Schon vier Tage drüber, die Nervosität steigt, Test kaufen, draufpinkeln, zwei Striche – shit, was nun? Während einige Frauen sehnlich auf das Erscheinen des zweiten Strichs warten, bricht für andere in diesem Moment ihre Welt zusammen. Kein fester Partner, ein Lebensplan, der keine Kinder beinhaltet oder eine kriminologische Indikation, wie beispielsweise eine Vergewaltigung. Es gibt zahlreiche Gründe, sich gegen ein Kind zu entscheiden.
Auch für Claudia* passte kein Kind in ihr Leben, als sie mit 19 Jahren schwanger wurde. Ihre Entscheidung für einen Schwangerschaftsabbruch ist mittlerweile bereits 34 Jahre her und sie hat es seitdem nie bereut. Trotz Angst vor dem Eingriff war Claudia fest entschlossen, dass die Zeit für ein Kind noch nicht da war.
Doch was, wenn die Periode ausbleibt, der Schwangerschaftstest positiv ist und eine Frau sich entscheidet, abtreiben zu wollen? Laut Paragraf 218 des deutschen Strafgesetzbuches (StGB) ist ein Schwangerschaftsabbruch grundsätzlich rechtswidrig und nur unter bestimmten Umständen erlaubt.
„illegal, aber straffrei“-Regelung
Vor knapp eineinhalb Jahren verkündete der deutsche Bundesminister für Gesundheit, Jens Spahn, eine Studie mit immens hohen Kosten von fünf Millionen Euro zu den psychischen Folgen einer Abtreibung auf den Weg zu bringen und löste eine Protestwelle aus. Diese Studie erweckt beinah den Anschein, dass schwangere Frauen aus einer Laune heraus zu einer Arztpraxis gehen und eine Abtreibung wie einen Cappuccino im Café bestellen würden, ohne über die Konsequenzen nachzudenken. Doch bis eine Frau überhaupt behandelt wird, geht sie einen komplizierten Weg, immerhin ist in Deutschland ein Schwangerschaftsabbruch nach wie vor rechtswidrig. Im § 218a StGB werden Ausnahmen durch die Beratungsregelung, eine kriminologische Indikation oder eine medizinische Indikation geregelt und damit eine gewisse „illegal, aber straffrei“-Regelung festgelegt.
Im Jahr 2019 wurden deutschlandweit 100.893 Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt, über 95 Prozent davon auf Grundlage der Beratungsregelung. Diese sagt aus, dass eine Frau zu einer Schwangerschaftskonfliktberatung bei einer anerkannten Beratungsstelle gehen muss und das drei Tage bis zu der geplanten Abtreibung dazwischen liegen müssen. Des Weiteren darf bei dieser Regelung sowie bei einer kriminologischen Indikation die Schwangerschaft nicht über 14. Woche vorangeschritten sein.
Claudia wusste schon mit den ersten ausbleibenden Tagen ihrer Periode, was das bedeuten würde: eine ungewollte Schwangerschaft. Sie war 19 und stand kurz vor den letzten Prüfungen zum Staatsexamen. Während ihrer Ausbildung zur Krankenschwester wohnte sie in einem Zimmer in einem Wohnheim auf dem Klinikgelände und sah ihren festen Freund daher nur sporadisch. „Wir hatten auch schon mal über Nachwuchs gesprochen und für mich ist es ganz natürlich gewesen, irgendwann ein Kind zu bekommen, nur eben nicht zu diesem Zeitpunkt.“
Ich hatte keine Angst
Ihr Freund hätte sich zwar gefreut und wäre enttäuscht über ihren Entschluss gewesen, hätte ihn jedoch schließlich akzeptiert.
Die junge Frau musste zu einem Vorgespräch, in dem wiederholt gezielt gefragt wurde, ob sie sich das gut überlegt hätte und sie auch wirklich ganz sicher sei. „Ich hatte keine Angst, die falsche Entscheidung zu treffen. Ich war jung und auch wenn ein Risiko nach solch einem Eingriff besteht, keine Kinder mehr bekommen zu können, war ich zuversichtlich, dass es später mit einem Baby klappt.“
Heutzutage bekommen die Frauen im Anschluss der Beratung einen „Beratungsschein“ sowie eine Liste mit Ärzten und Praxen, die diesen Eingriff durchführen würden. In besonderen medizinischen Situationen wünschen sich die meisten Menschen eine gute medizinische Betreuung und wollen sich informieren, doch der § 219a StGB macht es Frauen schwer mehr Informationen von Ärzten über die Umstände der Schwangerschaftsabbrüche zu finden. Dieser Paragraf verbietet es Ärzten, für Abtreibungen zu werben, jedoch reicht bereits ein zu ausführlicher Vermerk zu der Leistung auf einer Website für eine Anklage. Ein populäres Beispiel dafür ist der Fall der Fachärztin für Allgemeinmedizin Kristina Hänel.
Ich habe es nie bereut
Claudia hat auch eine solche Liste bekommen und entschied sich, aus praktischen Gründen, für die nähst gelegene Klinik. Damals, 1986, verbrachten die Frauen im Anschluss an den Abbruch mehrere Tage zur Beobachtung im Krankenhaus, heute wird der Eingriff oft ambulant durchgeführt, vorausgesetzt, es treten keine Komplikationen auf. „Natürlich hatte ich etwas Angst und mir war zu Anfang schon übel. Ich wurde über die Risiken aufgeklärt, aber vom Eingriff selbst habe ich nichts mitbekommen. Die fünf Tage danach in der Klinik waren lästig, da es mir gut ging und ich keine Komplikationen hatte.“ Claudia sei zwar schon etwas traurig gewesen, aber vor allem froh darüber, dass es endlich vorbei war. „Ich würde mich als pragmatischen und robusten Menschen bezeichnen und versuche negative Sachen, die mit mir zu tun haben, nicht zu schlimm zu nehmen.“ Für sie sei es ohnehin noch kein Leben gewesen, sondern viel mehr ein paar Zellen, die sich eines Tages zu einem Leben entwickelt hätten.
„Ich habe es nie bereut“, sagt die heute 54-Jährige, deren damaliger Freund immer noch an ihrer Seite ist, mittlerweile als ihr Ehemann und Vater einer gemeinsamen Tochter. Auch geschämt habe Claudia sich für ihre Entscheidung nie und findet auch nicht, dass es ein Tabu- Thema sein sollte. „Sicherlich ist es kein schönes Thema, aber ich denke, eine Frau kann selbst über ihren Körper bestimmen und was mit ihm passiert.“
*Name geändert