Geschrieben von Franziska Marx // @franzimarx

Nicht jedes Ende ist ein neuer Anfang

Gleich zu Beginn möchte ich festhalten, dass nicht in jedem Auf Wiedersehen ein Willkommen steckt, nicht jedem Ende ein neuer Anfang innewohnt. Ein Abschied kann schmerzhaft sein, absolut und endgültig. Daher halte ich es für sehr schwierig, Betroffenen in den ungünstigsten Momenten eine Situation schönreden zu wollen, welche für diese lediglich traurig ist. Es gibt Türen, die schließen sich für immer, und was bleibt, ist die Erinnerung. 

Veränderungen, Neuanfänge können also wehtun, können unvorhersehbar passieren, ohne dass wir einen direkten Einfluss darauf haben. Ich bin sicher, dass auch daher die Angst vor eben diesen rührt – vor dem fremdbestimmten Neuanfang, den wir womöglich gar nicht möchten, für den wir nicht bereit oder gar vorbereitet sind, und vor der Veränderung, die wir lange fürchteten.

Leben im Wandel

“Ich mag keine Veränderungen” – dieser Satz hätte noch vor wenigen Jahren aus meinem Mund stammen können. Eben, weil ich um den potenziellen Schmerz derselben weiß. Ich brauche Sicherheit, Beständigkeit, ich mag Routinen und gute Gewohnheiten. Am Esstisch sitze ich gern immer auf dem gleichen Stuhl, im Auto auf dem gleichen Sitz. Ich bin eine große Freundin von Traditionen, Vorfreude ist für mich die schönste Freude. Nichts daran ist falsch. Und dennoch schließt nichts davon eine sanfte und positive Einstellung gegenüber Veränderung im Allgemeinen aus – das habe ich in den letzten Jahren gelernt, die geprägt waren von so viel Neuem.

Im Laufe des Lebens treffen wir Entscheidungen, wir sammeln Erfahrungen – positive wie negative – wir festigen unser Selbstbild, begegnen den verschiedensten Menschen, denken in unterschiedliche Richtungen, beginnen ein Studium oder brechen eine Ausbildung ab, wir finden unseren Kleidungsstil und verlieren Freundinnen aus den Augen. Wir werden geprägt durch Stationen und Situationen, durch Erlebtes und unser soziales Umfeld. Bei all den äußeren Einflüssen entwickeln wir selbst uns weiter, wir ändern unsere Haarfarbe, unseren Wohnsitz, überdenken unsere Ansichten, Wünsche und Ziele. Wir bewegen uns fort, mal im Affenzahn und mal im Schneckentempo. Wir gehen zurück, bleiben stehen, um dann doch weiterzuziehen. Wir leben im stetigen Wandel und manchmal bemerken wir das nicht mal.

Veränderung und Selbstwirksamkeit

“Es ist nicht gesagt, dass es besser wird, wenn es anders wird. Wenn es aber besser werden soll, muss es anders werden.” – Georg Christoph Lichtenberg

Immer wieder werden wir an den Punkt kommen, an dem wir unzufrieden sind. Unzufrieden mit einer Situation, unzufrieden mit einem Job, einer Beziehung, unzufrieden mit uns selbst oder vergangenen Entscheidungen. Sich in dieser Unzufriedenheit bewusst zu machen, dass wir selbst etwas ändern, vorantreiben und verbessern können – das ist mein Liebesbrief an Neuanfänge. 

Wir können heute die Person sein, die das Gespräch mit der Vorgesetzten sucht. Wir können an unserer Beziehung arbeiten, können jetzt die Entscheidung treffen, die uns weiterbringt. Die Einstellung, eben nicht in einem Hamsterrad gefangen zu sein, gibt mir das Gefühl von Selbstwirksamkeit. 

Ich KANN etwas ändern, kann mich verändern und aus alten Mustern ausbrechen. Ich kann selbst die Veränderung sein, die ich gerade brauche, denn ich bin der Motor. Und, wenn wir auf das Zitat von Georg Christoph Lichtenberg zurückkommen: Wenn wir etwas ändern, einen Neuanfang wagen und damit etwas Altes hinter uns lassen, heißt das nicht, dass es automatisch besser wird oder gar leichter. Vielleicht gehen wir erst ein paar Schritte rückwärts, scheitern an der einen Stelle, stolpern und geraten ins Straucheln. 

Aber, wenn es besser werden soll, müssen wir etwas verändern. Wachstum ist schmerzhaft, doch ich finde, dass nichts schmerzhafter ist, als in einer Struktur oder einem Konstrukt festzustecken, in welchem wir uns nicht wohl fühlen. Sich selbst das Vertrauen zu schenken, fähig für Veränderung zu sein, ist absolut angebracht.

Das Willkommen im Auf Wiedersehen

Auf Wiedersehen – das klingt nach Abschied und erstmal traurig. Aber in diesem Auf Wiedersehen kann so viel Willkommen stecken, wenn wir es möchten, wenn wir offen dafür sind und nicht die Augen davor verschließen. Ich habe mich schon oft verabschiedet, mich neu sortiert, neu angefangen, Altes beendet – und oft verbirgt sich hinter einem Abschied die Möglichkeit, neue Perspektiven zu schaffen.

Es gibt große Abschiede und kleine. Solche auf Zeit und solche, die dauerhaft sind.

Im Alltagstrott werde ich schnell antriebs- und lustlos, unkreativ und gelangweilt – von mir selbst, den eigenen vier Wänden, den immer gleichen Abläufen, die ich an einigen Tagen doch so sehr brauche. Dann muss ich raus, muss mich von Altem verabschieden, Neues entdecken, um ebenfalls zu neuen Gedanken zu kommen, neuen Inspirationen. Ich brauche einen temporären Tapetenwechsel, einen Abschied auf Zeit – um frisch und voller Schaffensdrang weitermachen zu können.

Manches müssen wir loslassen, um Neues erst greifen zu können. Im letzten Jahr, die Pandemie hatte uns alle voll im Griff, war ich sehr traurig über die Weihnachtszeit, die wohl anders ablaufen würde. Lange habe ich an dem festgehalten, was ich kannte – doch als ich eben das geändert habe, kamen mir Ideen für eine anders schöne Zeit im Dezember, die ich umsetzen konnte. Ich hab den Weihnachtsmarkt nach Hause geholt, Früchtepunsch und Crêpes selbst gemacht, Plätzchen gebacken und sie als Weihnachtselfe meinen Lieblingsmenschen vor die Türe gelegt oder per Post versendet, den Weihnachtsbrunch über Facetime gestartet… 

Das Willkommen im Auf Wiedersehen also. 

Loslassen, wirken lassen

Sicher sehen wir das nicht immer und manchmal dauert es vielleicht eine Weile. Oft müssen wir Dinge erstmal wirken lassen, einen Schritt zurücktreten. An die Kündigung deines zermürbenden Jobs kann sich die Reflexion schließen, was dir bei einer Arbeitsstelle wichtig ist und somit neue Chancen eröffnen, dies künftig zu finden. An den Abschied von deinem alten Wohnort kann ein Neuanfang an einem anderen Ort anknüpfen. 

Das „Auf Wiedersehen“ gerichtet an eine toxische Freundschaft kann dir dabei helfen, achtsamer mit dir selbst umzugehen. Manchmal bedeutet ein Auf Wiedersehen einfach nur das. Aber viel zu oft kann es ein umso freudigeres Willkommen bedeuten – eines, das du nicht hast kommen sehen oder eines, das du längst herbeigesehnt hast.

So bin ich eben – oder doch nicht?

Wir limitieren uns selbst, indem wir von uns behaupten, wir wären schon immer so gewesen und könnten nichts daran ändern. Ich habe oft gesagt, ich sei nicht spontan – meine größte Stärke ist Spontaneität wohl noch immer nicht – und dadurch habe ich einige kurzfristige Treffen abgesagt, ohne groß darüber nachzudenken, ob ich nicht eigentlich doch gerade Zeit und Lust hätte. Ich bin nicht spontan, so bin ich eben. Irgendwann hat mich das gestört, ich wollte weg von diesem Verhalten und habe mich dazu ganz bewusst entschieden. 

Wenn ich dann spontan für eine Unternehmung gefragt wurde, habe ich erst einmal überlegt, statt gleich im Affekt abzusagen. Das an sich habe ich mir weiterhin offengelassen, aber ich wollte meine Entscheidungen im Hinblick auf Spontanität besser prüfen, aktiver wahrnehmen, statt passiv zu reagieren. 

Wir können das auf die verschiedensten Verhaltensweisen übertragen und mir hilft es, mich stets weiterzuentwickeln – wenn ich das denn möchte und bereit dafür bin. Hier steckt das Willkommen drin, in neu entdeckten Eigenschaften, im Ausprobieren anderer Verhaltensweisen, und das Auf Wiedersehen, Gewohnheiten beiseite zu legen, aus denen wir längst rausgewachsen sind.

Tschüss 2021 und hallo 2022

Ganz bald ist es Zeit, sich von 2021 zu verabschieden. Ich habe mir angewöhnt, in den letzten Tagen oder Wochen eines Jahres auf das vergangene zurückzublicken. Was war gut in diesem Jahr? Was möchte ich mitnehmen ins neue? Welche Menschen haben mich begleitet, welcher Mensch war ich, was soll bleiben, woran möchte ich arbeiten? Wovon will ich mich verabschieden und was begrüßen?

Es ist immer Zeit für einen Neuanfang, wenn du ihn brauchst – ganz klassisch mag ich dennoch die Vorstellung davon, im neuen Jahr einen Anlass dafür zu haben. Hallo 2022!