Mit dem gemeinsamen Baby kam auch die Distanz zu meinem Mann. Als ich dann meinem Kollegen näherkam und all meine Sehnsüchte geweckt wurden, musste ich mich entscheiden…

geschrieben von Jenny

Meinen Mann habe ich vor 13 Jahren während meiner Ausbildung als Pflanzenfachberaterin kennengelernt. Wir waren gemeinsam in der Berufsschule, in derselben Klasse und haben uns von da an alles selbst aufgebaut, viel gearbeitet, Geld verdient, beruflich ausprobiert, viele schöne und traumhafte Urlaube gehabt, früh geheiratet, später ein Haus gekauft und nach 10 Jahren Zweisamkeit ein Kind bekommen. Eigentlich perfekt, es hat immer irgendwie gepasst.

Nur, als dann unsere Tochter da war, bemerkte ich, dass ich die Entwicklung nach vorne gemacht hatte und er stehen geblieben war. Seine Tage waren immer noch die gleichen, keine Veränderung in Richtung Familie, er zog sich zurück. Das Baby, der Haushalt und ich waren ihm zu viel.

Die Sehnsucht war riesig

Die Kleine wurde älter und auch dann wurde es nicht besser. Nach knapp zwei Jahren Elternzeit ging ich wieder arbeiten. Unter der Woche habe ich morgens gearbeitet und mich am Nachmittag um die Kleine und den Haushalt gekümmert. Samstags gab es dann notgedrungen Papa-Kind-Zeit und sonntags nur mich und die Kleine. Ich war nur noch Mutter, die arbeiten ging und die „Haushälterin“ für meinen Mann.

Nichts konnte ich richtig machen. Selbstzweifel kamen auf. Warum ist er so zu mir? Warum kann ich es nicht richtig machen? Warum bringt er sich nicht ein, es ist auch sein Haus und sein Kind? Die Sehnsucht nach Nähe, Geborgenheit, Zärtlichkeiten und Sex, nach guten Gesprächen, nach Albernsein und Zweisamkeit war riesig. Aber der Wunsch, diese Dinge auch mit meinem Mann umzusetzen, war praktisch nicht vorhanden, nicht da, kein Interesse. Weder von ihm, noch von mir. Die Abende bestanden aus Fernsehen und Handyzeit, Social Media. Und dann kam diese eine Nachricht.

Eine gelungene Abwechslung, mehr nicht

Er: “Glückwunsch!”
Ich: “Danke!”

Fußballspiel Rot-Weiß-Essen gegen Leverkusen 2:1

Es fing mit dieser einen Nachricht an. Was sollte ich denn mehr darauf antworten als „Danke“? Die Nachricht kam von IHM – damals nur ein Kollege. Ein paar Tage vergingen und wir unterhielten uns, unter anderem auch darüber, warum ich nicht mehr geantwortet habe. Es war reine Provokation von ihm. Wir schrieben das erste Mal bis spät in die Nacht, lange Texte, provokante, bis unter die Gürtellinie, ohne es beim Namen zu nennen, es auszusprechen. Zu diesem Zeitpunkt war es für mich nur Spaß, eine gelungene Abwechslung, mehr nicht. Die Tage vergingen und gerade am Anfang gab es auch Schreibpausen, welche aber schnell weniger wurden. Auf der Arbeit redeten wir (noch) kaum ein Wort miteinander, nur das Nötigste.

Irgendwann reichte es nicht mehr

Schnell änderte sich die Grundstimmung zwischen uns. Die Nachrichten wurden tiefgründiger, sachlicher, über unsere Wünsche und Träume, über Leidenschaft und Verlangen, über unsere Partner. Darüber, was uns fehlte, was wir brauchen. Es wurde ein Mix aus beidem. Das Ganze hatte Suchtpotenzial und ja, wir wurden süchtig danach, uns zu schreiben.

Irgendwann reichte es nicht mehr und wir unterhielten uns auch auf der Arbeit, trafen uns nach Feierabend auf dem Parkplatz und verbrachten dort fast jeden Abend noch eine Stunde. Wenn es keinen gemeinsamen Feierabend gab, wartete er auf mich oder kam noch zu mir, um sich zu verabschieden. Es gestaltete sich schwierig, denn wir arbeiteten weit auseinander. Kurze Möglichkeiten gab es für uns aber immer wieder und sie wurden mehr. So vergingen einige Wochen und Monate bis er eines Sonntags ein Treffen vorschlug. Ich lag im Garten, meine Tochter im Arm und überlegte mir, wie ich wegkommen könnte. Mein Herz raste, die Nervosität wurde immer größer, doch die Vernunft siegte. Noch. Ich blieb zu Hause. Der Reiz war aber da, etwas „Verbotenes“ zu tun und so ergriff ich ein paar Tage später die nächstbeste Möglichkeit und traf mich mit ihm etwas abgelegen auf dem Abstellplatz meines Wohnwagens.

Und da waren wir, alleine, schüchtern und zurückhaltend, mit viel Abstand zwischen uns. Je länger wir redeten, desto lockerer wurden wir und ehe ich mich versah, lag ich mit geöffnetem BH neben ihm. Stocksteif und kichernd. Nichts weiter passierte und nachdem der BH wieder zu war, verabschiedeten wir uns. So eine Nähe, Spielereien gab es jetzt öfter, auf der Arbeit, im Backoffice, in seinem Büro…

„Warum lasse ich das zu? Warum gibt er mir so ein gutes Gefühl? Warum tue ich das?“ Diese Gedanken begleiteten mich. Wir gingen mit dem Vorhaben in die Treffen, keinen Schritt weiter zu gehen – „heute nicht“. Aber es wurde immer mehr, immer intensiver und die Treffen regelmäßiger. Meistens in seinem Auto auf einem Friedhofsparkplatz. Wir lagen dann mit geöffneter Heckklappe im Kofferraum, erst noch nebeneinander, dann in den Armen des anderen liegend.

Er ging mir unter die Haut, gab mir ein wunderbares Gefühl von Nähe, Verständnis, und von Mal zu Mal steckten wir die Grenzen immer weiter nach hinten ab. Hier ein bisschen mehr, da noch mal streicheln, die Hose (Gürtel, Reißverschluss und Knopf) öffnen, ist ja bequemer. Den BH aufmachen, weil auch das bequemer ist, die Hand unters Shirt auf der nackten Haut, am Hosenbund entlang, aber nicht hinein.

Das, was wir zu Hause nicht bekamen, trotzdem vermissten, aber vielleicht auch nicht mehr wollten, holten und bekamen wir bei uns. Freie Tage und Urlaub waren besonders schlimm. Die Angst, der Zauber könnte verfliegen, war groß. Jede freie Minute wurde kurz etwas geschrieben, sich versichert, dass sich auch nichts verändern könnte.

Das war der Startschuss für Mehr

Einen Nachmittag während der Arbeit fragte er mich ganz spontan, was ihn von anderen Männern unterscheiden würde – nicht nur bei uns, sondern auch in seiner Ehe. Da ich im Stress war, hatte ich nicht direkt die passende Antwort und fragte ihn zurück, was das denn zwischen uns wäre. Eine richtige Bezeichnung für unser Verhältnis gab es nicht, also nannte ich es „Pizza Hawaii“. Auf seine ursprüngliche Frage antwortete ich später am Abend:

„Ich denke, jemanden das Gefühl zu geben, etwas Besonderes zu sein, kommt nicht nur alleine durch Berührungen. Es ist mehr ein Zusammenspiel zwischen Kommunikation (hinsichtlich Problemen, schönen Dingen, Quatsch usw.), Nähe und Berührungen (in den Arm nehmen, zufällige oder beabsichtigte Berührungen, Sex usw.) und Ansehen. Mit Ansehen meine ich, nach Hause zu kommen und sich zu freuen, den anderen zu sehen, „wow“ zu denken (nicht auf das Äußere bezogen) oder ein wohlig warmes Gefühl zu bekommen. Jemanden als selbstverständlich zu betrachten, geht schnell und ist einfach. Ich glaube, das Gesamtpaket muss stimmen. Gemeinsamkeiten, Wünsche und Träume usw. müssen natürlich auch zusammenpassen.

Wenn mit den Jahren Dinge wegfallen, weil sie für einen persönlich nicht mehr wichtig sind, dann kann man das schwer rückgängig machen. Das ist einfach der sich verändernde Charakter und die Prioritäten, die man neu setzt. Um das mal auf uns und das, was zwischen uns ist (Pizza Hawaii), zu beziehen: Ich denke schon, dass es zwischen dir und allen anderen Männern einen Unterschied gibt. Das sind zum Beispiel die Gespräche, über Gott und die Welt, über unsere Probleme oder Unfug mit Niveau. Das Treffen im Kofferraum, mit geöffnetem BH im Arm zu liegen und zu kichern, bis der Kopf dunkelrot wird. Dazu gehört auch Vertrauen, sich so gehen zu lassen, Nähe und Berührungen zuzulassen und sich wohlzufühlen. Oder ganz einfach sich zu freuen, wenn man ein paar Stunden zusammen Schicht hat, obwohl man vielleicht gar nicht miteinander sprechen wird. Da machen die kleinen Dinge das Mehr aus.“

Das war der Startschuss für Mehr. Ein paar Tage später fuhr er zu einem Festival und da mussten wir selbstverständlich noch etwas für die Bindung tun. An diesem Tag trafen wir uns das erste Mal morgens vor der Arbeit und abends nach Feierabend. Zwei Treffen an einem Tag. Morgens alles wie gehabt, viel Nähe, viel Lachen, viel Reden, viele Berührungen und abends nach der Spätschicht das zweite Treffen. Gleicher Ort. Wir machten sofort da weiter, wo wir aufgehört hatten. Die Zeit rannte, es wurde immer später, aber wir konnten uns einfach nicht voneinander lösen. Es gab noch so viel, was wir besprechen wollten, noch viele Berührungen, die wir uns geben mussten.

Doch dann war es so weit – wir mussten gehen. Jeder stand an seinem Auto, ich bei geöffneter Tür auf dem Rahmen, um über mein Auto hinweggucken zu können und er an seinem. Und dann wurde die Grenze in meinem Inneren noch einmal ein ganzes Stück nach hinten geschoben, so weit, dass es kein Zurück mehr gab. Alles stand Kopf. Meine Gefühle und Emotionen kochten über und plötzlich war ich alleine mit diesem Chaos. „Was macht er mit mir? Ist das alles wahr?“ Eine Woche später gab es den ersten Kuss und ein paar Wochen später schliefen wir das erste Mal miteinander, in seinem Auto am „Ende der Welt“. Das erste „Ich liebe dich“ kam von ihm.

Von da an wussten wir, dass wir zusammen sein wollten

Danach fuhr ich noch mit meinem Mann, meiner Tochter und seinen Eltern in den Urlaub. Der schrecklichste Urlaub überhaupt. Die ganzen zwei Wochen über flossen Tränen, wir vermissten uns und von da an wussten wir, dass wir zusammen sein wollten. Vom ersten Kuss an dauerte es dann aber doch noch knapp ein Jahr und drei Monate, bis wir endlich offiziell ein Paar sein durften.

Es lag unter anderem an mir, dass es so lange gedauert hat. In dieser Zeit gab es sehr viele Diskussionen zwischen meinem Mann und mir. Ich wollte einen sauberen und einfachen Abschluss, wollte Verständnis und Einsicht. Der nächste Familienurlaub stand im Sommer an, aber ich fuhr nicht mit. Blieb bei ihm. Habe meine Tochter mit ihrem Papa alleine fahren lassen. In diesem Jahr standen für mich die schwersten Entscheidungen an, dabei gab es nie einen Zweifel an ihm oder an unserer Liebe, sondern nur Selbstzweifel, ob ich für meine Tochter die richtigen Entscheidungen treffe.

Wenn meine Tochter und mein Mann schliefen, telefonierten wir, weinten, stritten, lachten und schmiedeten Pläne. Und ja, ich hatte große Angst, ihn zu verlieren. Beruflich bin ich kürzergetreten und habe mich als Elternbeirat mehr in der Kita eingebracht, um näher am Geschehen zu sein. Nach dem großen Knall mit meinem Mann fühlte ich eine große Leere. Es gab viele ungeklärte Dinge. „Schaffe ich es alleine? Reicht das Geld? Mache ich mein Kind kaputt? Bin ich alleine an allem schuld?“ Diese Fragen quälten mich.

Wir haben die für uns perfekte Patchwork-Familie aufgebaut

Mittlerweile sind er und ich offiziell ein Paar und wohnen auch zusammen und haben die für uns perfekte Patchwork-Familie aufgebaut. Mit allen Höhen und Tiefen, die so eine Situation mit sich bringt. Vielleicht sollte ich dazu sagen, dass dieser Mann mein Chef ist und wir auch unseren Arbeitsalltag meistern. Und egal, wie stressig es ist, wir gehen gemeinsam diesen Weg und tragen unsere Päckchen zusammen, weil wir uns lieben und nie wieder eine unglückliche Beziehung führen wollen.

Was so eine kleine Nachricht anrichten kann. Wie sehr sie ein komplettes Leben auf den Kopf stellen und positiv verändern kann.