Veraltete Rollenbilder

Viele Frauen besitzen Hemmungen, sich mit Finanzen zu beschäftigen. So viel sich bereits auf dem Weg zur Gleichberechtigung getan hat, traditionelle Geschlechterrollen und Denkweisen beeinflussen uns insbesondere bei diesem Thema noch immer. Diese Rollenverteilung sieht Männer als hauptsächliche Geldverdiener und finanzielle Oberhäupter. Frauen sind zwar für den Einkauf zuständig, aber nicht für das finanzielle Big Picture. Außerdem können Männer doch so gut mit Mathe und Zahlen umgehen, oder? Lass die das mal machen. Klingt klischeehaft, aber so wachsen viele Menschen immer noch auf, auch unterbewusst. Welches Elternteil arbeitet mehr, wer bezahlt den Einkauf und wer den Urlaub? 

Frauen wird häufig eingetrichtert, dass sie sich nicht um sich selbst kümmern können, dass sie alleine nicht genug und nicht gut genug sind. Ohne Ermutigung ist es daher schwierig, sich zu überwinden, sich mit diesem komplexen Thema auseinanderzusetzen und die eigenen Finanzen zu kontrollieren. Aber finanzielle Unabhängigkeit ist so wichtig! Natürlich leiden nicht nur Frauen unter diesen Rollenbildern: Der Druck auf Männer ist hoch, viel Geld zu verdienen, da ihre Geschlechterrolle als Versorger fest an ihre Erwerbsfähigkeit geknüpft ist.

Einmal Selbstbestimmung bitte!

Wenn wir uns von diesen veralteten Bildern entfernen, können alle selbstbestimmter agieren. Das ist aber durch das bestehende System gar nicht so einfach, denn beispielsweise lohnt es sich durch das Steuersystem des Ehegattensplittings für manche Familien gar nicht, dass Frauen arbeiten gehen, und daher bleiben sie Hausfrauen. Es geht auch nicht immer darum, dass (bei heterosexuellen Paaren) jede Frau arbeiten geht und die Männer zu Hause bleiben: Vielmehr geht es um die Selbstbestimmung jedes Menschen, das zu tun, was er oder sie möchte – auch Hausfrau oder Hausmann zu sein.

Fehlende wirtschaftliche Gleichberechtigung bedeutet fehlende Macht, denn leider regiert Geld nunmal die Welt. Deshalb müssen Finanzen im Feminismus mitgedacht werden. Laut aktuellen Entwicklungen wird es noch ca. 100 Jahre dauern, bis die Lohnlücke zwischen den Geschlechtern geschlossen ist. Durch die sozialisierte Verpflichtung von Frauen zur unbezahlten, häuslichen Arbeit oder auch Care-Arbeit werden sie weiterhin finanziell zurückgehalten, doch…

…wo kommt das alles her?

Vor dem 17. Jahrhundert lebte die Gesellschaft in großen Familienbünden, denen das Eigentum, auf dem sie lebten und arbeiteten, gemeinsam gehörte. Frauen besaßen einen angesehenen Status und Autorität, da die Abstammung von Kindern nur Anhand der mütterlichen Linie sicher zurückverfolgt werden konnte. Die Institutionalisierung des Privatbesitzes und gesellschaftliche Arbeitsteilung in die öffentliche (männliche) und private (weibliche) Sphäre und die Verlagerung der finanziellen Kontrolle auf den Mann brachten die Monogamisierung und Abhängigkeit der Frau mit sich: So konnte der Fokus auf das Vaterrecht gelegt werden, über das der Familienbesitz weitervererbt wurde, während die Frauen zum Eigentum der Familie wurden. 

Über Jahrhunderte besaßen Frauen kaum Rechte, gehörten entweder ihrem Vater oder ihrem Ehemann. Wenn sie beides nicht hatten, landeten sie perspektivlos auf der Straße. Außer in Krisenzeiten und niedrigen Arbeiterklassen arbeiteten Frauen nicht vergütet – ihre Aufgaben waren der Haushalt, die Kindeserziehung und Altenpflege. Frauen erkämpften sich 1919 das Wahlrecht, aber erst ab 1958 durften sie ein eigenes Konto führen und ihr Vermögen selbst verwalten und erst ab 1977 einen Arbeitsvertrag ohne Erlaubnis eines Mannes unterschreiben. Das ist wirklich nicht lange her. Und die Annahme, dass Frauen selbstverständlich die häusliche Arbeit übernehmen, blieb leider.

Frauen fehlte also lange Zeit ein Selbstbestimmungsrecht. Inzwischen gehört ein Großteil von ihnen zur Erwerbsgesellschaft und es ist wichtig, sie zu ermutigen auch traditionell männliche Aufgaben, wie beispielsweise Finanzhaltung, zu übernehmen. Mangelnder Zugriff und Know-How über Finanzen führen auch dazu, dass Frauen in Situationen und Beziehungen landen, aus denen sie entkommen wollen, aber aus finanziellen Gründen dazu nicht in der Lage sind. Damit Mädchen und Frauen gleiche Chancen und Möglichkeiten im Leben haben wie Jungs und Männer, ist es also wichtig, dass ihnen schon früh beigebracht wird, sich selbstbewusst um sich selbst und um die eigenen Finanzen zu kümmern. 

It’s capitalism, baby!

Selbst wenn Frauen mehr finanzielle Bildung und Selbstständigkeit erlangen, gibt es noch das Problem mit der fairen Bezahlung und dem Gender Pay Gap. Woher kommt das? Mit der Etablierung von Privateigentum war der Kapitalismus als Gesellschafts- und Wirtschaftssystem geboren. Die Arbeitsteilung in zwei Klassen – Ausbeutende und Ausgebeutete – führte zu wirtschaftlicher Ungerechtigkeit. Und zwar nicht nur in der Erwerbsgesellschaft, sondern auch in der Trennung der öffentlichen und privaten Sphäre, der Trennung bezahlter und unbezahlter Arbeit, der Trennung von Mann und Frau. Kulturwissenschaftlerin Lois Tyson bezeichnet es so: “For the real battles are drawn […] between the ‘haves’ and the ‘have-nots’.” Und die Frauen gingen leer aus.

Ökonomische Macht führt zu sozialer und politischer Macht, weswegen das Beschaffen und Bewahren von Geld eine grundlegende Motivation in kapitalistischen Systemen ist. Und da haben Männer einen gewaltigen Vorsprung. Soziale Umstände prägen unser Leben und viele besitzen nicht die Mittel, sich aus ihren Umständen zu befreien. Wichtig ist hier, auf intersektionale Differenzen zu achten. Ist es feministische Emanzipation, wenn eine deutsche, weiße Frau Chefin einer umsatzstarken Firma ist, wenn diese dafür verantwortlich ist, dass zahllose Frauen im globalen Süden für einen Hungerlohn ihre Ware produzieren? 

So hilfreich die Frauenquote in Unternehmen und an der Börse – Arbeitsplätze, die erfahrungsgemäß männerdominiert sind – sein kann, so wichtig ist es, weiblichen Aufstieg nicht nur dort zu fördern, sondern auch die Arbeit von weniger privilegierten Menschen in niedrig entlohnten Berufen lebenswerter zu machen und sich um Inklusion zu bemühen: ob Solidarität für Putzkräfte mit Migrationshintergrund, Mitarbeiter*innen in Behindertenwerkstätten oder schwarze Medizinstudent*innen. Wir wollen den Gender Pay Gap schließen, aber dies bedeutet grundsätzlich, dass alle Arbeitenden faire Löhne erhalten. Der Gender Pay Gap ist auf eine Art ein Symptom der Krankheit der unfair bezahlten Arbeit – und marginalisierte Personen leiden darunter am meisten.

Solidarität für alle

Intersektionalität ist unglaublich wichtig: Unterschiedliche Diskriminierungsformen betreffen manche mehr als andere und wenn diese nicht beachtet werden, handelt es sich nicht um Feminismus. Im Feminismus geht es um Solidarität und Gleichberechtigung und um ein gutes Leben für alle. Im Kapitalismus geht es um Profit. Die meisten Menschen, besonders soziale Minderheiten, werden in kapitalistischen Systemen ausgebeutet, da sie weniger Vergütung für den Wert ihrer Produktion erhalten, als sie eigentlich verdienen. Insbesondere spricht man in hier sogar von der „Feminization of Poverty“, da der Wert von Frauen, besonders Women of Color, als gering angesehen wird und sie zu Ware reduziert werden. 

Wir leben in systematischer Ungleichheit, da eine kleine Minderheit den Großteil der Ressource Geld besitzt, auf die alle Menschen angewiesen sind und für die sie unter den Bedingungen der Mächtigen arbeiten müssen. Die Grundinteressen von Feminismus und Kapitalismus sind daher grundsätzlich verschieden. Trotzdem normalisieren auch Feminist*innen dieses Gesellschafts- und Wirtschaftssystem, indem sie versuchen, innerhalb dessen aufzusteigen. Und das ist verständlich, schließlich können wir nicht einfach aufhören, am gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben teilzunehmen. Nur sollten wir diese Systeme nicht als selbstverständlich betrachten, sondern verstehen, dass sie von Menschen mit Agendas etabliert wurden, und diese kritisch hinterfragen. Wenn wir den geschichtlichen und politischen Kontext verstehen, verstehen wir die Welt ein wenig besser – und unseren Platz in ihr. 

Quellen:

Tyson, Lois (2006): Critical Theory Today: A User – Friendly Guide. New York: Routledge.

Diana Pearce nach Christensen (2019): “Feminization of Poverty: Causes and Implications.” In: Gender Equality. Encyclopedia of the UN Sustainable Development Goals. Springer, Cham.