Babyarm liegend

geschrieben von Taimie

„Ein Menschenwesen zeugen, die eigene Familie um ein Mitglied erweitern, das ist doch einfach. Gar kein Problem“, dachte ich. Vor allem, wenn beim ersten Mal quasi gar keine „Probezeit“ vorhanden ist, kann man doch ganz naiv (s)einen Plan schmieden: 1. Studium mit Kind beenden. 2. das Referendariat voranstellen. 3. mit der aktiven Familienplanung weitermachen.

„Lieber etwas Puffer andenken, kann ja mal drei bis fünf Monate dauern.“ Sagt man. Betrifft uns aber nicht, mein Zyklus ist sowas von on point … Aus drei bis fünf Monaten wurden sechs. „Bleib bloß entspannt!“, sagte mir meine Stimme im Kopf. Aus sechs Monaten wurden zehn. „Yes, fünf Tage überfällig!“ – „Doch nicht geblieben.“ Aus zehn Monaten wurden 14. „Vielleicht versuche ich es mal mit _____“ (man füge hier random Hilfsmittel ein)?! Aus 14 wurden 18 Monate.

Und während ich Geld für Schwangerschafts-, Frühtests, Zyklustests, Bluttests und von Influencerinnen angepriesene „Fruchtbarkeits-Nahrungsergänzungsmittel“ ausgab, meinen Zyklus im Auge behielt und mithilfe von Apps trackte, Spezialistin über die Vorgänge des weiblichen Zyklus wurde, nach dem Sex die Kerze machte, unzählige Urintests auswertete, Frühtests fotografierte und stark kontrastierte, um ganz eventuell schon den zweiten Strich zu sehen und gleichzeitig versuchte, im Kopf „entspannt“ zu bleiben, ging um mich herum der Babyboom los.

Mit jedem Scroll durch meinen Newsfeed „announcte“ ein weiteres Profil die Schwangerschaft. Das Foto des wachsenden Bauchs sprang mich nur so durch den Bildschirm an. Es schmerzte in der Bauchgegend, die noch immer leer war. Und innerhalb der achtzehn Monate wurden auch vier meiner engsten Freundinnen sowie unzählige Frauen im nahegelegenen Lebensumfeld schwanger.

Die Menschen um mich herum schienen fruchtbar und gesegnet, glücklich und leicht zu sein, während mein Herz immer schwerer und mein Kopf immer vernebelter wurde. Diese wachsenden Gedanken und Gefühle blieben leise. Aussprechen wirkte so banal. Und falsch. Davon abgesehen, dass da dieses Stechen im Herzen war, gab es diesen Zwiespalt. Ich wollte an diesem wundervollen Ereignis, dem Glück meiner Liebsten teilhaben, ich wollte ihre weiblichen Körper die neun Monate über feiern, ihre Schwangerschaft und erste Babyzeit miterleben und für sie da sein.

Aber gleichzeitig konnte ich es auch nicht wirklich aushalten. Und wenn ich rückblickend ganz ehrlich bin: konnte zu diesem Zeitpunkt auch nicht so für sie da sein, nicht die Freundin sein, die sie verdient oder gebraucht hätten. „Mein Problem“ machte mich traurig. Und hilflos. Und auch irgendwie einsam. Und ich trug es mit mir herum. Leise.

Ich fühlte mich betrogen

„Wann macht ihr eigentlich weiter? Euer Großer ist ja schon fünf!“

„Manchmal dauert es halt länger. Du bist ja gesund.“

„Vielleicht versucht ihr es einfach zu sehr.“

„Zum Glück habt ihr ja schon ein Kind.“

„Probier es mal mit XY, danach war ich direkt schwanger!“

(Gutgemeinte) Sätze, mit denen ich anderthalb Jahre in Berührung kam. Dazu die wachsenden Gedanken: „Vielleicht ist es ja mein Kopf? Vielleicht liegt es an mir? Was mache ich falsch?“ Vor Kurzem hatte ich noch einen Plan. Jetzt schien alles ganz anders. Wenn ich das eher gewusst hätte, ich hätte meine erste Schwangerschaft anders gelebt. Ich hätte mir Elternzeit genommen, die Babyzeit bewusster gelebt.

Ich fühlte mich betrogen um Erinnerungen, die ich nicht besaß und von denen ich mich wohl verabschieden musste. Ich fühlte mich betrogen von meinem Körper, der mir Monat für Monat in einem vorbildlichen 28-Tage-Zyklus zeigte, dass rein technisch gesehen alles funktionierte. Jeder Monat, an dem ich blutete, war ein erneuter Faustschlag in die Bauchgegend. Doch jeden Monat wurde wieder das Lächeln aufgesetzt. Jeden Monat war ich Körper und seinem Kopf ausgeliefert. Immer noch mehr leise als laut.

„Vielleicht soll es nicht sein?“ – Die Hoffnung sank. Wir hatten inzwischen alles ausprobiert. Nur der Gang zur Kinderwunschklinik stand noch aus. Was uns zurückhielt? Das Gefühl, dass es uns nicht zustehen würde. Künstliche Befruchtung war Menschen vorbehalten, die keine Kinder auf natürlichem Weg zeugen können. Wir konnten es doch offensichtlich. Unser Großer war der Beweis. Oder nicht?

Gab es in der Kinderwunschklinik noch andere Untersuchungen? Ich konnte mich nicht durchringen. Und mir nicht vorstellen, was dort geschehen würde. Bis mir meine beste Freundin an einem Frühlingstag von einer Bielefelder Influencerin berichtete, die auf ihrem Profil über die Bielefelder Kinderwunschklinik und ihren Weg der künstlichen Befruchtung aufklärt. Ich kannte Tina Ruthe bis dahin noch nicht, nahm mir aber den Nachmittag Zeit, saugte ihre Infos auf und vereinbarte noch am selben Tag einen Beratungstermin. Da war eine, die Ähnliches erlebte. Jemand, der laut ist. Das gab mir Mut.

Befruchtung findet nicht im Kopf statt

Die Ärzte der Kinderwunschklinik waren großartig. Sie sagten nicht: „Manchmal dauert es halt länger“, sondern fragten: „Wieso sind Sie erst jetzt hier? Man sieht Ihren Leidensdruck.“ Sie sagten nicht: „Manchmal versucht man es zu sehr, der Kopf blockiert!“, sondern: „Befruchtung findet nicht im Kopf statt. Wenn es so lange nicht funktioniert, dann hat es meistens einen Grund!“ Und noch viel wichtiger, sie gaben Hoffnung: „Folgende Schritte werden wir nun gehen…“

Sie entnahmen mir Blut, sichteten meine aufgezeichneten Daten zum Zyklus und empfahlen zwei Untersuchungen. Einen Test, um herauszufinden, wie sich die Spermien in meinem Körper verhalten würden, und eine Spülung der Eileiter. Im nächsten Schritt würde man aufgrund der ausgewerteten Ergebnisse eine künstliche Befruchtung planen. Obwohl man mir nichts versprechen konnte, war ich allein über die genannten Möglichkeiten von Dankbarkeit erfüllt. Ich fühlte mich nicht mehr ganz so ausgeliefert. Mir wurde ein wenig die verloren geglaubte Kontrolle zurückgegeben.

Ein bisschen Glitzer hilft immer

Am Tag der Untersuchung wählte ich mein Outfit mit Bedacht. Als wenn die Farbe meines Shirts Einfluss darauf hätte, ob herausgefunden würde, was stimmt (oder eben nicht). Im Wartezimmer machte ich Fotos von meinen goldenen Sandalen und schickte sie meinen Freundinnen „Ein bisschen Glitzer hilft immer!“ Und obwohl ich weiß, dass die Sandalen nichts damit zu tun hatten, verbinde ich das bisschen Glitzer jetzt mit diesem Tag. Nach der Untersuchung war klar: Meine Chancen, auf natürlichem Wege schwanger zu werden, lagen bei Null. „Mein Zervixschleim tötet die Spermien im Körper ab, ich habe eine Spermienallergie“, schickte ich anschließend in einer Voice.

Wenn ich an den Tag zurückdenke, fühle ich wieder die Leichtigkeit und das Brennen in der Brust. Ich war so dankbar über die Aussage. Und hoffnungsvoll. Mit diesem Wissen war eine Schwangerschaft durch Insemination nicht per se ausgeschlossen. Es gab einen Weg, unseren begonnenen „Plan“ von vor 22 Monaten umzusetzen. Ein Plan, der zu diesem Zeitpunkt bereits gefruchtet haben sollte. „Unser Truthahnbaby“ (wie ich es aufgrund der künstlichen Befruchtung gern genannt habe) war dank spontaner Insemination bereits dabei zu wachsen.

Ein Kind zu zeugen ist wenig planbar

Unser erstes Kind ist mit viel Liebe, wenig Gedanken oder Zeitaufwand auf natürlichem Weg entstanden. Unser zweites Kind ist mit viel Liebe, viel Gedanken, Zeitaufwand und Kosten mithilfe künstlicher Befruchtung entstanden. Ein Kind zu zeugen ist wenig planbar. Es ist nicht immer mit Leichtigkeit verbunden. Und ein Privileg. Eines, dessen ich mir zu wenig bewusst war. Das weiß ich jetzt. Ich gehe nun bedachter und lauter mit dem Thema (unerfüllter) Kinderwusch um. Vielleicht fühlt sich jemand anders dann auch ein bisschen weniger allein.