Neuanfänge – das klingt erstmal ganz großartig. Ein wenig furchteinflößend, sehr spannend und vor allem sehr, sehr positiv. Einen Neuanfang assoziiere ich eigentlich immer mit etwas „Besserem“ oder zumindest einer signifikanten Verbesserung der jeweiligen aktuellen Lebenssituation. Neues Jahr, neuer Job, neue Stadt, neue*r Lebenspartner*in – nochmal ganz motiviert mit etwas beginnen, von dem man schon so lange heimlich träumt: eben einen Neuanfang wagen. Träume erfüllen und neu starten.
Mein heimlicher Traum vom Neuanfang: Hebamme
Tatsächlich ist mir erst mit meiner eigenen Schwangerschaft und der Geburt unseres Sohnes klargeworden, wie elementar wichtig und wertvoll die Unterstützung und Begleitung in dieser Zeit durch eine Hebamme ist. In einem sozialen Beruf mit möglichst viel Kontakt zu anderen Menschen zu arbeiten, war schon immer mein Wunsch – klar, deshalb arbeite ich auch als Lehrerin. Meine Fächer Biologie und Deutsch begeistern mich und das Unterrichten sowie der Umgang mit den Kindern und Jugendlichen macht mir viel Freude.
Aber es ist eine andere Begeisterung als die, die ich beim Gedanken an die Arbeit als Hebamme, beim Gedanken an die wertvolle Unterstützung der Frauen und Paare während und nach der Schwangerschaft und beim Gedanken an die Begleitung eines neuen Lebens und einer wachsenden Familie empfinde. Gleichzeitig habe ich mich gefragt: Warum gehe ich diesen Schritt dann nicht einfach?
Ist das wirklich mein Wunsch oder nur Wunschdenken?
Der Wunsch, als Hebamme zu arbeiten, begleitet mich nun schon seit drei Jahren und ganz ehrlich: Ich habe mich auch schon einmal für die Hebammenausbildung beworben – wurde angenommen und habe dann doch abgelehnt. Und bei den kalten Füßen, die ich bei der Zusage bekommen habe, da fragte ich mich: Ist das denn wirklich mein tiefer Wunsch, als Hebamme zu arbeiten, oder ist da auch ganz viel Wunschdenken dabei? Anscheinend bin ich für diesen Neuanfang ja nicht bereit und ich würde mal behaupten: Ich habe sonst nicht die größten Probleme mit Neuanfängen, bin sonst immer sehr schnell entschlossen und gehe die Dinge dann auch tatkräftig an.
Irgendwas hält mich bei dieser speziellen Sache aber ab und ich würde nicht sagen, dass es Angst ist. Ich glaube, ich wäre gerne Hebamme, weil ich die Idee schön finde, Hebamme zu sein. Anders ausgedrückt: Ich idealisiere den Beruf der Hebamme für mich persönlich und weiß gleichzeitig aus vielen Berichten und Erzählungen, wie knochenhart die Arbeit ist und wie wenig sie (besonders finanziell) durch die Politik wertgeschätzt wird. Und wenn ich mich von solchen Dingen bremsen lasse, dann muss ich mir selbst auch ganz ehrlich eingestehen: Mein tiefster Wunsch kann dieser Neuanfang nicht sein.
Von Wünschen und Träumen
Ich glaube, dass das für mich der feine Unterschied zwischen Wunschvorstellungen und dem tiefen Bedürfnis ist, tatsächlich etwas zu verändern. Wir alle sprechen ja gerne davon, dass wir gerne so und so wären, hier oder da leben würden, in diesem oder jenem Job zu arbeiten und machen – ganz genau – nichts oder zumindest zu wenig dafür. Zu wenig, um tatsächlich etwas zu verändern.
Und das ist dann vielleicht auch gut so. Denn wenn ich etwas ganz unbedingt will, dafür brenne und es deshalb auf jeden Fall ausprobieren werde, dann ist das einen Neuanfang inklusive Arbeit, Zeit und Nerven wert. Bei allem anderen, bei dem es auf der mentalen Ebene stagniert, bei dem es bei Träumereien und Wunschdenken bleibt und keinerlei Aktionismus mit einhergeht, würde ich sagen: Lass es so sein. Gönn dir die Tagträume, schwelge in der Vorstellung und wenn es dabei bleibt: okay. Dann soll es das auch gewesen sein.
Alle Wünsche, die aus unserem tiefsten Inneren kommen, werden wir angehen – oder wir sind dauerhaft kreuzunglücklich. Und ich hoffe, dass wir das alle bemerken würden und dementsprechend in Aktionismus verfallen und wirklich was ändern. Sobald wir etwas so sehr wollen, dass wir bereit sind, uns und die aktuelle Situation grundlegend zu verändern und ins kalte Wasser zu springen – dann ist es das wirklich wert, einen Neuanfang zu wagen.
Mein heimlicher Traum bleibt auch einer
Mein heimlicher Traum, der nun gar nicht mehr so geheim ist, wird für mich wahrscheinlich für immer eine Wunschvorstellung bleiben. Eine Vorstellung, die mir ziemlich gut gefällt und in der ich mich auch total sehe. Denn ganz ehrlich: Ich kann mir mich sehr gut als Hebamme vorstellen, sehe mich von Frau zu Frau, von Familie zu Familie fahren, hier ein Schwätzchen halten, da einen Kaffee trinken und viel Zuversicht und Ruhe ausstrahlen. Klingt ziemlich entspannt und zu schön, um wahr zu sein, aber genauso habe ich meine Hebamme gesehen und dieses Bild und diese Frau fand ich einfach nur toll. Und ich wäre gerne so ein bisschen wie sie, deshalb habe ich diesen Beruf und diese Vorstellung in meinem Kopf absolut idealisiert.
Aber es bleibt eine idealisierte Wunschvorstellung in meinem Kopf, die ich nicht in die Realität umsetzen werde, das weiß ich. Ich fühle mich zu wohl in meiner aktuellen Arbeitssituation und bin trotz all der Hirngespinste von mir als Hebamme im blauen Kittel (den trugen bei meiner Entbindung die zuständigen Hebammen) so zufrieden mit meinem Leben und mit meinem Beruf, dass ich an dieser Schraube nichts drehen und damit auch keinen Neuanfang in diesem Bereich wagen werde.
Und das ist auch absolut okay für mich. Sollte sich der heimliche Traum, als Hebamme zu arbeiten, irgendwann doch zu einem tiefen Bedürfnis entwickeln, dann bin ich mir ganz sicher, dass ich es angehen werde.