Hi. Ich bin Laura und führe eine Bilderbuchbeziehung ohne Sex. Ich könnte auf Sex für den Rest meines Lebens verzichten. Aber weil mein Partner das nicht kann, werde ich mir jeden Tag aufs Neue Mühe geben, ihm einen Teil des Weges entgegenzukommen. Denn eine Partnerschaft wie unsere, die ist es allemal Wert – auch wenn der Weg schwierig ist und keiner zu 100 % bekommt, was er sich insgeheim wünscht.
Ich sitze auf dem Sofa, der Liebste kommt herein, stellt mir einen Tee hin und streicht mir zärtlich über mein Haar. Ich schaue vom Laptop auf und suche einen Moment seinen Blick. „Oh, danke schön.“ Mein Herz hüpft und ich kann mein Glück mal wieder gar nicht fassen. Dieser Mann ist die große Liebe meines Lebens, dessen bin ich mir zu 100 % sicher. Und das Beste: Er fühlt genauso für mich. Seit mittlerweile acht Jahren sind wir ein Paar, zwei Jahre davon sind wir verheiratet, auch wenn die große Feier dank Corona noch immer aussteht.
Immer wieder würden wir uns füreinander entscheiden. Dessen bin ich mir sicher. In ihm habe ich meinen Seelenverwandten gefunden, er ist mein bester Freund und mit keinem anderen Menschen hatte ich je mehr Spaß. Zwei Mal ist er für mich schon in eine völlig neue Ecke Deutschlands gezogen und hat alles hinter sich gelassen. Gemeinsam haben wir unseren Weg gefunden, uns gegenseitig motiviert dranzubleiben oder alles über den Haufen zu werfen – Hauptsache WIR.
Jedes Wir besteht nun einmal aber aus verschiedenen Ichs mit individuellen Bedürfnissen und Wünschen. Es wäre ja auch furchtbar langweilig, wenn man wirklich immer einer Meinung wäre und sich gegenseitig gar nicht inspirieren könnte. Jedem von euch sind sicherlich sofort mehrere Beispiele eingefallen, die die Beziehung mehr oder weniger auf die Probe stellen können. Über die meisten dieser Dinge verdreht man die Augen (ich denke hier z.B. an den Klodeckel-Kampf oder die Sockenknüddel auf dem Sofa), aber manche Konflikte gehen tiefer und können an der Substanz der eigenen Beziehung kratzen.
„Laura, in letzter Zeit läuft es bei meinem Freund und mir richtig schlecht im Schlafzimmer. Kannst du mir einen Rat geben? Du und dein Mann seid immer so süß miteinander, bei euch läuft locker jeden Abend was.“ Ich schaue meine Freundin an und muss erst einmal schlucken. Seit mittlerweile vier Jahren identifiziere ich mich selbst als asexuell. Erzählt hab ich es kaum jemandem. Eigentlich gibt es darüber ja auch nicht viel zu sagen. Aber vielleicht liegt genau da der Fehler.
Unsere Welt ist ganz schön sexualisiert. Nackte Haut und sinnliche Anreize findet man nicht nur in Filmen und Romanen, sondern auch in vielen Liedtexten (und Musikvideos) oder in der Werbung. Für viele hat sich die Welt damit zum Besseren gewandelt. Die Zeiten, in denen nur Männer Spaß an Sex haben durften, sind längst Geschichte – und auch in Sachen Aufklärung ist viel geschehen. Und das ist gut so!
Aber als junge Erwachsene, die ihre Sexualität gerade erst finden musste, fühlte ich mich oft sehr erschlagen von der Informationsflut und all den Ratschlägen. Dazu kamen alle Geschichten von Freundinnen und es entwickelte sich eine gewisse Erwartungshaltung an mich selbst. Herauszufiltern, was ich dann wirklich wollte und nicht wollte, hat seine Zeit gedauert. Daher fand ich mein Label und mein sexuelles Ich auch erst, als mein Mann (damals noch Freund) und ich schon ein paar Jahre zusammen waren. Denn über Sex schreiben die Menschen sehr gerne. Der Mangel daran ist eher ein Grund zu lachen, lästern oder sich Sorgen zu machen.
Ich hatte große Angst
Und so suchte ich die Problemursache zuerst bei mir. Denn es war ja wohl ein Problem, dass ich meinen attraktiven Freund, den ich über alles liebte, sexuell nicht wirklich begehrte. Irgendwann erzählte ich meinem Freund zögerlich alles, was ich recherchiert hatte. Ich hatte große Angst, was jetzt werden würde. Das Label asexuell sprach ich mir damals noch nicht zu, es klang so endgültig und kam mir vor wie der letzte Nagel im Sarg meiner Beziehung.
Was genau bedeutet denn eigentlich Asexualität? Dank den Weiten des Internets und der Aufklärung der letzten Jahre hat vermutlich zumindest jeder den Begriff schon mal gehört (ein gehöriger Fortschritt!). Asexualität beschreibt ein Fehlen oder eine Einschränkung des sexuellen Verlangens einer Person. Asexualität reicht also von: „Ich brauche keinen Sex zum Glücklichsein“ bis hin zu „Sex widert mich an“ und wird damit nicht von jeder Person gleich empfunden.
„Wie, asexuell? Aber wir hatten doch am Anfang unserer Beziehung oft Sex, haben doch immer noch Sex? Findest du mich nicht mehr attraktiv, soll ich abnehmen oder trainieren?“ Es ist für keine Seite leicht, so ein Thema anzusprechen. Und es wird leider auch nicht einfacher mit der Zeit.
Noch immer kommen mir manchmal die Tränen, wenn ich in Gesprächen bemerke, wie unterschiedlich unsere Wünsche im Hinblick auf Zärtlichkeit und körperliche Nähe sind. Bei meinem Mann und mir treffen zwei Extreme aufeinander. Einerseits ich, die zwar gerne kuschelt, sich zum Schlafen dann aber doch auf ihre eigene Bettseite rollt, und mein Mann, dessen Sprache der Liebe die Zärtlichkeit ist und wo Sex der ultimative Ausdruck von Liebe ist.
Aber wie findet man da einen Mittelweg? Falls ihr auf der Suche nach der einen rettenden Formel seid – die habe ich leider auch nicht. Jeder Mensch ist einzigartig, und daher sind auch die Bedürfnisse jedes Menschen anders. Ich kann euch nur meine eigene Geschichte erzählen und euch ermutigen, es zu versuchen. Denn Aufgeben ist nicht eure einzige Option, wenn ihr aneinander festhalten möchtet. Die Schlüsselworte sind hier auf jeden Fall die Kommunikation mit dem Partner und die Kompromissbereitschaft.
Bei den „Grey“-Asexuellen ist es etwas einfacher
Dieser Kompromiss kann sehr unterschiedlich aussehen. So gibt es asexuelle Menschen, die Sex als absolut keine Option ansehen. Wenn der Partner wirklich an der Beziehung festhalten möchte, gibt es sicher Möglichkeiten, körperliche Zweisamkeit außerhalb von Sex zu finden – seien es Massagen oder beispielsweise gemeinsam in die Sauna zu gehen. Auch ein Tanzkurs ist eine tolle Möglichkeit, die Intimität mit Spaß verbinden kann, ohne Sex in die Gleichung zu bringen. Andere Partner werfen sich in Reizunterwäsche und geben eine kleine private Tanzeinlage und behalten so die Kontrolle über alle zugelassenen Berührungen. Auch einige SM-Techniken können angewandt werden, um den Fokus vom eigenen Körper wegzulenken, ohne die Lust des Partners zu mindern. Gespräche über offene Beziehungsmodelle sind sicherlich auch keine schlechte Idee, auch wenn man sich dafür erstmal darüber klarwerden muss, ob das für einen emotional überhaupt in Frage kommt.
Bei den „Grey“-Asexuellen ist es etwas einfacher. Grey bedeutet, dass man sich auf der Skala „sexuell“ (weiß) bis „asexuell“ (schwarz) eben irgendwo in der Mitte einordnen würde (grau). Einfacher ausgedrückt: Sex hat einen Platz im Leben, aber oft keinen allzu hohen Stellenwert. Jetzt heißt es nur noch, den richtigen Platz im eigenen Leben und der Beziehung dafür zu finden. Einen, der sich niemals schlecht anfühlt, sondern in dessen Rahmen man mit dem Partner gemeinsam schöne Stunden erleben kann. Ich ermutige euch, vieles auszuprobieren. Seid nicht zu streng mit euch, wenn ihr nicht gleich das Richtige für euch findet und habt Geduld.
Eine Sache, die mir persönlich ungemein hilft, ist Sex im Terminkalender einzutragen oder auf der To-Do-Liste zu vermerken. Wenn ich mir selbst die Möglichkeit gebe, mich mental ein paar Stunden mit der Vorstellung anzufreunden, fällt es mir viel leichter, dann nicht zu verkrampfen und abzublocken. Das mag für viele jetzt sehr steif und unsexy wirken. Aber es muss auch nicht mit dem Partner abgemacht sein. Wenn mein Mann nach Hause kommt und ich warte schon auf ihn im Schlafzimmer, erscheint es für ihn ja immer noch spontan und überraschend.
Wichtig ist, dass ein Nein zu jeder Zeit auch als solches wahrgenommen und akzeptiert wird. Manchmal bereitet es mir große Freude, die Lust meines Partners zu sehen, zu hören und zu fühlen, an anderen Tagen verkopfe ich mich so in meinen Gedanken, dass mein Körper dichtmacht, mir alles wehtut und ich aus der Situation nur noch fliehen möchte.
Eine weitere essentiell wichtige Sache ist, auch den Gefühlen deines Partners Raum zu geben. Sex ist für die allermeisten Menschen pure Freude und es fällt schwer, sich vorzustellen, dass es jemandem anders gehen kann. Es darf frustrierend sein, immer wieder abgewiesen zu werden. Das ist nicht leicht und kann schnell am Selbstwertgefühl kratzen. Finde daher andere Wege, deine Zuneigung und Liebe auszudrücken, am besten in der Liebessprache deines Partners. Ich bin mir sicher, dir fallen da tolle Sachen ein, immerhin kennt keiner deinen Partner so gut wie du und niemandem liegt er so am Herzen wie dir.