geschrieben von Kim

Ich erinnere mich noch – als wäre es gestern gewesen. Gut… allzu lang her ist es auch noch nicht.

Im Sommer 2017 haben wir unsere erste Tochter bekommen. Lebten mitten in der Stadt, in einer wunderhübschen Altbauwohnung. Stuck an den Decken. Knarrender Holzfussboden. Überall Palisanderholz. Die schönste Wohnung, in der ich je gelebt habe – und das waren viele.

Der Ausblick von unserem Erker führte über zwei Kirchturmspitzen. Daneben eine Wasserstelle und Sitzgelegenheiten. Treffpunkt für zwielichtige Gestalten, Spritzen und anderer unschöner Müll und spezielle Erlebnisse als Nebeneffekt. Vor dem Baby im Bauch war mir das relativ egal, da es trotzdem immer friedlich in unserer Gegend war. Jetzt aber, hochschwanger, ein Dorn im Auge.

Eigentlich waren wir glücklich. Aber der Drang nach mehr Sicherheit, einem Garten – und überhaupt, jetzt als Eltern auch mal vorzusorgen, wurde grösser.

Ich bin als Teilzeitdorfkind groß geworden. Als Scheidungskind hatte ich auf der einen Seite dieses beschützte, konstante Leben und andererseits viele Umzüge, Schulwechsel und Reisen durch Europa mit dem Wohnmobil. Rückblickend die perfekte Kombi.

Mein Mann, festangestellt, ich, zwar in Elternzeit, aber das Studium bereits in der Tasche.

Keine Schulden. Eigenkapital. Die Bank freute sich. Ich fuchste mich durch und wir stürzten uns auf die Suche.

Wie der Zufall es so wollte, fanden wir bereits wenige Monate später das perfekte Objekt.

Zwar mit Abstrichen, aber hey, wenn du kein Millionär bist, musste du die halt machen – dachten wir uns. Ein Reihenmittelhaus. In genau der kleinen Siedlung, in der mein Elternhaus sich befindet.

Meine Freude war riesig. Was dem Haus von Anfang an fehlte, war Charme. Aber wir waren nach mehreren besichtigten Objekten bereits realistisch genug… Das, wovon wir insgeheim träumten: ein großer uneinsehbarer Garten, ein Haus mit Geschichte und Besonderheiten, war schlichtweg nicht in unserer Preisklasse und im Rahmen unserer Möglichkeiten. Denn handwerklich begabt ist hier ebenfalls keiner.

Ich weiß noch, wie meine Freundin ganz vorsichtig anmerkte, ob ich mir denn wirklich sicher sei? So ein Reihenhaus und dann genau in diesem Dorf… Das neben vielen glücklichen Erinnerungen auch mit viel Traurigkeit verbunden ist. Ich war stinksauer! Sicher war ich mir nicht. Keine Ahnung, ob wir das alles hinbekommen, ob das gut geht.

Aber wir wollten es. Gesagt, getan. Weggeschoben, der Drang zum Meer, zur Freiheit – wir waren doch jetzt Eltern. Und hatten von Anfang an abgemacht, dass diese Entscheidung, so groß wie sie auch ist, im Notfall rückgängig gemacht werden kann.

Im Winter dann der Einzug. Wir versuchten uns einzuleben. Ich war mit drei Etagen plus Haushaltsraum im Keller gefühlt nur dabei, Treppen zu laufen.

Wenige Wochen nach dem Einzug entdeckte ich, dass unsere Buchsbäume (die waren vorher schon da) im Vorgarten von Raupen befallen waren. Mit dem Willen, als frischgebackene Eigenheimbesitzerin nicht bei den Nachbarn zu verkacken, setzte ich die Kleine in die Wippe und war stundenlang damit beschäftigt, die Buchsbäume zu trimmen – aber bloß keine Raupe dabei zu töten. Was ich da noch nicht wusste: das war doof. Um nicht zu sagen dämlich. Denn die Raupen suchen sich logischerweise einfach den nächsten schönen Platz.

Mein Mann erzählt mir wenige Wochen nach diesem Vorfall, dass er die Stadt vermisst. Ich reagiere in Panik. Er wiegt ab. Er sei ja eh viel arbeiten, wichtig wäre, dass wir uns wohlfühlen.

Ich sage: „Ja, ich versuche es“. Aber zwischen Stillen, vollgekackten Windeln und meinem zweitem Baby im Bauch wurde mir alles immer mehr zu viel. Eingestehen konnte ich mir das aber noch nicht.

Also erneuerten wir die Heizung. Machten ein Vordach über die Terrasse und verlegten einen schicken neuen WPC-Boden. Das Verlangen, mich in diesem Garten aufzuhalten, gefühlt die Blicke aller im Nacken, hatte ich selten. Das Haus wurde immer mehr zum Ballast. Und ich spürte immer mehr, dass ich weniger frei war, als vorher. Der Faktor Nachbar, der mit seiner Schere den Rasen trimmt, ungefragt meine Akazie beschneidet und mich anraunzt, sobald ein Blatt in seinen Garten fliegt, stresste mich. Die Streitereien zuhause wurden mehr. Kein Wunder, waren wir doch beide unzufrieden und wussten nicht so wirklich raus aus unserem Kreisel. Unsere Ehe litt sehr in dieser Zeit. Frust über Frust.

Im Sommer 2019, war unsere zweite Tochter mittlerweile auf der Welt und der Kindergarten für die Große sollte starten. Ich weiß noch… als die Zusage kam, weinte ich Tränen vor Freude. Am zweiten Tag der Eingewöhnung sah das schon anders aus und ich spürte meine innere Verzweiflung immer mehr.

Eines Abends, nach einem heftigen Streit, spreche ich es aus: „ Das macht keinen Sinn mehr. Wir müssen dieses Haus verkaufen. Ich will hier nicht länger unglücklich sein und dir dabei zugucken wie du unglücklich bist. Wenn, dann jetzt, vor Schule und weiteren Eingewöhnungen und vor allem: bevor unsere Ehe das nicht überlebt.“ Man hörte die Ziegelsteine, die von den Schultern meines Mannes abfielen, förmlich aufprallen. Ich holte mir verschiedene Informationen ein (Spekulationssteuer ja/nein, Auflösungsgebühr Bank etc.) und setzte unser Haus Donnerstagabend online. Die Anfragen explodierten bereits über Nacht und kurze Zeit später war es verkauft.

Ohne Verlust.

Es ging zurück in die Stadt. Zwei Straßen entfernt von der alten Wohnung. Mit dem schönsten Balkon überhaupt. Zucchinis, Paprikas, Gurken, Tomaten, Blumen und Kräuter jeglicher Art sprießen gerade aus unseren Hochbeeten. Wir haben einen Wintergarten und genauso viel Platz, wie vorher im Haus, aber ebenerdig. Wir zahlen mehr als vorher. Verrückt, sagen da manche. Aber: Wir sind glücklich. Alle. Die Kinder hier in der Stadt, genauso wie auf dem Dorf. Es gibt einen tollen Abenteuerspielplatz um die Ecke. Ich mache weiterhin das, was ich immer am liebsten gemacht habe, egal ob Dorf oder Stadt. Ab ins Auto und raus in die Welt, Wälder und Spielplätze erkunden, die Oma am Bauwagen besuchen.

Trotz allem bin ich froh, über die Erfahrung Hauskauf in meinem Leben. Ich weiß jetzt definitiv, dass ich das für mich nicht brauche, um glücklich zu sein. Das gibt Ruhe und Zufriedenheit.

Also los, wenn ihr wollt, kauft. Es muss ja nicht für immer sein.

Kim findet ihr bei Instagram über @meerfehlt