Sex nach der Geburt

In meinem letzten Artikel, in dem ich noch schwanger über mein Liebesleben philosophierte, verglich ich Sex mit Fahrradfahren. Bevor es sich ein Baby in meinem Körper gemütlich gemacht hatte, kannte ich meinen Körper: das Fahrverhalten, in welchem Winkel man bequem auf dem Sattel sitzt. Wie die Bremsen reagieren, wie man am schnellsten den Gipfel erklimmt. Wann welcher Gang eingelegt wird. 

Mit der Schwangerschaft wurde das geliebte Rad plötzlich unter dem Hintern weggezogen, und ein rostiger Drahtesel stand bereit! Und mit ihm war alles neu, alles fühlte sich fremd an: Plötzlich quietschte es, das Licht funktionierte nicht mehr so richtig. Irgendwie traten wir langsamer in die Pedale. Ein schwangerer Körper eben. Dann kam die Geburt. Und mit der Geburt die Hoffnung, dass aus dem ungewollten Dreier wieder ein liebevoller Zweier wird. Oh, das waren noch Träume. 

Ich habe vor drei Monaten entbunden, mein Sohn kam per Notkaiserschnitt zur Welt. Die Presswehen kamen schnell, sein Herz war langsam. Ich möchte also sagen: Da unten sieht eigentlich alles ganz fresh aus. Kaiserschnittnarbe, paar Dehnungsstreifen, unrasierte, stoppelige Muschi. Die Waxing-Studios haben lockdownbedingt noch immer geschlossen (dabei wollte ich nach den Wehen ganz prollig dasitzen und den Enthaarungsschmerz auf einer Backe weglächeln). 

Dem ersten Sex nach sechs Wochen habe ich mit freudiger Erwartung und Angst zugleich entgegengeblickt. Von außen gewappnet wie ein Ritter mit Schild, selbstbewusst, neugierig, bereit mich ins Ungewisse zu stürzen. Und doch, hinterm Schild, schlotternde Knie. Besorgte Augenbrauen unter dem Helm. Wie wird es sich anfühlen? Wie werde ich mich fühlen? In diesem Körper, der sich noch ganz wabbelig und verletzlich anfühlt. 

Er wischt sich die Muttermilch von der Brust, die wiederum aus meiner Brust tropft. 

Es ist ein Samstag, trübes Wetter. Der Kleine schläft. Ein Grinsen meines Freundes genügt, und wir beide wissen, was passieren wird. Und doch ahnen wir nicht, wie es enden wird: In schallendem Gelächter. Während wir wild rumknutschen, merke ich immer wieder, wie mein Partner mit der Hand rumfuchtelt. Nicht an meinem Körper, sondern an seinem. Er wischt sich die Muttermilch von der Brust, die wiederum aus meiner Brust tropft. Natürlich bekommt er dadurch Standprobleme. Verständlicherweise. 

Motiviert versuchen wir es weiter. Lieber mit BH inklusive Stilleinlagen, damit der Wasserfall trockengelegt wird. Scheiß auf Vorspiel – wer weiß, wie lange der Kleine schläft. Unbeholfen wird hektisch das Kondom übergestreift, ein Gadget, das wir seit Jahren nicht benutzt haben. Aber ich darf wegen der Narbe in der Gebärmutter erst in zwei Monaten wieder die Spirale einsetzen lassen. Und dann der Schock: Das Eindringen tut weh. Sehr weh. Als wäre etwas in mir drin, dass da absolut nicht hingehört. Ich lasse mir nichts anmerken, atme weiter schnell, die Augen bleiben geschlossen. Es wird nicht besser. Ich fühle mich wie bei meinem ersten Mal mit 16 Jahren: Ganz erwachsen vortäuschen, etwas zu genießen, und innerlich: Aua schreien. Das hätte ich wirklich nicht erwartet – nicht nach einem Kaiserschnitt. 

Mein Freund stoppt: „Sag mal … kann es sein, dass du nicht feucht bist?“. Ahja. Das würde den Schmerz erklären, ich Dummbatz. Ich werde sonst schon beim ersten Zungenkuss feucht genug, diese Trockenheit kenne ich nicht. Doch nun hemmt das Stillhormon Prolaktin meinen Östrogenspiegel, sodass meine Schleimhaut trockener, dünner und empfindlicher ist. Halleluja. Wie kacke ist bitte dieser Sex? 

„Hol mal das Gleitgel aus der Schublade“, sagt er hektisch, der Blick schon leicht panisch zum Nebenraum gerichtet, in dem das Baby noch friedlich schlummert. Doch der Countdown läuft. Das wissen wir beide – und tun so, als würde es uns nicht stören. Als ich mir das Gleitgel ganz unelegant zwischen die Beine schmiere, verzerre ich mein Gesicht und beginne zu hecheln. „Ah, ah , ah, das ist wie Zahnpasta in meiner Muschi!!“ Das Gleitgel – das ironische Geschenk einer Freundin zur Geburt – hat den sogenannten “Cooling Effekt“. Alter, was kommt denn noch, denke ich. Ich mag es schon nicht, wenn meine Füße frieren. Warum sollte es also meine Klitoris?

Wir wischen das Gleitgel ab (by the way: Wo schmiert man eigentlich das restliche Gel an den Händen hin? In die kuschelige Biber-Bettwäsche? An den Rücken des Partners? Kann mir das jemand erklären?). Erneut wildes Rumknutschen, um die dritte Erektion herzuzaubern. Es folgt das Finale: Beherzt dreht mich mein Freund mit einem Schwung auf den Bauch, um mich von hinten zu nehmen. Ein stechender Schmerz auf Höhe der Gebärmutter. Seit der Bauch-OP lag ich eben nicht mehr auf dem Bauch. Ich schreie auf – das Kind erwacht. 

Mit schmerzverzerrtem Gesicht lächle ich meinen Freund an, er zuckt mit den Schultern, bricht in Lachen aus und wirft dabei das kühlende Gleitgel wieder in die Schublade: „Gott, war das scheiße“. Wir nehmen uns in den Arm und können uns kaum beruhigen. Was für eine Pannen-Show. Wir holen das Baby ins Bett, hören begeistert seinem Glucksen zu und staunen über seine süßen Grübchen. Der Höhepunkt des Tages.

Seit diesem Debakel sind einige lauschige Nächte ins Land gegangen – naja, „Nächte“. Also Nachmittage. Also: Vormittage. Wir sind besser geworden, haben besseres Gleitgel gekauft, die Rückbildung hat meine Bauchschmerzen schon etwas gelindert. Das Vorspiel wird immer noch weggelassen, zu unkalkulierbar ist die verfügbare Zeit. Dafür gibt es bei Bedarf lieber ein Nachspiel. Früher hatten wir mehrmals die Woche Sex – nun gleicht es dem Gang zum Bäcker: nur am Wochenende. 

Vor meinem ersten Kind dachte ich immer, dass ich das schlimm finden würde. Aber es fehlt mir nicht. Ich brauche meine Energie gerade an anderen Fronten, und dafür schäme ich mich nicht. Frauen sollen im Berufsleben performen, als würden sie keine Kinder haben. Und ihre Kinder erziehen, als würden sie nicht arbeiten. Und am besten sollen sie ein wildes Sexleben wie vor der Geburt führen. Wie utopisch. Begehrenswert bleiben? Ich bin im Team Messy-Bun. Sehe aus wie im Song „Drei Tage wach“. Und trotzdem gibt mir mein Freund neckisch einen Klaps auf den Po, macht mir Komplimente, streicht mir sinnlich über die trockenen Lippen. „Alina Pelling im Wochenbett sexy finden“ – das sollte auf diesen „Liebe ist…“-Comics stehen. 

Wann sind wir Mamas schon mal satt und ausgeschlafen?

Und natürlich haben frischgebackene Eltern nicht mehr so viel Lust auf Liebe wie vorher. Kennt ihr diese Bedürfnisse-Pyramide? Die „Maslowsche Bedürfnishierarchie“. Ganz unten stehen die Grundbedürfnisse: Essen & Schlafen zum Beispiel. Ganz oben an der Spitze steht Selbstverwirklichung. Etwas, um das man sich erst kümmert, wenn zum Beispiel die zweite Stufe erfüllt ist: Sicherheit (Wohnen & Gehalt). So läuft das für mich beim Sex. Ich habe erst Lust, wenn die Grundbedürfnisse gestillt sind: Ich bin satt, friere nicht, schwitze nicht, bin ausgeschlafen. Bis ich zur der Spitze der Pyramide vordringen kann, muss einiges erfüllt werden. Und come on: Wann sind wir Mamas schon mal satt und ausgeschlafen? Nicht so oft wie früher. Und das ist völlig okay. Hier braucht es die „Ist ja alles nur ne Phase“-Phrase. 

Beim Thema Selbstbefriedigung hingegen ist mir meine Bedürfnispyramide egal. Wahrscheinlich weil man eine Vibrator-90-Sekunden-Session mal eben überall zwischendurch einschieben kann. Ich bin ein fauler Fingerer. Es geht, aber es nervt mich. Warum fingern, wenn es vibrieren kann? Das ist, als ob man (wie mein Schwiegervater) sein eigenes Butterschmalz herstellt, statt welches fix zu kaufen. Der Unterschied ist einfach nicht so groß, dass es sich lohnen würde. Genau wie ein Finger-Orgasmus im Gegensatz zum Vibrator-Orgasmus. 

Kennt ihr das, wenn man süchtig nach seinem Vibrator ist? Wenn es immer länger zum Orgasmus braucht? Wenn man irgendwie abstumpft? Wenn man dem Partner sagt: „Ach du, ich war heute im Kopf irgendwie nicht so dabei“, aber eigentlich denkt: Tja, dein Penis satisfyed mich nicht so wie der Satisfyer. Ich muss meinen Vibrator oft in Schubladen verbannen, die weit weg vom Bett sind. Aus Eigenschutz. Das hat sich auch mit Baby nicht verändert. Wenn ich todmüde im Bett sitze und trotz Müdigkeit nach dem Stillen nicht wieder einschlafen kann, mache ich es mir selbst. Das Kind liegt im Beistellbett und schlummert. Anderthalb Meter weiter vibriert es. Fühle ich mich schlecht? Nein. Der kleine Wurm bekommt doch eh nichts mit. Die Zeit, in der er noch so gar nichts auf dieser Welt checkt, muss ich schließlich noch genießen. 

Doch nun bin ich eine stillende Mutter, ich bin Nahrungsquelle und Trösterin

Womit ich seit der Geburt aber tatsächlich sexuell zu kämpfen habe, sind meine Nippel. Sie laufen zwar weniger aus als noch zu Beginn der Stillzeit, aber sie laufen. Wenn ich mein Kind sehe. Wenn ich es nicht sehe. Wenn ich dusche. Wenn ich Menschen umarme. Wenn ich Menschen nicht umarme. Es bleibt für mich das größte Hindernis beim Sex. Denn ich muss mich konzentrieren, um einen Orgasmus hinzubekommen. Das geht schlecht, wenn man leckt wie ein defekter Wasserhahn. Außerdem waren meine Nippel einst ein ultimativer Spot für Faulenzer: einmal küssen, zack, feucht. Einmal streicheln, zack, ich will bumsen. Doch nun bin ich eine stillende Mutter, ich bin Nahrungsquelle und Trösterin. Ich muss gestehen: Das Gefühl am Nippel ist nicht mehr dasselbe. Ich werde nicht mehr erregt. Ich denke eher: Weg da, küss lieber den Nacken. Ich hoffe zutiefst, dass das prickelnde Gefühl nach dem Abstillen wieder zu mir zurückkehrt. 

Letzte Woche hatten wir sogar unseren ersten Sex neben dem Kind. Oh, oh. Ich sehe schon die bösen Kommentare unter diesem Blog-Eintrag. Dabei glaube ich, dass das ganz schön viele Eltern machen. Bis zu einem bestimmten Alter finde ich das auch völlig in Ordnung. Mein Baby weiß noch nicht mal, dass es Hände hat. Er wird schon nicht traumatisiert werden von einem Akt, der ihn gezeugt hat. Dazu kam eine zweite Premiere: Ich hatte meinen ersten Orgasmus seit der Geburt. 

Der Sex beginnt eigentlich relativ uncharmant, weil durch unsere Bett-Bewegungen das selbstgebastelte Mobile wackelt und klappert. Wir haben damals extra eines aus Holz selber gesägt, geschmirgelt, bemalt. Mitten im Sex gibt das Baby – das Mobile anstarrend – mürrische Geräusche von sich. Mein Freund gibt immer wieder Anschwung, sodass sich der Kleine beruhigt. Immer und immer wieder muss er auf dem Rücken liegend, ich auf ihm, die Holzfiguren in Bewegung bringen. „Dreh nochmal, ich komme gleich“, sage ich apathisch. Und voilà, es klappt tatsächlich: Drei Monate nach der Geburt erlebe ich wieder meinen ersten Orgasmus mit meinem Freund. Ich bin überglücklich. Und es ist besser als der Satisfyer. Auch, wenn wir wegen der Scheidentrockenheit vorher klebriges Gleitgel benutzen müssen.

Nein, der Sex ist nicht wie vorher. Ja, meine Libido hat sich verändert. Durch die Hormone und die Müdigkeit habe ich einfach weniger Lust. Früher habe ich Männern auf der Straße auf den Penis gestarrt, nun starre ich auf andere Gestelle und errate das Kinderwagenmodell. Aber hey: Ohne Tiefen keine Höhen. Keine Höhepunkte. Und doch fährt sich das Fahrrad besser und besser. 

Unser erster Sex nach der Geburt war wie ein Platten: Peng. Eine abgebrochene Fahrradtour. Und auch Wochen später ist immer wieder die Kette rausgesprungen, wenn sie nicht vorher fleißig geölt wurde. Ich brauche im Vergleich zu früher auch keine Reflektoren oder Licht mehr an meinem Drahtesel, denn ich fahre eh nicht mehr in den Abendstunden. Ich rolle nur noch tagsüber und am Wochenende ins Glück. Die Pedale lassen sich teils immer noch schwer treten, und doch kann ich, wenn ich einmal gut Gas gegeben habe, den Berg noch erklimmen. Alles step by step. Einen Gang höher schalten geht immer. Die kinderlosen Menschen überholen einen zwar auf ihren Rennrädern. Und doch bereue ich kein Stückchen, mir ein klappriges Hollandrad mit Kindersitz zugelegt zu haben.