Geschrieben von Sarah // Auf Instagram @hey.sarah_
Triggerwarnung: Fehlgeburt, medizinische Eingriffe
Letztendlich ist es unterm Strich genau das, was uns passiert ist. Wir haben unser Kind verloren. Ich tue mich dennoch schwer mit diesem Ausdruck. Eine Fehlgeburt passiert (so zumindest meine bisherige Auffassung), wenn der Körper in der Schwangerschaft feststellt, dass etwas Lebensnotwendiges nicht stimmt mit dem Baby. Ein natürlicher, wenn auch extrem schmerzhafter – physisch wie psychisch – Prozess. In unserem Fall hingegen musste meine zweite Schwangerschaft aus medizinischen Gründen beendet werden, womit mein Körper in keinster Weise einverstanden war.
Alles auf Anfang
Aber von vorne: Anfang 2021 hielt ich einen positiven Schwangerschaftstest in der Hand. Kurz darauf hatten wir dann den ersten Termin bei meiner Frauenärztin. Ich ahnte ziemlich schnell, dass etwas nicht stimmte, da sie einen Moment zu lange ruhig auf den Bildschirm schaute. „Schwanger sind sie auf jeden Fall“, sagte sie dann irgendwann. „Aber irgendwie sieht das nicht ganz richtig aus. Entweder es bahnt sich schon den Weg nach unten und wird eine Fehlgeburt oder es hat sich an der Kaiserschnittnarbe (Anmerkung: 2018 wurde unsere erste Tochter per Kaiserschnitt geboren) eingenistet. Das wäre aber schon echt sehr, sehr selten.“
Das war erstmal ein großer Schock. Sie empfahl mir, eine Woche abzuwarten und dann erneut zu schauen, wenn es bis dahin nicht von selbst abgegangen wäre. Die nächste Woche schwankte ich also zwischen Angst und Trauer aufgrund der vermeintlich bevorstehenden Fehlgeburt und gleichzeitig auch etwas aufkeimender Hoffnung nach jedem Tag, an dem nichts passierte. Auch wenn davon immer abgeraten wird, habe ich natürlich auch das Internet befragt. Zu dieser speziellen Art von extrauteriner Schwangerschaft findet man allerdings quasi gar nichts.
8. Woche
Beim nächsten Termin manifestierte sich leider die These einer Schwangerschaft in der Kaiserschnittnarbe. Für meine Frauenärztin war dies der erste Fall dieser Art, daher empfahl sie mir die weitere Abklärung bei einem Spezialisten. Eine enge Freundin von mir ist Gynäkologin und hat gleich ihrem Oberarzt von meiner Situation berichtet, sodass wir noch am gleichen Abend in der Klinik vorstellig werden konnten. Zu diesem Zeitpunkt war ich in der 8. Woche schwanger, alles war bis dahin zeitgerecht entwickelt, Herzschlag vorhanden.
Der Oberarzt bestätigte leider zweifelsfrei die Diagnose und riet mir gleichzeitig zum umgehenden Abbruch der Schwangerschaft.
Das Gefährliche an einer solchen Schwangerschaft ist, dass sich sowohl innerhalb als auch außerhalb der Gebärmutter jede Menge Blutgefäße bilden, wo sie nicht hingehören. Trotz der frühen SSW war dies bei mir schon ziemlich weit fortgeschritten. In den allermeisten Fällen ist es so, dass bevor das Kind überlebensfähig ist, heftigste Blutungen auftreten. Hierbei verstirbt dann nicht nur das Kind, sondern im schlimmsten Fall auch die Mutter. Selbst wenn die Mutter es überlebt, müsste die Gebärmutter entfernt werden und die Chance auf eine erneute Schwangerschaft wäre somit dahin.
Da diese Art von Komplikation so selten ist, gibt es eigentlich nur eine Therapieform: das Verabreichen einer „Teil-Chemo“, bei der man das Zellgift Methotrexat (MTX) gespritzt bekommt. Ich entschied mich schweren Herzens dazu, das Ganze ambulant im Krankenhaus bei uns in der Nähe durchführen zu lassen. Auch dort habe ich meinen Fall zunächst mit der Oberärztin noch besprochen und auch sie war einer Meinung mit den anderen Ärzten und sah keine Alternative.
Bei mir lief nichts „normal“
Somit wurde also das besagte Mittel umgehend in der Apotheke bestellt und wenige Stunden später gespritzt. Normalerweise reicht die einmalige Gabe aus, um die Schwangerschaft zu beenden. Und dann? Würde ich Blutungen kriegen? Oder würde irgendwann einfach wieder meine Periode einsetzen und das Gewebe würde dann mit abgehen?
Was danach passieren würde, konnte mir niemand sagen. Hierfür fehlten schlichtweg die Erfahrungswerte. Alle zwei Tage musste ich zur Blutkontrolle, an Tag 6 nach der Spritze müsste der HCG-Wert um mindestens 15 Prozent gefallen sein. Normalerweise. Leider mussten wir schnell feststellen, dass bei mir nichts „normal“ lief.
Mir ging es inzwischen nicht nur psychisch schlecht, auch körperlich hatte mir das Medikament extrem zugesetzt, ich hatte alle Nebenwirkungen, die man sich so vorstellen konnte. Dennoch war der besagte Wert nach diesen sechs Tagen sogar noch angestiegen, daher musste ich tatsächlich noch einmal MTX bekommen. Das war’s aber doch jetzt wohl, dachte ich mir.
Nichts da. Zwar war der HCG-Wert nach weiteren sechs Tagen auf einem Level geblieben, nicht aber gefallen. Tatsächlich war sogar immer noch ein Herzschlag feststellbar, was die ganze Prozedur emotional kaum ertragbar machte.
Ein Plan B musste also her
Letztendlich ließ man mir die Wahl, entweder innerhalb von sechs Tagen drei Spritzen zu bekommen oder aber die Dosis MTX direkt durch die Bauchdecke in die Fruchtblase zu injizieren. Ich entschied mich für die letztere Variante. Aus meiner Sicht war dies die „sinnvollere“ Variante, da das Mittel so wenigstens direkt an Ort und Stelle wirken konnte, nicht wie bisher auf den ganzen Körper.
Aufgrund der pandemischen Lage musste ich bis dato alle Termine alleine überstehen. Für die dritte Spritze bestand ich aber darauf, dass mein Mann hinzukommen durfte und so hatte ich wenigstens in diesem Fall Unterstützung.
Wiederum eine Woche und diverse Blutkontrollen später stellte man fest, dass die dritte Injektion endlich „zielführend“ gewesen war. Jetzt hieß es also abwarten. Wie es genau weitergehen würde, konnte man mir ja nicht sagen. Rein rechnerisch war ich zu diesem Zeitpunkt in der 12. Woche schwanger.
Einige Tage danach bekam ich Blutungen und heftige Schmerzen. Der HCG-Wert begann zu fallen, was weiterhin wöchentlich kontrolliert wurde, auch wenn meine inzwischen völlig durchlöcherten Arme kaum noch Möglichkeiten zum Blutabnehmen boten.
Zurück „in den Alltag“
Zwei Wochen nach Beginn der Blutungen sollte ich wieder arbeiten gehen, um nach sechs Wochen endlich wieder „in den Alltag“ zu finden. Einerseits war ich damit durchaus einverstanden, andererseits sah ich mich in keiner Weise dazu in der Lage, meinen Patienten wieder gerecht werden zu können, wo ich doch grad mit mir selbst noch so viel zu tun hatte.
Dennoch kehrte ich zurück in meine Praxis als Physiotherapeutin, gleichzeitig hörten und hörten die Blutungen einfach nicht auf, was natürlich auch nicht gerade von Vorteil war für meinen ohnehin schon desolaten Zustand.
Eine Ausschabung oder Ähnliches kam aber aufgrund der wild gewucherten Blutgefäße nicht in Frage. Außerdem sah man auf dem Ultraschall auch immer noch eine Art Zellhaufen, der einfach nicht abgehen wollte. Nach etwa sechs Wochen hörten die Blutungen endlich auf.
Hormoneller Ausnahmezustand
Meine Periode kam ab diesem Zeitpunkt wieder regelmäßig wie eh und je. An sich ja erstmal ein gutes Zeichen. Jedoch befand ich mich jedes Mal zum Zeitpunkt des Eisprungs sowie auch zum Einsetzen der Menstruation hormonell in einem völligen Ausnahmezustand. Jedes Mal war alles komplett anders; Stärke, Dauer, Begleiterscheinungen wie Krämpfe und so weiter. Gleich hingegen war, dass ich jedes Mal in ein absolutes depressives Loch geworfen wurde, aus dem ich mich zwischen Familie, Arbeit und Alltag immer wieder herauskämpfen musste.
In der Zwischenzeit hatte ich noch einen Termin in einer Uniklinik vereinbart, um einfach noch eine weitere Meinung einzuholen. Nach ausführlicher Untersuchung riet man mir nicht nur zu einer weiteren MTX-Gabe sondern auch, mich einer Operation zu unterziehen, um eine vermeintliche Narbennische auszubessern. Bei dieser OP würde die Kaiserschnittnarbe wieder geöffnet und neu vernäht. Eine Erfolgsgarantie gäbe es aber nicht. Alles in mir sträubte sich und auch alle anderen Ärzte rieten mir dazu, weiter abzuwarten und diese OP als allerletzte Möglichkeit im Hinterkopf zu behalten.
Sommerpause von Arztterminen
Die Monate vergingen. Um endlich mal etwas Abstand gewinnen zu können, erbat ich mir über den Sommer eine Pause von allen Arztterminen. Ich ertrug die ständigen Kontrollen einfach nicht mehr und man konnte aktuell ja eh nichts weiter machen als abwarten.
Im September hatte ich dann wieder den nächsten Termin im Krankenhaus. Entgegen meiner Erwartung war das Ergebnis sehr positiv: Die Gebärmutter sah super aus und war exakt in dem Zustand, in dem man sie (nach Kaiserschnitt) erwarten würde. Von einer Nische keine Spur. An diesem Tag verließ ich also zur Abwechslung mit Tränen der Erleichterung das Krankenhaus. Im Gepäck die offizielle Erlaubnis, wieder schwanger werden zu dürfen, wenn ich mich danach fühlte.
Überlebensmodus verlassen
Kurz darauf ging es für uns erstmal in einen wohlverdienten Familienurlaub. Definitiv erholsam. So ganz frei fühlte ich mich dennoch nicht. Denn im Oktober wäre eigentlich der errechnete Geburtstermin gewesen. Während ich mir so gut es ging einredete, damit klarzukommen, belehrte mich mein Körper eines Besseren. Pünktlich zum besagten errechneten Termin lag ich vollkommen flach mit der heftigsten Magenschleimhautentzündung, die ich je hatte.
Ich musste mir eingestehen, dass es an der Zeit war, endlich diesen Überlebensmodus zu verlassen und etwas für mich zu tun. Ich holte mir Hilfe von einer Therapeutin, die derartige Traumata durch Gesprächs- und Hypnosetherapie behandelt. Gleichzeitig fing ich an, mehr Selfcare-Momente in meinen Alltag einzubauen, um Stück für Stück endlich wieder zu mir selbst zurückzufinden.
Unsere Reise zum Regenbogenbaby beginnt
Zur gleichen Zeit stellte ich fest, dass ich wieder schwanger war. So durften wir im Oktober zwar kein Baby in die Arme schließen, wohl aber begann dort die Reise zu unserem so, so willkommenen Regenbogenbaby. Ich gebe zu, nach den Erfahrungen dieses Jahres, waren die ersten Wochen hart. Und das nicht nur wegen Übelkeit und Müdigkeit. Viele Emotionen kamen hoch und speziell ich traute mich noch nicht so recht, mich zu freuen.
Inzwischen bin ich in der 19. Woche schwanger, alles sieht wunderbar aus und so sind wir guter Hoffnung, im Sommer unser zweites kleines Mädchen begrüßen zu dürfen.Ganz ehrlich, verdient hätten wir es, finde ich.
Irgendwo gibt es ein Happy End
Was ich abschließend noch sagen möchte: Das was uns widerfahren ist, ist super selten. Aber es kommt vor. Solltest du dich also in der gleichen Situation befinden (oder jemanden kennen, der jemanden kennt…), sei dir gewiss, dass du nicht alleine bist! Mein Bericht soll dir keine Angst machen, sondern Mut. Es ist verdammt schwer, aber du kannst es schaffen und bestimmt wartet auch für dich irgendwo dein Happy End.
Letztes Jahr um diese Zeit hätte ich mir so sehr gewünscht, einen Erfahrungsbericht dieser Art zu finden. Nicht nur durch Corona hab ich mich sehr allein gelassen gefühlt, sondern auch, weil niemand, den ich kenne das Gleiche erleben musste (zum Glück).