haus am deich

Wir hatten diesen Traum. Er schwebte schon lange in unseren Köpfen. Der Traum vom Eigenheim. Doch nicht irgendeins. Kein 08/15 Häuschen. Kein Neubau. Nein. Es sollte ein Haus mit Charme, Geschichte und Bewegung sein. Ein Haus, das uns Natur bietet, in einer Umgebung steht, in der wir uns als Familie ausleben können. Wir träumten von diesem einen Haus mitten in einer Apfelplantage. Und dann wurde dieser Traum Realität…

Wie habt ihr das gemacht? Wie findet man so ein tolles Haus? Und wieso habt genau ihr es bekommen? Diese Fragen kamen in den letzten Wochen oft auf. Von Freunden, Bekannten und der Familie. Denn es schien so, als ob wir unsere Portion Glück für die nächsten Jahre ausgespielt hätten.

Wir haben nicht wirklich gesucht. Auch wenn es unser Traum war, in einem Haus zu leben, das uns selber gehört und in dem wir uns verwirklichen können, wussten wir, dass es gerade aus verschiedenen Gründen nicht der beste Zeitpunkt ist. Wir stehen noch am Anfang unserer Karriere. Wir haben ein kleines Kind. Noch nicht genug Eigenkapital ansparen können. Wir könnten uns vorstellen noch ein wenig zu reisen. Doch über all diesen Vorstellungen lag schon immer diese Wolke von unserem Heim. Wir schauten ab und an mal in die gängigen Immobilienplattformen, besichtigen sogar ein Haus. Doch es war nicht das Richtige. Wir entschieden uns dazu, im Moment einfach nicht mehr zu schauen, denn wie gesagt: Es ist nicht der richtige Zeitpunkt. Doch stellte ich spaßeshalber einen Suchauftrag ein, der mich informieren sollte, wenn ein Haus in der Umgebung für unter 100.000€ reingestellt werden würde. Was ein Scherz! Mir war klar, dass dieser Suchauftrag wirklich niemals anklopfen würde. Doch dann – ein paar Wochen später – ploppte mein Mailfach auf. Zufällig saß ich gerade dran und habe die Mail sofort geöffnet…

Ein Haus, ziemlich abgerockt, mitten in der Apfelplantage in Jork – unserer Wunschheimat. Es war zu verkaufen – für 65.000€. Ein Witz. Hier möchte mich jemand veräppeln. Ich konnte es nicht glauben. Egal wie renovierungsbedürftig dieses Haus ist, dieser Preis kann nicht stimmen. Ich rief sofort den Makler an und war die Erste, die ihn erreicht hat. Die Anzeige war gerade eine Minute online.

Der Makler versicherte mir, dass es kein Scherz wäre. Das Haus gehört seit kurzem der Stadt und ist ein kompletter Sanierungsfall. Die Stadt darf kein Profit mit dem Haus machen, daher wird es nach Verkehrsgutachten verkauft. Ich machte sofort einen Besichtigungstermin mit ihm aus.

Ein Tag später standen wir in Jork. Direkt am Deich. Vor einem Haus, dass wir uns nicht schöner hätten vorstellen können. Der Garten so groß und schön, dass man ihn nicht beschreiben kann. Apfelbäume überall. Die Zimmer klein, aber dafür viele. Das Haus in einem katastrophalen Zustand, dafür aber ehrlich. Denn es war nackt. Ohne Schnickschnack. Leergeräumt. Es fehlte an allem, sogar an einer Heizung und heilen Fensterscheiben. Denn bis dato wurde mit Kaminen beheizt. An dem Haus muss alles neu gemacht werden. Dach, Elektro, Sanitär, Fenster, Böden, Heizung. Wände müssten rausgerissen und die Decke stabilisiert werden. Alles Dinge, die uns keine Angst machen, denn Hörby ist vom Fach. Als Architekt übernahm er sofort die Planung, Kostenaufstellung und Organisation. Davor unterschrieben wir natürlich sofort den Vorvertrag. Zwei Tage nachdem es online war, war es auf dem Papier quasi unser Haus. Wir bekamen den Schlüssel und fingen an zu träumen, zu planen und einen Kredit zu beantragen.

Einen Kredit zu bekommen, ist bei einem solchen Projekt gar nicht so einfach. Wir hatten zwar ein 50 Seiten langes Gutachten, somit alle Wehwechen des 60 Jahre alten Hauses schwarz auf weiß und doch muss man eine Bank erstmal davon überzeugen einem einen Haufen Geld zu leihen, obwohl das Haus keine große Sicherheit verspricht.

Wir hatten Eigenkapital, genug Einkommen und feste Zusagen und Angebote von Handwerkern. Und doch war es ein langes Hin und Her, bis wir endlich den Zuschlag bekommen haben und uns der Kredit sicher war. Ihr könnt euch vorstellen, dass die Summe, die wir reinstecken müssten, deutlich höher als der Kaufpreis war.

Nachdem Zuschlag waren wir einfach nur glücklich und guter Dinge. Was soll jetzt noch schiefgehen? Wir haben den Vertrag fürs Haus unterschrieben. Haben Geld von der Bank bekommen. Haben mit einem Berater mögliche Versicherungen durchgesprochen. Haben Experten im Haus gehabt, die uns bestärkten, dass wir bei diesem Haus ein paar Kompromisse eingehen müssen und uns mit diesen schlussendlich wirklich abgefunden.

Denn auch bei einem Traumhaus gibt es den ein oder anderen Haken. Zum Beispiel eine Schieflage. Die auf die Grundfläche des Hauses weniger als 10 cm ausmacht. Eine Schieflage, die nicht bedenklich ist, weil sie am Mauerwerk keine Auswirkungen hat und quasi schon immer da war, aber natürlich bemerkbar ist. Das Wasser steht nicht schief im Glas, man muss sich nicht festhalten, aber man muss sich einen kurzen Moment dran gewöhnen. Dieses Haus ist aber kein Einzelfall. Fast jedes alte Haus am Deich steht schief. Denn um dort zu bauen, müssen einige Dinge beachten werden, die nicht immer umgesetzt wurden. Shit happens. Wie gesagt, ein Abstrich, mit dem wir leben können.

Vielleicht könnt ihr es euch denken. Denn wenn diese Geschichte ein Happy End hätte, würde ich wohl ein wenige euphorischer sein. Leider haben wir eine Woche vor finalem Notartermin, Beginn der Baustelle, Bodenbelagaussuche und dutzend Pinterest-Pinnwänden eine ziemlich schlechte Nachricht bekommen. Eine Nachricht, mit der wohl wirklich keiner gerechnet hat und unserem Traum vom Haus in der Apfelplantage einen Strich durch die Rechnung machte.

Zu erklären, was genau das Problem ist, ist hier schwierig, doch ich probiere es anzudeuten. Neben dem Grundstück ist ein kleiner Weg, den man benutzen muss, um zum Haus zu gelangen. Dieser Weg gehört zum Grundstück, jedoch ist zwischen Haus und Weg ein kleiner Parkplatz, der nicht – wie gedacht und im Gutachten verfasst – öffentlich ist, sondern in privater Hand ist. So haben wir kein Recht unser Grundstück zu begehen, geschweige denn zu erschließen. Eine Katastrophe. Nicht nur für uns, sondern auch für die Stadt, denn jetzt ist das Haus unverkäuflich. Dazu kommt, dass wir mit dem Bauern von nebenan über die Bespritzung der Apfelbäume gesprochen haben. Auch hier kam raus, dass zwar – wie angenommen – nur 2x im Jahr gespritzt wird, aber dafür ca. 25x im Jahr die Bäume gegen einen Pilz besprüht werden. Für uns nicht schädlich, aber nervig. Wer will schon einmal die Woche Bauern im Garten haben, die alle Bäume einnebeln.  Die Hochwassergefahr, die durch die Klimaerwärmung und den (schon wieder in die Jahre gekommenen) Deich besteht, ist uns in dem Gespräch mit dem Bauern (der dort schon sein ganzes Leben lebt) erst richtig bewusst geworden.

Für mich ist gestern – als wir die schlechten Nachrichten bekommen haben – eine Welt zusammengebrochen. Ich habe mich im Kopf und im Herzen von unserer Wohnung verabschiedet und war quasi schon eingezogen – in unseren wahr gewordenen Traum. Doch musste ich mir eingestehen, dass dieser Traum zu viele Haken hat und somit vielleicht sogar irgendwann mal zum Albtraum werden könnte…

Das Ende kam dann heute morgen: beim Frühstück hörten wir dann die Sturmwarnung im Radio. Rund um die Elbe ist mit Hochwasser zu rechnen. Vier Meter sollen es werden. In meinem Kopf schallten nur die Worte vom Bauern nach, der uns erst gestern sagte: „Ach ja so ein Deichbruch, der wird noch kommen. Der Letzte ist schon über 50 Jahre her, das Wasser wird immer mehr, der neue Deich wurde schon zu lange nicht aufgestockt. Denken Sie daran, wenn Sie ihre Kinder im Erdgeschoss schlafen lassen.“ Ich musste tief durchatmen und habe Hörby angeguckt. Ein Tränchen lief über meine Wange. Hörby sagte, dass wir ein neues, viel besseres Haus finden. Ich weiß, dass wir bestimmt irgendwann eine Alternative finden werden, es aber nicht unser Haus in der Apfelplantage am Deich sein wird. Vielleicht wird es sicherer, neuer, ohne gebrochenem Herz, das man erstmal flicken muss. Aber es ist nicht unser Traum, unser Projekt. War es nicht ein Zeichen, dass wir unseren Wunsch auf dem Silbertablett serviert bekommen haben?