geschrieben von Bettina Kurr-Sauer

1979 war ich 10 Jahre alt und hatte von der Grundschule eine – damals noch bindende – Gymnasialempfehlung erhalten. Da meine Mutter nicht Auto fuhr und mein Vater als Berufsschullehrer morgens sehr früh ca. 15 km in den Nachbarort fuhr und meistens erst am Nachmittag heimkam, kam für mich nur eins der beiden fußläufig erreichbaren Gymnasien in Frage. Ein städtisches koedukatives und privates Mädchen-Gymnasium unter Leitung einer katholischen Kloster-Congregation. 

10 Mädchen aus meiner Grundschulklasse und ihre Eltern hatten sich für die private Schule entschieden. Die Schule hat in meiner Heimatstadt in NRW eine lange Tradition und einen sehr guten Ruf. Sie wäre nicht die erste Wahl meiner Eltern für mich gewesen, aber da all meine Freundinnen dorthin gingen und ich es deshalb auch unbedingt wollte, stimmten meine Eltern zu. 

Einfache Entscheidung

Ein ähnliches Bild ergab sich Jahre später (2009), als meine eigene älteste Tochter aufs Gymnasium wechseln sollte: Auch aus ihrer Klasse gingen einige Mädchen dorthin. Zusätzlich konnte ich auf meine eigenen guten Erfahrungen zurückgreifen. Somit war die Entscheidung für die Mädchenschule diesmal einfach. Tochter Nummer 2 folgte 2012.

Die Bezeichnung „privat“ täuscht, denn es handelte und handelt sich hierbei um eine sogenannte Regel-Ersatzschule. Alle Abschlüsse sind genauso anerkannt wie die der städtischen Schulen, lediglich die Finanzierung unterscheidet sich. Regel-Ersatzschulen erhalten Finanzierungszuschüsse vom Land NRW, müssen den darüberhinausgehenden notwendigen Finanzierungsanteil jedoch selber aufbringen. In der Regel sind die Träger dazu selber in der Lage, Schulgelder werden nicht erhoben. Lediglich kleinere Beträge als Zuschüsse zu Büchern oder Materialien fallen an. Diese unterscheiden sich aber nicht erheblich von Elternanteilen an städtischen Schulen.

Das Modell „reine Mädchen-/Jungen-Schule“, also der pädagogische Ansatz der Monoedukation, ist zugegeben ein Auslaufmodell in Deutschland. Dies liegt allerdings nicht an der Skepsis vieler Eltern bezüglich der Sinnhaftigkeit von Monoedukation, sondern grade bei den ca. 160 in Deutschland auch heute noch existierenden Schulen dieses Modells vor allem an den sinkenden Schüler:innenzahlen. 

Der gute Ruf

In Zeiten, in denen vor allem auch weiterführende Schule um jedes Kind geradezu kämpfen, macht es die Sache nicht leichter, wenn dann auch noch die Hälfte der Klientel geschlechtsbedingt wegfällt. Ein- oder zweizügig sind weiterführende Schulen auch als Regelschule irgendwann einfach nicht mehr finanzierbar. Vor allem deshalb ist in Deutschland die Anzahl der monoedukativen Schulen in den letzten Jahren weiter zurückgegangen, was aus meiner Sicht extrem bedauerlich ist. Die Schulen haben in der Regel hervorragende pädagogische Konzepte und – wie gesagt – meistens auch einen guten Ruf in ihrem Einzugsgebiet.

Monoedukativen Schulen wird oft eine große Skepsis, wenn nicht gar Ablehnung, entgegengebracht. Sie seien lebensfern, die Kinder und Jugendlichen würden in einer Filterblase aufwachsen, in der sie sich nicht an den Kontakt mit dem anderen Geschlecht gewöhnten und dadurch im Kontakt mit diesem unsicher und im späteren Berufsleben erfolglos seien. 

Tatsächlich zeigen Studien ein anderes Bild. Unbestritten ist es, dass Mädchen und Jungen unterschiedliche Lernansätze bei der Erlangung von Wissen haben. Gerade in Naturwissenschaften wird dies besonders deutlich und in der Praxis zeigen sich bessere Lernerfolge bei getrenntgeschlechtlichem Lernen. Mädchen, die eine Mädchenschule besucht haben, erlernen nach dem Schulabschluss zu einem höheren Prozentsatz naturwissenschaftliche Berufe und sind erfolgreicher in diesen als Mädchen von koedukativen Schulen. 

Was ist eigentlich mit den Jungs?

Auch Jungen profitieren – sowohl bei den MINT-Fächern, als auch im sprachlich-gesellschaftswissenschaftlichen Bereich – von Monoedukation. Man kann auf ihre Lernmethode, die oft eher durch Spontaneität, Herausforderung und Ergebnisorientiertheit geprägt ist, besser eingehen, wenn die Lerngruppe homogener ist. Das gleiche gilt für Mädchen, die meist emotionaler sind, sich aber auch eher verunsichern lassen. Sie lernen oft leichter, schreiben bessere Noten, zweifeln aber auch eher an sich selbst. In gemischten Gruppen melden sie sich oft weniger, aus Sorge vor dem Urteil der Jungen. 

Entgegen der landläufigen Meinung, Mädchen sollten „sich mal nicht so anstellen“ oder „lernen, sich gegen die Jungen durchzusetzen“, geschieht das Geforderte tatsächlich eher, wenn Mädchen zunächst in monoedukativen Lerngruppen erfolgreich sein konnten. Auch hier zeigt die Erfahrung, dass Mädchen, die auf einer reinen Mädchenschule waren, sich im späteren Leben hervorragend und vor allem zu einem größeren Anteil gegen ihre männliche Konkurrenz durchsetzen können als Mädchen von koedukativen Schulen. Aus letzterer Gruppe setzen sich vor allem im naturwissenschaftlichen Bereich meistens nur die Mädchen durch, die von sich aus schon früh sowieso eine Affinität zu Naturwissenschaften hatten und sich durch eine natürliche Begabung hier auch bereits in gemischten Schulen auf gleicher Ebene mit den Jungen behaupten konnten. 

Mädchen, die eher einen „Schubs“ brauchen, um die Naturwissenschaften für sich zu entdecken, gehen in gemischten Schulen in der Regel eher unter, da sie von Anfang an von den Jungen dominiert werden. Bedauerlicherweise ist selbst in der heutigen Zeit hier auch noch Handlungsbedarf bei den Lehrer:innen zu erkennen. Sie trauen Jungen i.d.R. in den MINT-Fächern eine höhere Kompetenz zu. Sie begünstigen dadurch unbewusst die Spontaneität und vorpreschende Haltung der Jungen in diesen Fächern und machen es den Mädchen noch schwerer, sich hier durchzusetzen. Auch dies ist durch Studien belegt.

“Jedem Kind seine Schule”

Sowohl ich selbst als auch meine zwei Töchter haben also eine Mädchenschule besucht. Meine älteste Tochter hat dort Abitur gemacht, meine Mittlere hat die Schule nach dem 1. Halbjahr der 6. Klasse verlassen und an einem koedukativen Gymnasium Abitur gemacht. Während ich selbst und meine Große an der Mädchenschule ausgesprochen positive Erfahrungen gemacht haben, war die Schule für meine Mittlere leider nicht geeignet. Ich gebe zu, obwohl ich nach wie vor eine Verfechterin der Monoedukation bin, dass es passieren kann, dass es grade in Mädchenschulen, je nach Klassenzusammensetzung und Konstitution des Kindes, zu ungünstigen Konstellationen kommen kann, die dann auch dazu führen, dass die Mädchen die Schule verlassen und auf einer gemischten Schule besser aufgehoben sind. 

„Jedem Kind seine Schule“ ist heute mein Leitsatz zu diesem Thema. Nichtsdestotrotz sind die Abgangszahlen niedrig und diese Fälle kommen vereinzelt vor, aber nicht gehäuft. Sie kommen vor, so, wie an gemischten Schulen auch. Manchmal passt es eben nicht. Da mein jüngstes Kind ein Sohn ist, hatten wir bei ihm diese Entscheidung nicht noch einmal zu treffen. Eine Jungenschule ist in unserem Kreis bedauerlicherweise nicht (mehr) vorhanden.

Wenn man Monoedukation verstehen will und ihre Vorteile sehen möchte, dann muss man grundsätzlich zugestehen, dass Jungen und Mädchen unterschiedlich sind. Sie sind es zum Teil von Geburt an, es ist genetisch vorgegeben. Sie bekommen es aber – bedauerlicherweise – auch immer noch zum Teil anerzogen. Beide Faktoren ergänzen sich und ergeben ein Gesamtbild, das Mädchen und Jungen ausmacht. Entscheidend ist hierbei das sogenannte „geschlechtsbezogene Selbstwissen“. Mädchen und Jungen belegen sich selbst mit unterschiedlichen Eigenschaften, je nachdem, ob sie sich in einer mono- oder einer koedukativen Gruppe befinden. 

Zu bemerken ist hier, dass gerade die Mädchen sich selber eher mit Eigenschaften wie „selbstbewusst“, „intelligent“ oder „analytisch“ belegen, wenn sie sich in monoedukativen Gruppen befinden. Dieses Selbstwissen führte in Studien belegbar zu besseren Lernerfolgen in z.B. naturwissenschaftlichen Fächern. Ursula Kessels von der FU Berlin empfiehlt in ihrer Studie „Undoing Gender“ aus dem Jahr 2002 das Gleiche für Jungen in Bezug auf Fächer wie Deutsch, Sprachen oder Gesellschaftswissenschaften.

“Unsere Mädchen”

Sowohl ich selber als auch meine ältere Tochter (inzwischen 22) können das Vorurteil des „ewigen Zickenkrieges“ nicht bestätigen. Im Gegenteil herrscht an der Mädchenschule, die wir beide besucht haben, bis heute eine angenehme, kameradschaftliche, inkludierende und stufenübergreifend freundliche Kultur. Auch zwischen Schülerinnen und Lehrerschaft bis hin zum Schuldirektor herrscht ein angenehmes Klima der Kommunikation und des Miteinanders. In der Außendarstellung wird dies deutlich, wenn z.B. auf sozialen Netzwerken von „unseren Mädchen“ gesprochen wird. Die Mädchen werden sowohl im Innen- wie auch im Außenverhältnis unterstützt und wertgeschätzt. Eine besondere Rolle spielt die persönliche Entwicklung jeder einzelnen Schülerin. 

Da meine mittlere Tochter beide Schulformen besucht hat, bin ich auch in der Lage, sowohl beide Schulformen als auch zwei verschiedene Gymnasien an sich zu vergleichen. Zwischen den beiden Schulen liegen Welten – sowohl im Miteinander als auch in der Qualität der Lehre. Selbstverständlich könnte dies auch beim Vergleich zweier Mädchenschulen der Fall sein, wie auch beim Vergleich zweier koedukativer Gymnasien. Die Besonderheit an der Mädchenschule liegt jedoch im natürlichen Miteinander der Mädchen. Mädchen unter sich gehen anders miteinander um. Natürlich streiten sie auch. Auch das Anzicken und Grüppchen-Bilden ist ihnen eher eigen als den Jungen. Aber mit sozialen Problemen umzugehen, liegt ihnen. Sie sind offener für Emotionalität und können sich besser in andere hineinversetzen.

Typisch Junge, typisch Mädchen?

Wer nun danach ruft, Mädchen und Jungen gefälligst weniger mit „typisch weiblichen“ und „typisch männlichen“ Adjektiven zu belegen und ihnen die Freiheit zu geben, sich ganz individuell zu entwickeln, dem kann ich nur zustimmen und darauf aufmerksam machen, dass gerade dann die Monoedukation im Teenageralter, in einer Zeit, in der Mädchen und Jungen ein Selbstbild entwickeln sollen, ohne Störung durch das andere Geschlecht, ohne dass geschlechtsspezifisch mit dem Finger auf sie gezeigt wird, ohne dass Rollen voreingenommen vergeben werden, ein Chance ist, die vielen jungen Menschen in Deutschland leider entgeht. 

Gerade in getrennt-geschlechtlichen Gruppen können sowohl Jungen als auch Mädchen, vor allem aber die Mädchen, sich freier entfalten und ihren natürlichen Neigungen eher nachgehen. Sie können diese festigen und als Erwachsene dann selbstbewusst und mit dem Wissen um ihr Können und ihre Fähigkeiten bestens gerüstet in ein erfolgreiches Berufsleben starten.


Bezogene Studien/Veröffentlichungen:

„Undoing Gender“, Ursula Kessels, 2002

„Neues aus alten Schulen – empirische Studien in Mädchenschulen“, Leonie Herwartz-Emden, 2007

„Der kleine Unterschied“, Sabina Pauen, Miriam Schneider, 2017