Ich wollte diese eine sein, diese eine Version von mir, die irgendwo schlummert – denke ich. Die ich vielleicht aus einem Roman oder einer Fernsehwerbung kenne und sie mir mit Locken und blauen Augen vorstellte. Ich wollte sie so sehr sein und ab und an noch immer… An schlechten Tagen, an denen ich vor dem Spiegel stehe, alles hängt, meine Haare einem Vogelnest gleichen und ich mit zornigen Augen versuche, den Schmerz weg zu atmen, den ich fühle, weil ich gerade wieder gescheitert bin. Gescheitert an meinem Leben, meiner Mutterrolle, meinen Erwartungen. 

Die ideale Version

Mein Mann kommt von der Arbeit und ruft durchs Haus „Schatz, ich bin zu Hause!“. Unsere Kinder – es sind drei, weil ich das schon immer schön fand – sitzen in ihrem Zimmer und lesen sich Geschichten vor. Ich stehe in der Küche und koche ein großes Festmahl für die ganze Familie. Für die Kinder gibt es Brokkoli-Taler und Sternen-Gurkenscheiben ausgestanzt aus Plätzchenförmchen… sie lieben Gemüse. Mein Mann Hörby und ich essen Nussbraten, der stundenlang liebevoll von mir zubereitet wurde. Ich habe mich natürlich am Morgen schöngemacht, nachdem ich beim Yoga war. Meine Arbeit ist erledigt und das, was ich nicht geschafft habe, machen meine Mitarbeiterinnen für mich, die ich sehr organisiert über Tools unserer Arbeit-Smartphones briefe. 

Mein Mann bringt eine Flasche Wein mit, von der wir beide aber nur jeden dritten Abend ein halbes Glas trinken. Aber erst, wenn die Kinder im Bett sind. Die drei sind übrigens wahnsinnig lieb. Ich frage mich bis heute, was die Leute eigentlich meinen, wenn sie sagen, dass sie ihre Kinder nicht aushalten. Unsere essen brav alles, was ich sehr aufwendig für sie gekocht habe. Danach helfen sie in der Küche, machen sich bettfertig und gehen eigenständig ins Bett. Hörby und ich haben dann viel Sex, fast jeden Tag. Kreativen Sex. Danach lesen wir zusammen unsere Bücher, die wir uns gegenseitig kaufen und – na klar – trinken das halbe Glas Wein. Wir schlafen gegen 23 Uhr ein und durch bis morgens um 7 Uhr, wenn wir von unseren ausgeschlafenen Kindern mit Küsschen im Bett geweckt werden. 

Die reale Version

Doch … diese eine bin ich nicht. Meine Version ist gestresst, oft gereizt, hat letztens ihrem Kind gesagt, dass sie nicht mehr kann und es in ihr Zimmer geschickt. Dieser Mensch, der ich wirklich bin, hat selten Lust, sich morgens schön zu machen und zwingt sich in Episoden dazu, morgens 20 Minuten Yoga zu machen – regelmäßig klappt das aber nie. Ich koche manchmal aufwendig für uns alle, aber eher selten, denn ich schmeiße das Essen der Kinder meist weg, wenn ich länger als 20 Minuten in der Küche gestanden habe. Sie schmecken es einfach raus, wenn ich mir wirklich Mühe gegeben habe und boykottieren es. Hörby und ich sagen selten „Schatz“ zueinander und haben auch selten kreativen Sex, meistens verabreden wir uns dafür. Wenn wir schon bei Sex sind: Wir hätten gerne ein drittes Kind, aber packen es einfach (momentan) nicht, denn unser Leben lastet uns aus. 

Ich stehe dort vor dem Spiegel, meine Augen sind rot unterlaufen und beim näheren Hinschauen, fällt mir auf, dass ich noch Saft vom Frühstück in den Mundwinkeln hängen habe und meine Jogginghose falsch herum trage. Ich lache auf und eine Träne läuft mir das Gesicht hinunter. So wollte ich nie sein, denke ich und erschrecke mich vor mir selber – wie verrückt ich gerade aussehen muss. Bis ich höre, dass meine Kinder die Treppe hochkommen und in der Tür stehenbleiben. 

Meine Version ist die beste Version

Meine Tochter hat ein Buch in der Hand, mein Sohn eine Flasche Tomatensoße. Ich gucke sie fragend an und setze mich auf den Boden. Die beiden setzen sich auf meinen Schoß. „Kannst du heute Abend Nudeln machen bitte? Deine Nudeln schmecken so lecker mit der Tomatensoße! Und davor lesen wir ein Buch!“, sagt meine Tochter und streicht mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Ich lächle und mein Sohn ergänzt sie mit einem „Mama lieb. Kuss!“, und schlabbert mit offenem Mund über meine Wange. Ich nehme die beiden in den Arm und sehe uns aus dem Augenwinkel in dem Spiegel, in dem ich mich vor wenigen Minuten erinnerte habe, wer ich mal sein wollte. 

Wir drei sitzen dort ein paar Minuten und streicheln uns gegenseitig über die Haare, zählen unsere Finger und singen Lieder vom Pupsen (so ein Ding von uns). Die beiden Menschen, die ich geschaffen habe, auf meinem Schoß, auf meinen Beinen, die mich durchs Leben tragen, mein Kopf geneigt auf dem meiner Tochter, die ich über alles auf der Welt liebe und die mich gleichzeitig in den Wahnsinn treibt. 

Und wie ich dasitze und sehe, wie wunderschön die Version von mir ist, die ich auslebe, lasse ich das Bild wieder ein Stück mehr los. Die Version, die mir als Ideal immer mal wieder vor Augen schwebt, dass meine Erwartungen niemals erfüllen kann. Denn es ist nur die Flucht aus dem Alltag, der mir, egal bei welcher Version meiner Selbst, aus den Fingern gleiten würde. 

Es raschelt im Flur. Hörby schließt die Tür auf und ruft: „Hallo ihr drei, ich bin zu Hause! Wer hat Lust auf Popcorn?“ Wir drei rufen durchs Haus zurück: „Wir! Aber heute im Bett. Wir haben schon Bücher und Tomatensoße.“