[Triggerwarnung – Depression, Suizid]

Saskia* ist gerade 33 geworden, als sie ihren kleinen Sohn zur Welt brachte. Neun Monate lang warteten sie und ihr Freund sehnsüchtig darauf, ihren kleinen Schatz in die Arme schließen zu können. Die ersten Wochen waren wie im Bilderbuch und voll schöner Familienzeit, doch dann wurden die Tage langsam dunkler und die einst so glückliche Mama kannte kaum noch helle Momente. Über Monate hinweg begleiteten sie mehr Schatten als Licht und erst der Besuch bei einem Arzt gab der Familie Klarheit und die Diagnose: Eine schwere Wochenbettdepression mit Suizidgedanken. 

„Fahr vorsichtig mit dem Auto, nicht dass du einen Unfall baust!“ wird wohl häufiger geraten als „Achte auf dich, nicht dass deine mentale Gesundheit schaden nimmt.“, dabei sterben jährlich mehr Menschen durch Suizid als aufgrund von Verkehrsunfällen. Männer nehmen sich dabei laut Statistischen Bundesamt häufiger das Leben als Frauen und insgesamt liegen die meisten Selbstmorde bei allen Geschlechtern in dem Lebenszeitraum zwischen 50 und 60 Jahren. Dennoch erschüttern uns immer wieder auch Nachrichten von jungen Frauen, die sich und manchmal auch ihre Kinder, umbrachten. 

Laut Prof. Dr. med. Michael Dettling sei Suizid eine der häufigsten Todesursachen bei Frauen im ersten Jahr nach der Geburt. Der Mediziner arbeitet in der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Charité Berlin und ist der Meinung, dass nach wie vor alle postpartalen psychischen Störungen mit einem starken Stigma assoziiert werden und infolgedessen unterdiagnostiziert und kaum systematisch untersucht werden. Doch allein aus einer auch noch unerkannten Depression zu kommen ist alles andere als leicht und daher ist es wichtig, sich professionelle Hilfe zu holen.

Wenn du Mutter bist, wird dich das Erfüllen. Du wirst nach der Geburt in das Gesicht deines Kindes blicken und so glücklich wie nie zuvor sein. Diese romantisierten Vorstellungen von den ersten Augenblicken der Mutterschaft können auf Frauen einen hohen Druck und eine noch höhere Erwartungshaltung an die eigenen Gefühle herstellen. Solche Erfahrungen gibt es sicherlich auch, jedoch sollten sie nicht als Standard angesehen werden. „Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett sind auch zu unserer heutigen Zeit noch hochgradig idealisiert, dabei ist das gleichzeitig der „gefährlichste“ Zeitraum im Leben einer jungen Frau“, so Prof. Dr. med. Michael Dettling. Frauen hätten in keinem anderen Lebensabschnitt eine so hohe Erkrankungs- und Sterblichkeitsrate. 

In der ersten Woche nach der Geburt werden die Gefühle der meisten frisch gebackenen Mamas ordentlich durchgerüttelt. Teils grundlose Traurigkeit, Erschöpfung und Stimmungsschwankungen machen sich breit und die Wöchnerinnen können sich nicht erklären, woher das eigentlich kommt. Was da passiert, ist der sogenannte Babyblues, der durch einen starken Hormonabfall zu erklären ist. Dieser trifft bis zu 80 Prozent der Frauen im Wochenbett, sollte allerdings nach einigen Tagen von allein vorbei sein. Bei einigen Frauen sind diese Symptome der Anfang einer postpartalen Störung, denn 13-15 % der Mütter leiden unter einer depressiven Episode, die bis zu 12 Monate nach der Geburt anhalten kann. 

So erging es auch Saskia, als ihr Kind fünf Wochen alt war. Nach einer schon beinah traumhaft schönen Wochenbettzeit wurde sie immer erschöpfter und hatte immer weniger Antrieb aufzustehen, nicht einmal mehr, wenn ihr kleiner Sohn weinte. Kurze Zeit später kümmerte sich beinah ausnahmslos ihr Freund um das gemeinsame Baby und Saskia hatte immer dunklere Gedanken. Nachdem sie ihrem Freund gegenüber äußerte, nicht mehr Leben zu wollen, reagierte er sofort und die Familie holte sich professionelle Hilfe. Die postpartale Depression der Frau war schon so schwer, dass sie Suizidgedanken hegte. 

Menschen mit Depressionen, bipolaren Störungen oder Schizophrenie sind besonders suizidgefährdet, daher sind es auch Frauen mit einer Wochenbettdepression. Woran können die Mütter und ihre Angehörigen erkennen, ob es wirklich eine Depression ist? Ein großer Unterschied ist der Beginn, da im Gegenteil zu dem Babyblues eine postpartale Depression am häufigsten vier bis acht Wochen nach Geburt des Kindes beginnt. Die Symptome dafür können neben Erschöpfung unter anderem auch Niedergedrücktheit, Hoffnungslosigkeit, Antriebsmangel, Schuld- und Schamgefühle, Ängste bis hin zum Gefühl der Gefühllosigkeit und Suizidalität gehen. Laut Prof. Dr. med. Michael Dettling gebe es einige Faktoren, die diese Krankheit fördern könnten, wie beispielsweise ein traumatischer und schwieriger Schwangerschaftsverlauf, eine anders gewünschte Geburt oder fehlende soziale Unterstützung.

Die Auswirkungen einer postpartalen Depression sind dringend ernstzunehmen, da es von einer gestörten Mutter-Kind-Beziehung über Kindesmisshandlung oder -vernachlässigung bis hin zu einem Suizid, Infantizid (Tötung des Kindes) oder gar einem „Mitnahme“-Suizid kommen kann. Frauen haben im ersten Jahr nach der Geburt ein bis zu 40-fach höheres Suizid-Risiko und bis zu 60 % postpartal depressiver Frauen haben Infantizid-Gedanken. Der Verein Schatten & Licht e. V. ist eine Selbsthilfe-Organisation zu peripartalen psychischen Erkrankungen und sagt dazu, dass in leichten Fällen es genügen könne, sich auf Selbsthilfe zu beschränken. Darüber hinaus empfehlen sie den Frauen das Hinzuziehen von Fachpersonal, um ihres und ihres Kindes Lebens Willen.

Saskia entschloss sich für einen Klinikaufenthalt in einer speziellen Mutter-Kind-Einrichtung. Neben einer medikamentösen Behandlung nahm sie unter anderem an Therapiesitzungen teil, sodass sie schon nach kurzer Zeit wieder mehr Licht in ihr Leben lassen konnte. 

Eine Depression ist eine Krankheit und es ist enorm wichtig, dass sich die Frauen und aber auch ihr Umfeld dessen bewusst werden. Weder trägt jemand die Schuld am Entstehen einer Depression, noch müssen Familien da allein durch. Immerhin geht man bei einer Grippe auch zum Arzt, um sich Hilfe zu holen, und eine Depression sollte ebenso angesehen werden, denn unsere mentale Gesundheit ist genauso wichtig wie die körperliche. Es ist eine schwere seelische Erkrankung, für die sich niemand schämen oder verstecken muss, sondern verständnisvoll behandelt werden sollte. 

*Name geändert

Hilfe bei Suizidgedanken

Wenn deine Gedanken darum kreisen, sich das Leben zu nehmen, bieten verschiedenen Organisationen Hilfe und Auswege an:

Telefonseelsorge: 0800 – 111 0 111 oder 0800 – 111 0 222. Dort sind Mitarbeiter rund um die Uhr erreichbar, mit ihnen können Sorgen und Ängste geteilt werden. Die Telefonseelsorge bietet auch einen Chat an: telefonseelsorge.de

Für Kinder und Jugendliche gibt es außerdem die “Nummer gegen Kummer” – erreichbar montags bis samstags von 14 bis 20 Uhr unter 11 6 111 oder 0800 – 111 0 333. 

Eine Mailberatung für junge Menschen gibt es auch über die Website U25 Deutschland und über Jugendnotmail.

Hilfe – auch in türkischer Sprache – bietet das muslimische Seelsorge-Telefon “MuTeS” unter 030 – 44 35 09 821. Die Mitarbeiter dort sind 24 Stunden am Tag erreichbar.

Eine Übersicht weiterer Angebote hat die Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention unter suizidprophylaxe.de aufgelistet.

Hilfe bei postpartaler Depression

https://schatten-und-licht.de/index.php/de/hilfsmassnahmen

Schatten und Licht e.V.  – Liste für Selbsthilfegruppen und Beraterinnen 

https://www.schatten-und-licht.de/joomla/static_content/Listen/Liste%20der%20Selbsthilfegruppen%20und%20Beraterinnen.pdf

https://www.schatten-und-licht.de/joomla/static_content/Listen/Liste%20der%20Selbsthilfegruppen%20und%20Beraterinnen.pdf