geschrieben von Josefa

Die, die ihren Namen tanzen, nur Dinkel-Grünkern-Bratlinge essen und keine Noten haben, das sind diese Waldorfschüler*innen. Die etwas Anderen, die ihre Schulzeit mit selbstgestrickter Kleidung und Lederranzen starten.

Ich bin dine von „den etwas Anderen“, eine waschechte Waldorftante … war sogar schon im Waldorfkindergarten und JA, ich würde es sofort wieder so machen: Nicht, dass ich es mir hätte selbst aussuchen können. Aber ich bin heute glücklich über diesen Weg. 

Klichee erfüllt?

Bei mir startete der erste Schultag tatsächlich mit einem bunten Lederranzen. Allerdings ohne Selbstgestricktes, sondern mit schwarzen (mir, mit meinem schon immer dagewesenen Dickkopf, erkämpften) Lackschuhen.

Nun aber zu den interessanten Dingen: Wie ist es? Kann ich meinen Namen tanzen? Gehe ich nur in den Bioladen? Habe ich einen anerkannten Schulabschluss? Soviel zum Tanzen: Das Fach Eurythmie, es gibt es wirklich. Nicht so, wie viele denken, den ganzen Tag, sondern zweimal die Woche 45 Minuten. In dieser Zeit geht es darum, Stimmungen, Töne und Wörter in Bewegungen umzusetzen. Alleine und synchron.

Wenn man sich umhört, meinen viele zu wissen, wie es hinter der Waldorfschulfassade aussieht. Ist doch auch logisch. Waldorfschulen sind Privatschulen, auf der nur Reiche und Ökokinder sind. Die esoterische und Laissez-faire Art und Weise, in der die Kinder unterrichtet werden – das kann ja am Ende zu nichts Gescheitem führen. Es gibt keine Hausaufgaben. Keine Noten. Passiert bei den Waldis eigentlich überhaupt etwas außer Tanzen, Kuscheln und Stricken?                                 Ich kann euch sagen: Ja!

„Das geistige Wesen in den Bereichen der Natur und des Kosmos“ 

Es mag in manchen Augen vielleicht hier und da etwas sonderbar sein, aber am Ende haben die Schülerinnen und Schüler auch alle den exakt selben Schulabschluss, wie alle anderen auch. 

Rudolf Steiner, Begründer der Waldorfschule (1919), erforschte die übersinnliche Welt, „Das geistige Wesen in den Bereichen der Natur und des Kosmos“. Daher kommt die Vermischung des staatlichen Lehrplans mit dem der Waldorfschule. Es geht dabei darum, den Blick auf die individuelle Entwicklung des Kindes nicht zu verlieren. Was manchen also als sonderbar erscheint, ist sehr gut durchdacht. 

Die bunten Wände haben Gründe. Bei den Jüngeren sind es warme Rosatöne zum Wohlfühlen, dagegen, sagt man, für die älteren Kinder beruhigen kühlere Töne wie beispielsweise Grün. Nicht anders sieht es beim Unterricht aus. Der Spruch am Morgen (auch Morgenspruch genannt), welcher in jeder Schule und Klasse derselbe ist, dient dazu, dass die Kinder ankommen und sich unter anderem sammeln für das, was jetzt beginnt. 

Danach startet der Epochenunterricht. Epoche, weil immer morgens zwei intensive Stunden eines bestimmten Faches stattfinden. Beispielsweise sechs Wochen lang die Mathematik und daran angeknüpft sechs Wochen Geschichte. Schulbücher gibt es keine. Dafür Fremdsprachenunterricht ab der ersten Klasse. Die Texte werden von der Tafel abgeschrieben oder als Diktat, in sogenannte Epochenhefte, geschrieben. Der Fremdsprachenunterricht findet spielerisch statt. 

Einfach praktisch

Nicht alle Vorurteile lassen sich aus dem Weg räumen, die des Kuli- und Tintenkillerverbots gibt es tatsächlich bis in die Oberstufe (alles kommt immer auch auf den Lehrer an).

Meine Nicht-Waldorf-Freunde waren immer wieder neidisch auf die Erfahrungen im Praktischen. Von Schreinern, Malen, Plastizieren, Nähen über Schmieden, den Bau eines Hüttchens, das Arbeiten im Garten, Theaterspielen, bis hin zu einem Betriebs-, Handwerks- und Sozialpraktikum ist alles dabei und ich könnte die Liste noch weiterführen. Um genau zu sein, hatte ich mit Beenden der Schule schon in zahlreiche optionale Berufe reingeschaut. 

“Öko-Sein”

Aber was ist nun mit den „Ökobonzen“? Gibt es auch Familien mit geringem Einkommen? Und außer Birkenstock und Barfuß auch Kleidung von H&M oder, die von mir immer nett genannten, Mondschuhe. Zack, da fange auch ich an, zu betiteln, UGGs meine ich. Die super gemütlichen Fell-(Haus)Schuhe, ja … auch ich selber war einmal stolze Besitzerin eines Models. Im Grunde genommen gibt es auf der Waldorfschule von allem etwas. 

Ist „Öko-Sein“ denn etwas Negatives? Oder achtet da jemand einfach darauf, was er konsumiert und wo es herkommt? Auch ich habe früher zu manchen Leuten „Ökos“ gesagt und mache es vielleicht heute noch. Gehe selber aber am liebsten in den Bio-Supermarkt und auf den Wochenmarkt. Um ehrlich zu sein, die Klischeewaldis … die gibt es, ja. Es werden weniger, aber irgendwoher muss so ein Vorurteil ja kommen und die Waldorfschule ist immerhin über 100 Jahre alt. 

Und der Kostenaspekt? Die Waldorfschule ist eine Privatschule, ja, sie kostet etwas. Es wird aber auch Familien eine Chance gegeben, die nicht so gut aufgestellt sind. Diese bezahlen ihrem Einkommen angeglichen. 

Freunde fürs Leben

Das sehr harmonische Bild von Gemeinschaft kommt wohl daher, dass die Schülerinnen und Schüler 13 Jahre lang gemeinsam in einer Klasse sind. Das sind 13 Jahre mit den (hin und wieder 40) selben Menschen. Der eine oder andere mag jetzt vielleicht denken, dass dort Freundschaften fürs Leben wachsen können oder gemeinsam durch dick und dünn gegangen wird. Ich würde sagen ja, zu 95 % ist dies der Fall. Die anderen 5 % haben das Pech, auch mal einen Wechsel an Charakteren oder Erlebtem zu haben. 

Ich bin eine der mickrigen 5%, bei denen es nicht immer rund lief. Wir waren in der Pubertät und wie wahrscheinlich in den meisten Klassen gab es die sogenannten Streber, Klassenclowns, Ruhigen, Lauten und eben auch Cliquen.

Mein Glück war es, in einer sehr beliebten Mädchenclique zu sein. Eines Tages fiel ein Satz, den ich noch lange danach zu bereuen wusste. Ich werde es nie vergessen, ein Satz wie: „Jetzt hat sie aber, für meinen Geschmack, zu kurze Haare“, kann einem mal eben das Leben zur Hölle machen. Die gestern noch dagewesenen Mädels waren jetzt ohne mich unterwegs und es fühlte sich so an, als wären sie nur damit beschäftigt, alles daran zu setzen mich so alleine wie möglich dastehen zu lassen. Wenn man an Mobbing denkt, hat man meist Geschubse, Sachen klauen, Bloßstellen im Kopf. Gemieden und ignoriert zu werden ist mindestens genauso schlimm. Sätze wie: „Da kommt das Walross“, „Puh, hier stinkst. Kommt lass uns gehen!“ fördern das eigene Selbstwertgefühl als auch Selbstbild nicht.

Eine prägende Zeit

Eines Mittags klingelte das Telefon, meine vermeintlich letzte Freundin war an der anderen Seite der Leitung und bat mich darum, dass wir doch nur noch mittags Kontakt hätten. In der Schule wollte sie, aus Angst, in dieselbe missliche Lage zu geraten, dass wir uns ignorieren. Das war der Moment als mich, das 14-jährige Mädchen, die Lebenslust verließ. Ich ging nicht mehr zur Schule und blieb Zuhause. 

Nach langem hin und her, fanden wir einen Platz an einer anderen Waldorfschule. Diese beendete ich mit einem sehr guten Realschulabschluss, ohne schwarze Lackschuhe, sondern in pechschwarzen Vans. Statt meinem Lederranzen hatte ich Schnürsenkel aus Leder.

Heute stehe ich, mit meinem festen Freundeskreis, meinem liebevollen Mann und meinem kleinen Sohn, glücklich mitten im Leben. Ich bin angehende Erzieherin und habe mit meiner Nähmaschine ein Kleingewerbe. Dies alles und die Menschen um mich herum weiß ich sehr zu schätzen. Die Schulzeit ist wohl für alle eine sehr prägende Zeit – egal ob Waldorfschule oder nicht. Manche gehen danach gestärkt ins Leben, andere müssen ihr Selbstbewusstsein auf anderen Wegen finden.