigentlich zugeschrieben, tragen sie immer alle Kleider und haben bestimmte Eigenschaften, die gesellschaftlich Mädchen zugeschrieben werden? Oder sind das beispielsweise Heldinnen, die Autos fahren?

Wen repräsentiert eigentlich mein Spielzeug? Bin ich das oder die FreundInnen, die mich umgeben? Habe ich auch eine Schwarze Puppe? Habe ich auch eine Puppe, die nicht dünn ist? Da muss ich sagen, da ist gerade der deutsche Markt, was diverses Spielzeug betrifft, noch nicht gut ausgestattet. Wir sind aber auf einem guten Weg.

Solche Anpassungen des Kinderzimmers sind ein erster Schritt dazu, dass Kinder Diversität als normal verstehen, denn das Kinderzimmer spiegelt ihre Realität wider.

Ab welchem Alter würdest Du Rassismus bei Kindern explizit thematisieren?

Da Kinder in ihrer Entwicklung ganz unterschiedlich sind, fällt es mir schwer, mich auf ein bestimmtes Alter festzulegen. Über soziale Ungerechtigkeit zum Beispiel kann man mit Kindern so ab 4 bis 5 Jahren sprechen. Wenn Kinder in einem ganz weißen Umfeld aufwachsen und auch die Kita und Schule sehr weiß ist, dann kann schon darüber gesprochen werden, warum das eigentlich so ist. Warum eigentlich nicht weiße Menschen nicht in ihrer Umgebung leben oder nicht in die gleiche Schule gehen. Da kann über soziale Ungerechtigkeiten kindgerecht gesprochen werden, zum Beispiel, dass der Zugang zu Bildung nicht für alle gleich ist oder sich nur wenige eine Wohnung in der Umgebung leisten können.

Viele sagen: Wenn etwas vorfällt, dann sprechen Sie mit den Kindern und sagen, alle Menschen sind gleich. Das ist ja ein sehr schöner Gedanke, denn genau das sind sie ja im Prinzip auch, aber trotzdem haben alle unterschiedliche Lebensrealitäten und unterschiedliche Chancen. Für Kinder kann das daher am besten ganz praktisch an ihrem eigenen Alltag erklärt werden. Es ist wichtig, sie darauf aufmerksam zu machen, wenn Ungerechtigkeiten passieren, auch wenn sie sie selbst begehen. Erklärt ihnen, was die Äußerungen mit dem anderen Kind machen. Das verstehen Kinder und meiner Erfahrung nach haben sie eine hohe Empathiefähigkeit. Für eine Entschuldigung reicht es oftmals schon aus, sie darauf hinzuweisen, dass das andere Kind durch die Äußerungen verletzt und traurig ist. Kinder sind dankbare und großartige Menschen, die rücksichtsvoll miteinander umgehen können.

Ich habe auch schon mit jugendlichen Gruppen gearbeitet und bin der Meinung, dass Jugendliche noch mal besser in der Lage sind, eigene Vorurteile zu überdenken, als Erwachsene. Es kommt nicht die übliche Abwehrreaktion, wie es oft bei Erwachsenen der Fall ist. Generell, wie im gesamten Alltag, sollte ein respektvoller Umgang herrschen und alles sollte einmal ausgesprochen werden können, damit die Kinder und Jugendlichen mit ihren Fragen nicht alleingelassen werden.

Neben den Eltern können ebenso Kitas und Schulen ihren Beitrag leisten. Wie kann das ablaufen?

Eine der einfachsten Dinge ist auch hier zuschauen: Gibt es nur blonde Barbies? Wie ist da eigentlich der Buchbestand? Wie divers sind die Charaktere, die in den Büchern stattfinden oder werden beispielsweise Stereotypen von nicht weißen Menschen dargestellt? Habe ich Karten über die unterschiedlichen Länder der Welt und wie sehen die Beschreibungen eigentlich aus? Wird Afrika als Kontinent mit 55 Ländern, in dem über 1300 Sprachen gesprochen werden und der dreimal größer als Europa ist, beschrieben oder wie ein Land dargestellt ohne Diversität? Wir können darauf achten, welche Bilder durch Spielzeug und Bücher unseren Kindern vermittelt werden.

Es ist allerdings auch möglich das pädagogische Personal in Kita und Grundschule konkret anzusprechen und zu fragen, was passiert, wenn es zu rassistischen Äußerungen kommt? Wie gehen sie damit um? Falls es zu solchen Fällen kommt, sollten sich weiße Eltern unbedingt mit einbringen, damit sich nicht immer nur Betroffene dazu äußern müssen.

Wie kann ich reagieren, falls sich mein Kind selbst rassistisch äußert?

Wenn es zu rassistischen Äußerungen vom eigenen Kind kommt, dann finde ich es sehr wichtig, dass es nicht von den Eltern runter gespielt wird. „Das machen die mal, so etwas passiert, so was kann man nicht so ernst nehmen, es sind ja Kinder.“, sind keine Gründe für so ein Verhalten. Kinder haben schon einen Gerechtigkeitssinn. Eltern sollten mit ihren Kindern offen darüber sprechen und ich finde es auch angemessen das Gespräch zu den Eltern und dem Betroffenen Kind zu suchen, um sich zu entschuldigen. Es ist wichtig, solche Äußerungen und Vorkommnisse ernst zu nehmen, Rassismus ernst zu nehmen.

 

Was, wenn mein Kind erwidert „Mein Freund xy sagt so was auch“?

Ich würde auf jeden Fall das Gespräch zu den Eltern des Freundes suchen und auch hier darauf achten, dass das Thema nicht runter gespielt wird. Der Idealfall ist natürlich, sich vor einem Gespräch mit dem eigenen Kind sowie, bevor man mit den anderen Eltern spricht, über die Herkunft von bestimmten rassistischen Bezeichnungen zu informieren. Andernfalls passiert es ganz oft, dass die andere Partei das Thema runter spielt, wieder im Sinne von „Na ja, wir haben es früher auch nicht böse gemeint und das Kind meint es auch nicht böse“. So hat man etwas in der Hand und kann gut argumentieren, wieso es eben kein neutrales Wort ist. Diese Auseinandersetzungen sind oft ziemlich schwierig, aber unfassbar wichtig.

Es sollte auch mit dem pädagogischen Personal besprochen werden, wenn rassistische Äußerungen fallen. Es ist möglich, dass so eine Meinung von zuhause kommt. Manchmal ist das Gegenüber nicht zu überzeugen, weil es ein gefestigtes Weltbild hat. Es gibt immer die Möglichkeit, auch ExpertInnen zum Thema von außen dazu zu laden, um Personal und Kinder optimal zu sensibilisieren. Im Idealfall werden die Kinder und das Personal sehr früh sensibilisiert, um entsprechenden Situationen angemessen reagieren zu können.

Hast du noch etwas im Kopf und Herzen, was du zu dem Thema gern sagen möchtest?

Ich möchte gerne noch etwas zu weißen Eltern Schwarzer Kinder sagen. Bitte nehmt eure Kinder, wenn sie euch von rassistischen Vorkommnissen erzählen, immer ernst. Spielt es nicht runter, sondern benennt es klar. Nehmt eure Kinder ernst, denn von Rassismus Betroffene haben eine hohe Sensibilität für diese Situationen, die bekommen weiße Menschen manchmal gar nicht mit. Weiße Eltern müssen auf ihre Kinder vertrauen und auf die Erfahrungen, die sie seit jüngster Kindheit machen müssen. Schreitet ein, wenn es dazu kommt. In der Kita, in der Schule, im Alltag. Seid die AnwältInnen eurer Kinder und haut auch mal auf den Tisch. Die Kinder sind in diesen Situationen immer allein und da ist es wichtig, dass die Eltern ihren Kindern zeigen: Ich bin da, wenn du Rassismus erlebst, und ich werde meine erwachsene, privilegierte Situation dafür nutzen, dich zu unterstützen.

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