Dieser Text beschäftigt sich mit der Entscheidung, keine Kinder zu bekommen, obwohl es biologisch möglich wäre. Es geht explizit nicht um Paare oder Frauen, die einen unerfüllten Kinderwunsch haben. Und ebenso wichtig: Der Text wurde von einer Frau mit Kind geschrieben, sodass Perspektive und Gefühle natürlich an diese Lebenssituation gebunden sind.
Ich platze vor Liebe – aber!
„Ich platze vor Liebe, immer wieder. Aber ich will auch oft rufen: Kriegt keine Kinder! Lasst es einfach! Noch könnte euer Leben auf ewig euch gehören!“ Mein erster Gedanke zu diesen Worten war: „Krass. Krass, wie sehr ich Nike van Dinthers Worte fühle.“
Mein Herz quillt über, wenn ich an das laute und glucksende Lachen meines Sohnes denke, die großen, strahlend blauen Augen, sein euphorisches „Lastaaaa, großaa Lastaaa’’ (= Laster, großer Laster), wenn wir an einer Baustelle vorbeilaufen. Und an seine festen, teilweise für mich aus dem Nichts kommenden Umarmungen und Küsschen, die er so großzügig verteilt. Das sind Momente, Bilder und Erinnerungen, die mich unfassbar glücklich machen. Die so eine Wärme in meinem Innersten produzieren, wie ich es noch nicht kannte. Eine Liebe, die ich noch nicht kannte, bevor mein Sohn auf die Welt kam.
Und es gibt noch einige weitere Emotionen und Zustände, die ich davor nicht kannte: dieses Gefühl der absoluten Verantwortung, der absolute Fokus auf einen kleinen Menschen, die fehlende Spontanität und Freiheit. Und das schreibe ich, obwohl ich in der privilegierten Situation bin, dass wir Oma und Opa relativ nah haben, diese den Kleinen lieben und ganze Tage mit ihm verbringen. Und wir uns sowohl einen Babysitter leisten könnten als auch einen Kita-Platz haben.
“Nur” ein paar Dinge klären
Klar, kann ich spontan am Abend mit Kolleg*innen Wein trinken gehen. Ich muss davor nur kurz klären, dass mein Mann heute doch unseren Sohn abholt und ihn am Abend betreut, obwohl es andersrum verabredet war. Klar, kann ich am Wochenende mit Freundinnen wegfahren. Ich muss nur kurz klären, dass mein Mann mit ihm alleine ist und wir für den Freitagnachmittag, an dem er noch Konferenzen hat, die Oma fragen. Klar, ich kann und wir können vieles einfach so weitermachen. Man muss davor „nur“ ein paar Dinge klären, wenn man ohne Kind sein möchte. Aber die absolute Spontanität und das Gefühl, nur für sich selbst verantwortlich zu sein – das ist weg.
Woher kommt eigentlich der Wunsch, ein Kind zu haben?
Bis Ende 20 war für mich das Kinderthema kein Thema, denn: Ich wollte keine eigenen Kinder haben. Mit dem Kennenlernen meines Mannes war er aber dann auf einmal ganz plötzlich und heftig da – der Wunsch nach einem Kind. Ich bekam die Idee nicht mehr aus dem Kopf. Nach und nach wurde der Wunsch stärker. Denn natürlich sah ich nur noch all diese strahlenden Schwangeren mit ihren Schwangerschaftsbäuchen oder die zuckersüßen Neugeborenen und Kleinkinder im Café, in der U-Bahn und auf den Straßen.
Lag es an meinem Mann, dass der Wunsch plötzlich kam und dann auch so stark? War da plötzlich klar: Alles klar, richtiger Mann, los geht’s? Ist auch in meinem Unterbewusstsein der Gedanke tief vergraben, dass zu einem glücklichen Leben als Paar ein Kind oder mehrere Kinder dazugehören?
Ich habe ein Kind und ich kann mir nicht vorstellen, ohne es zu sein. Gleichzeitig sage ich: Manchmal wäre ich gerne für einen Tag nicht Mutter oder auch für eine Woche, wenn die Zeiten mal besonders stressig sind. Dann möchte ich aber auch wieder meinen Sohn in meinem Leben wissen. Das ist absolut ambivalent, das weiß ich. Ich bin mir aber auch sicher, dass die meisten Mütter und Väter dieses Gefühl nachvollziehen können.
Was ich nicht so ganz nachvollziehen kann – einfach weil es nicht in meinen kleinen und durch meine Lebensentscheidungen (= bewusste Entscheidung für ein Kind) geprägten Kopf passt – ist, wie sich Frauen und Paare bewusst gegen ein Kind oder das Leben mit Kindern entscheiden können.
Kinder? Ich will keine Kinder.
Bei einem der ersten Kaffee-Dates mit einer neuen Kollegin – ich glaube, es war sogar unser erstes – sagte sie, als wir über Familienkonstellationen und wie gut sich Familie mit unserem Beruf vereinbaren lässt sprachen, dass sie auf keinen Fall Kinder wolle. Nein, sie formulierte es so: „Ich bewundere Frauen wie dich, die Kinder und Beruf so vereinbaren können. Ich könnte es nicht. Aber ich will auch keine Kinder.“
Das Stück Zimtschnecke in meinem Mund sorgte dankenswerterweise dafür, dass ich ein, zwei Sekunden Zeit hatte, mir zu überlegen, was ich dazu sagen könnte. Ob man darauf überhaupt was sagen kann bzw. ob hier überhaupt eine Reaktion von mir erwartet wurde. Oder ob das eben einfach eine Aussage war wie „Kaffee mit Hafermilch schmeckt aber lecker.“ Ich glaube, es kam nichts besonders Sinnvolles von mir zurück an diesem Tag. Wenn ich es korrekt erinnere, habe ich gemurmelt „Ah, okay, das ist ja spannend“, (spannend?!) und erstmal abgewartet.
Meine Kollegin erzählte dann weiter, dass ihr Mann schon ihre Jugendliebe gewesen sei und sie seit fast 15 Jahren ein Paar seien. Sie sich aber noch nie mit eigenen Kindern gesehen hätte und auch noch nie den Wunsch danach verspürt hätte. Vielmehr sei sie sich absolut sicher, dass sie keine Kinder wolle.
Sind sich gewollt kinderlose Paare diesbezüglich immer einig?
Ich habe mich dann erstmal auf den Fakt gestürzt, dass sie und ihr Mann schon mehr als ihr halbes Leben zusammen verbracht haben – das finde ich ja tatsächlich absolut verrückt. Und irgendwann habe ich vorsichtig nachgefragt, ob das Kinderthema für ihren Mann auch so einfach zu beantworten wäre. Sie bejahte, da seien sie sich beide immer einig gewesen. Das hatte mich nachträglich beeindruckt, diese Einigkeit dabei. Denn oft wird einem suggeriert, dass eine*r Kinder will, die oder der andere nicht, die Beziehung zerbricht oder hält eben doch, aber eine*r wird halt nie ganz glücklich sein (oder zumindest habe ich das immer so abgespeichert).
Meine Kollegin sagte, ihr Mann und sie wollten und wollen keine Kinder. Und diese Entscheidung wird von beiden gleichermaßen und in voller Konsequenz getragen. Mein Kind würde sie aber niedlich und unterhaltsam finden und sie würde auch gerne mal einen Nachmittag mit uns verbringen. Also liegt’s nicht daran, dass sie Kinder an sich nicht mag, dachte ich. Vielleicht eine zerrüttete Kindheit? Dass jemand diese Entscheidung so eindeutig und klar treffen kann, war mir nicht geheuer. Bisher kannte ich nur Paare, die bis dato ungewollt kinderlos sind oder eine*r nicht wollte und man sich deshalb auch trennte.
Nach ein paar weiteren Kaffee-Dates und einigen Weinabenden habe ich mich getraut, mehr dazu zu fragen. Weil es mich interessierte und weil ihr Alltag in vielem so anders ist als meiner. Habt ihr’s wirklich noch nie bereut? Denkst du nicht manchmal daran, wie euer potentielles Kind wäre, wie es aussehen würde? Ob es gerne Bücher lesen würde? Noch während diese Fragen aus mir heraus sprudelten, dachte ich: ganz klar. Ja. Klar. Aber andersrum doch genau so, oder?
Kurze Tagträume
Ich stelle mir zwar nicht tagtäglich die Frage, wie es ohne Kinder wäre. Ob ich dann im Winter mit meinem Mann zwei Monate durch Uganda gereist wäre, anstatt in den Kita-Schließzeiten im Sommer zwei Wochen nach Italien zu fahren. Ich stelle mir auch nicht jeden Samstagmorgen vor, wie es wäre auszuschlafen. Im Bett Kaffee zu trinken und ein Buch zu lesen, anstatt um sechs Uhr morgens aus Bauklötzen eine Tankstelle zu bauen, unter die zwei Elefanten, vier Bagger und eine Katze passen sollen. Ich stelle mir ein Leben ohne Kinder nicht tagtäglich vor. Aber immer mal wieder lasse ich mich zu kurzen Tagträumen hinreißen und träume von Uganda und von ruhigen Morgen im Bett.
Meine Kollegin lässt sich umgekehrt ebenso selten dazu hinreißen. Und gibt es dann Streit mit ihrem Partner? Sie sagt nein, aber sie kenne jemanden, der sich aufgrund des Kinderwunsches von seiner Partnerin getrennt habe. Das Thema Kinder sei nun mal nicht verhandelbar, es ist so tiefgreifend und lenkt das Leben in völlig neue Bahnen. Sie sagt, die Schwierigkeit bezüglich der Kinderfrage sehe sie nicht innerhalb ihrer Beziehung mit ihrem Partner, sondern eher in den Gewohnheiten, Ansprüchen und Konstrukten ihres sozialen Umfelds. Es nervt, dass sie sich immer wieder erklären muss. Dass es biologisch möglich wäre – ja, wirklich. Aber sie keine Kinder wollen – nein, wirklich nicht.
Was macht diese Entscheidung mit der Beziehung?
Ich habe so lange über diese Frage nachgedacht und komme – natürlich – zu keinem Ergebnis. Wie soll auch ich, die sich für einen Partner und ein Lebensmodell mit Kind entschieden hat, nachvollziehen oder nachfühlen können, wie sich das Leben in einer Beziehung ohne Kinder anfühlt? Ich habe meine Kollegin befragt, sie mit ihrem Partner beobachtet und erlebt und ich sage mal so: Vieles kommt mir bekannt vor. Weil es eben eine Partnerschaft ist. Eine mit Ecken und Kanten. Eine, bei der man vieles zusammen durchsteht und sich gegenseitig mit den allerkleinsten Dingen auf die Palme bringen kann.
Eine Liebesbeziehung, in der man aneinandergerät und gleichzeitig immer einen sicheren Hafen hat. Mein Mann und ich müssen bewusster Zeit füreinander einbauen, weil wir durch unser Kind in dieser Hinsicht zeitlich limitiert sind. Meine Kollegin und ihr Partner arbeiten beide sehr viel und müssen teilweise ebenso strategisch gemeinsame Auszeiten planen. Für meinen Mann und mich war es die sich am besten anfühlende Entscheidung, ein Kind zu bekommen. Für meine Kollegin und ihren Partner, war es die sich am besten anfühlende Entscheidung, kein Kind zu bekommen.
Es gibt hier keinen Wettkampf um die beste Beziehung inklusive Medaille für das Gewinnerpaar. Gleichzeitig ist das, was man nicht kennt oder so nicht lebt, unfassbar spannendes Neuland für einen. Eine wichtige Sache, die ich im Austausch mit meiner Kollegin gelernt habe, ist übrigens diese: Ihre Beziehung ist kinderfrei, nicht kinderlos.