Es ist das Normalste der Welt und passiert bei Geburten recht häufig: Die Frauen müssen beim Pressen kacken. Oder auch pinkeln. Blut gibt es sowieso. Oder man schwimmt eben im eigenen Fruchtwasser. Warum wir uns für Kot im Kreißsaal nicht schämen müssen und warum Körperflüssigkeiten mehr Applaus verdienen.
Filme sind so herrlich unrealistisch. Der Actionheld, der über Häuserschluchten springt. Der Hobbit, der mit einem Drachen spricht. Und Geburten, bei denen weder gekackt noch geblutet wird. Wenn ich mir Filmgeburten anschaue, dann ist Bilbo Beutlin näher an der Wirklichkeit dran.
Wir alle kennen die typische TV-Geburt: Ein dramatischer Blasensprung, eine Autofahrt unter Zeitdruck in die Klinik, eine schreiende Schwangere, das viel zu lange OP-Hemd, die Rückenlage der Frau und das blitzblanke Baby, das nach gefühlt einer Presswehe das Licht der Welt erblickt. Wo pinkelt sich die Frau ein? Wo wird noch die Plazenta rausgedrückt? Wo kniet die Frau nackt auf allen Vieren auf dem Boden und verliert Stuhl? Wo ist das blutige Baby voller Käseschmiere? Hollywood – du hast das Bild einer Geburt so dermaßen verzerrt. Shame on you. Dabei gehören Körperflüssigkeiten einfach dazu, wenn ein kleiner Körper aus einem großen Körper schlüpft.
Wassermelone oder Hollandrad?
Auch ich habe unter den Wehen gekackt. Ich war erst in der Geburtswanne, doch als die Herztöne schlechter wurden, veratmete ich den Schmerz auf allen Vieren nackig auf dem Boden. Ich hatte auch ein paar Presswehen, bevor entschieden wurde, dass ein Notkaiserschnitt her muss. Man muss ja auch einfach klipp und klar sagen: Ein Kind zu gebären, fühlt sich an wie Kacken.
Manche Frauen berichten, dass sie sich gefühlt hätten, als müssten sie eine Wassermelone scheißen. Na, die ist zumindest rund! Ich hatte das Gefühl, etwas rauszupressen, dass null Komma null durch meine Vagina passen kann. Dass die Form überhaupt nicht stimmen kann. Ich hatte das Gefühl, ein Hollandrad zu kacken. Dass beim fleißigen Pressen auch Stuhl rausplumpste, habe ich natürlich nicht gemerkt. Ich war in ganz anderen Sphären unterwegs. Auch mein Freund hat nichts mitbekommen. Ich habe es bei der Nachbesprechung der Geburt erfahren, weil ich aus Interesse explizit danach gefragt habe. Und hätte ich noch in der Geburtswanne (in der auch mein Fruchtwasser schwamm, Schwamm drüber!) gekackt, hätte die Hebamme sie halt wie beim Entchen-Angeln rausgefischt. Gar kein Problem.
Einfach nur Kacke
Kacken bei der Geburt ist nämlich kein Malheur, sondern eine Notwendigkeit. Der Enddarm ist nunmal der direkte Nachbar zum Geburtskanal. Das Baby braucht auf seiner Reise nach unten Platz, jeder Millimeter zählt. Alles, was Druck auf den Körper ausübt, wird ausgeschieden. Oft kündigt weicher Stuhl oder Durchfall am Morgen sogar die Geburt an. Der Körper weiß, was zu tun ist. Und wirft Ballast ab. Früher waren Einläufe vor Geburten sogar an der Tagesordnung. Heutzutage wird dies meist nur noch gemacht, wenn die Frau es sich explizit wünscht. Ansonsten regelt das die Natur oft von selbst. Für Hebammen ist Kacke nichts Schlimmes, sondern Arbeitsalltag. Häufig liegen Einwegtücher auf dem Boden, der Stuhl wird darin ganz unauffällig und diskret entsorgt.
Ich meine: Hey. Es ist Kacke. Einfach nur Kacke. Scheiße. Stuhl. Kot. Jeder von uns hat es. Jeder von uns macht es. Auch Angela Merkel sitzt auf ihrer Schüssel, presst mit verzerrtem Gesicht und wird erleichtert aufatmen, wenn der braune Bob die Keramikbahn hinuntergleitet. Kate Middleton wird in ihren edlen Kleidern über der Schüssel hängen und ihre Restkacke mit der Klobürste wegschrubben. Am Ende des Tages wischt sich jeder von uns den Arsch ab und schaut nochmal das Papier an, ob noch braune Streifen drauf sind. Ich bin der Meinung, dass wenige Dinge die Menschheit so verbinden wie Kacke.
Mi Kacke es su Kacke
Ja, ich verstehe, jeder hat ein anderes Schamgefühl. Nicht jedes Paar redet offen über Toilettengänge. Aber es gibt, denke ich, einen Unterschied zwischen Freiwilligkeit und Notwendigkeit. Mein Freund zum Beispiel hatte gerade einen Hexenschuss, kann sich kaum bewegen und schon gar nicht bücken. Natürlich möchte ich mich im Alltag nicht mit seiner Scheiße beschäftigen (Steuererklärung inklusive). Doch nun gibt es eine Notwendigkeit. Natürlich benutze ich jetzt die Klobürste, um seine Reste zu eliminieren. Es ist eine Ausnahmesituation. Genau wie eine Geburt. Ich würde mir Männer wünschen, die ihren Frauen die Angst vorm Kacken beim Pressen nehmen. „Hey, Süße, alles wird gut. Das ist Natur. Ich bin bei dir. Der Rest ist egal.“
Natürlich gibt es Romantischeres als Körperflüssigkeiten bei einer Geburt. Aber Geburten sind roh, wild, wunderbar. Unplanbar. Eine Meisterleistung des Körpers und für mich der Moment, in dem einem klar wird, dass wir alle verdammte Säugetiere sind. Wilde Säugetiere. Ich weiß noch, wie ich auf der Wochenstation liege, meinen Sohn – wenige Stunden alt – auf der Brust. Mein Freund im externen Bett neben mir. Eigentlich liegt oft eine Packung Cookies-Eis zwischen uns. Nun ist es der Beutel mit meinem Urin, frisch aus dem Blasenkatheter. Eigentlich leckt mein Freund zart meine Nippel. Nun quetscht eine fremde Frau im Hebammenhemd gelbliches, dickflüssiges Kolostrum aus meiner Brust. Eigentlich wird meinem Freund schlecht, wenn er Blut sieht. Nun wischt er die rote Pfütze vom Badezimmerboden, weil ich meine XXL-Binden samt Wochenfluss beim Versuch, das Klo zu benutzen, verloren habe und mich wegen der Kaiserschnittnarbe nicht selbst bücken kann. Es ist alles schrecklich unästhetisch. Und gleichzeitig wunderschön. Es ist Liebe.
Immer diese Scham
Für viele Frauen ist es dennoch ein Alptraum. Statt Darm mit Charme heißt es dann oft: Darm mit Scham. Das Phänomen, nicht kacken zu können, weil die Umgebung gerade nicht einladend ist, hat sogar einen Fachbegriff. Parcopresis. Kein Wunder, dass Menschen, die sich zu unwohl fühlen, um beim ersten Date auf der fremden Toilette zu scheißen, sich auch nicht mit dem Gedanken anfreunden können, dass ihr Partner ihre Exkremente bei der Geburt sehen könnte. Die Frau gilt oft immer noch als „reinlich“. Sie pupst Channel Nummer Fünf – und Regel Nummer eins: Sie muss nie Nummer zwei. By the way: Wenn es um weiblichen Stuhlgang oder Periodenblut geht, verzerrt die Männerwelt gerne mal den Mund, aber das Ejakulat soll gerne geschluckt werden, als sei es heiße Milch mit Honig. Ist richtig.
Körperflüssigkeiten en masse!
Ich habe vor der Geburt meines Sohnes übrigens viel über die Austreibungsphase gelesen, manisch Hausgeburten bei YouTube geschaut und mit Freundinnen geredet, die bereits Mütter sind. Und doch war mir nie richtig klar, wie krass Geburt und Wochenbett von Körperflüssigkeiten geprägt sind. Blut, Fruchtwasser, Urin, Käseschmiere, Milch, Wundwasser, Schleim, Gewebereste der Plazenta, Schweiß, meine Scheiße, Babyscheiße, meine Kotze, Babykotze. Halleluja. Statt It’s-a-boy!-Glückwunschkarten hätte ich gebraucht: It‘s a mess.
Zum Thema Geburt und Körperflüssigkeiten muss ich außerdem an meine Freundin Kathi denken. Ihr Sohn kam drei Wochen nach meinem auf die Welt, sehnsüchtig warteten wir auf ein erstes Foto in der WhatsApp-Gruppe. Doch Stille. Kein Foto, nur ein Text. Sie habe nur ein Foto des Babys mit Blut in den Haaren und mit Käseschmiere auf der Haut, dass sie nicht schicken wolle. Wir sollten uns ein paar Tage gedulden, bis er komplett sauber sei. Einerseits wollte ich ihre Entscheidung respektieren. Andererseits fand ich es schade, dass so etwas Fantastisches wie Käseschmiere, diese wunderbare Substanz, die ihr Baby im Mutterleib vor dem Austrocknen schützt, bei der Geburt als Gleitmittel hilft und nach der Geburt das Auskühlen verhindert, keine Bühne findet, sondern hinter dem Vorhang versteckt wird.
Ja, von der Käseschmiere zu den Geweberesten der Plazenta: Es ist das Normalste der Welt. Kacke, Blut und Fruchtwasser. Sie sind eben das Schwarz-Rot-Gold einer Geburt. Das „SCHLAND“ im Kreißsaal. Wobei es einen Unterschied gibt: Für eine Deutschlandflagge darf man sich im Zweifel schämen – für Ausscheidungen bei einer Geburt nicht. Im Gegensatz zu einer Nationalmannschaft ist hier nämlich purer Stolz angebracht: Danke, lieber Körper. Heilige Scheiße, was du vollbringen kannst.