geschrieben von Patricia Astor

Unser Sohn kam mit einer ganz besonderen Mütze an einem besonderen Ort auf die Welt. 

Linus ist mit der sogenannten „Glückshaube“ in meine Arme geflutscht. Denn die Fruchtblase ist erst geplatzt, als er sich mit seinem Köpfchen nach draußen geschraubt hatte. Der Moment, in dem ich in einer Pfütze stehe, meinen Mann freudig anschreie: „Es geht looos“ und er hektisch die Krankenhaustasche schnappt, blieb mir also „verwehrt“. Mal abgesehen davon, dass es wohl nie so spektakulär aussieht, wie es uns in Filmen und Serien immer suggeriert wird. Und mal abgesehen davon, dass Ingo und ich nicht vorhatten, ins Krankenhaus zu fahren.  

Der Traum: Hausgeburt

Nein, nicht die aktuelle Pandemie-Lage war ausschlaggebend, dass Linus in unserem Wohnzimmer das Licht der Welt erblickte. Seit meine Tante vor mehr als 20 Jahren ihre zwei Kinder zu Hause in ihrem Schlafzimmer in schummrigem Licht gebar und ich diese Vorstellung als Kind schon irgendwie ganz wundervoll fand, habe ich unterbewusst immer ein bisschen mit einer Hausgeburt geliebäugelt – laut ausgesprochen habe ich es aber nie. Und doch hat es Paulina, die uns bei unserem „Hebammen-Gespräch“ gegenübersaß, wohl gespürt.  

„Könntet ihr euch eine Hausgeburt vorstellen?“ Zugegeben, ich erntete einen eher überraschten Blick von meinem Mann, als ich relativ schnell „ja“ sagte. Aber mir war in diesem Moment total klar, dass genau das unser Weg sein würde. Ich hatte den perfekten Partner an meiner Seite und ein Kind in meinem Bauch, das sich prächtig entwickelte. Eine komplikationslose Schwangerschaft, und das, obwohl ich mit meinen 36 Jahren eine Risikoschwangere war. 

Paulina drückte uns drei Empfehlungen für eine Hausgeburtshebamme in die Hand und sollte mit einer die Chemie stimmen, waren Ingo und ich uns einig, dann war klar, dass unser Sohn zu Hause auf die Welt kommen würde. Und was soll ich sagen, es hat gepasst und Ingo ist bis heute froh und dankbar, dass wir uns dafür entschieden haben. „Das war eine super Idee von dir“, sagt er noch heute immer wieder. 

Mutterschutz im Lockdown

Die Schwangerschaft im ersten Jahr der Pandemie war natürlich nicht ganz so romantisch, wie ich mir das vielleicht vorgestellt hatte. Vor allem den Mutterschutz habe ich nahezu komplett im Lockdown verbracht. Also keine Frühstücks-Dates mit Freunden, kein Babymoon mit meinem Mann, kein gemeinsames Shoppen der Erstausstattung. Dazu kam, dass wir meine Schwiegermutter zu uns geholt hatten. Wir lebten also in einer, wenn auch temporären, Mehrgenerationen-WG. Es war klar, dass sie bei der Geburt dabei sein würde. 

Für viele klingt das vielleicht eher befremdlich. Aber meine Schwiegermutter und ich haben ein sehr gutes Verhältnis, und dass sie dabei war, während ich geräuschvoll die Wehen veratmet habe, nackt durch das Haus geturnt bin, um meinem Kind dabei zu helfen, den Weg in unsere Welt zu finden und quasi neben mir saß, als Linus das erste Mal gierig an meiner Brust gesaugt hat, war für mich überhaupt kein Problem. Im Gegenteil, es freute mich im Nachhinein, dass ich sie, der die Pandemie so auf die Psyche geschlagen hat, so leicht so glücklich machen konnte.  

Pünktlich geht es los

Exakt am errechneten Geburtstermin um 6:30 Uhr trieb mich die erste Wehe aus dem Bett. Ich dachte erst, es sei ein unbedeutender Krampf – welches Kind kommt schon exakt am Termin auf die Welt? Ich ging ins Wohnzimmer, um meinen Mann nicht zu wecken. Als er eine Stunde später aufwachte und ich inzwischen das dritte Mal diesen „Krampf“ verspürte, sagte ich zu ihm: „Ich glaube, ich habe Wehen.“ Tja, und dann hieß es Schnellsein. Eigentlich wollten wir noch ganz entspannt die Hühnersuppe vorkochen – stattdessen stand Ingo schweißgebadet in der Küche, schnippelte das Gemüse, während ich inzwischen alle zehn Minuten brüllte: „Es geht wieder los!” Zwischendurch rief ich meine Mutter und meine Stiefmutter an und Mittag gegessen wurde auch noch.  

Aber ich schrie mehr, als dass ich aß. Die Intervalle wurden immer kürzer und lagen zwischen drei und sieben Minuten, ich lief ständig auf die Toilette, um ja die Blase regelmäßig zu entleeren, wie ich es im Vorbereitungskurs gelernt hatte. Aber Schleimpfropf oder Fruchtwasser? Konnte ich nicht erkennen. Ingo hat irgendwann unserer Hebamme Patricia geschrieben, dass ich Wehen habe, wir aber nicht denken, dass sie schon kommen muss. Schließlich war ich zwischen den Wehen noch richtig gut aufgelegt. Um 16:40 Uhr kam sie dann aber doch – und lese ich mir den Geburtsbericht heute durch, war es allerhöchste Zeit. Die Wehen waren im zwei-bis-drei-Minuten-Abstand und der Muttermund war bereits neun Zentimeter offen. Und doch sollte es noch drei Stunden dauern.  

Teamwork makes the dream work

Die Hebamme und mein Mann waren ein super Team. Ich hatte mich nicht getäuscht. Mein Mann war der perfekte Partner für eine Hausgeburt – sowohl für mich als auch für die Hebamme. Sie waren immer da, wenn ich nach einer Wehe wieder die Augen öffnete, hielten mich, begleiteten mich in die verschiedensten Positionen und strahlten beide eine unglaubliche Ruhe aus. Linus hatte sich wohl ein bisschen an meinem Schambein verkantet, also schüttelten wir ihn zurück und nahmen noch einen Anlauf. Mein Mann sah, wie der Kopf in der Fruchtblase kurz davor war, sich den Weg nach draußen zu bahnen. Ich konnte in seinem Blick erkennen, welch unglaublicher Anblick es sein musste. Unser Sohn zum Greifen nahe. Ich beneidete ihn um die Perspektive (und nicht nur darum…). 

Um 19:53 Uhr war es dann so weit. Um es mit den Worten meines Mannes zu sagen, es machte „platsch“ und der Kopf war da. Eine Drehung später hielt ich unseren Sohn in den Armen, zog ihn zu mir rauf und drückte ihn sanft an mich. Er hustete und schnappte nach Luft, warf den Kopf hin und her, robbte zielstrebig auf meine linke Brust zu und trank gierig. Das alles am Fuße unseres Sofas mitten im Wohnzimmer, hinter mir mein Mann, neben mir meine Schwiegermutter, vor mir kniend die Hebamme. Ich war überglücklich. 

Andächtig durchtrennte Ingo die Nabelschnur, nachdem sie auspulsiert war, dann hievte ich mich auf das Sofa. Zwar war die tiefe Hocke nicht die beste Position für meinen Damm – er war gerissen und musste genäht werden – aber dafür für meinen Sohn. Der mit einer ganz besonderen Mütze in unser Leben flutschte und uns seitdem mehr als glücklich macht.