geschrieben von Alissa

Mein Name ist Alissa, 32 Jahre alt, und seit April bin ich Dreifach-Mama. Beinahe hätte ich mich dazu entschieden, Zweifach-Mama zu bleiben.

Wir planten nach unseren zwei Söhnen, damals 9 Jahre und 1 Jahr alt, uns einmal bewusst auf den Weg „Schwangerschaft“ zu begeben. Unsere Jungs hatten unser Leben ganz unbemerkt und einfach so bereichert, ohne Planung und Vorbereitung. Diesmal wollte ich den Weg ganz von vorne gehen. Mit all den Themen, mit denen ich mich vorher gar nicht befassen musste: Wie ist mein Zyklus? Bin ich schon überfällig? Hat es schon geklappt?

Ich bin tatsächlich sehr froh darüber, sagen zu können, dass es gleich im zweiten Zyklus so weit war, wir hatten es im Urlaub auch sehr darauf angelegt. Im August testete ich dann positiv und konnte es kaum glauben, ein drittes Mal würden wir dieses wunderschöne Wunder erleben. In der fünften Schwangerschaftswoche rief ich gleich meine Hebamme an, ich wusste, die sind vielbeschäftigt, und ich wollte unbedingt diese ganz bestimmte. Ich vereinbarte den ersten Termin für die zwölfte Schwangerschaftswoche und parallel machte ich einen Termin bei der Frauenärztin.

Kurze Zeit später hatte ich auch schon meinen ersten Termin, alles perfekt, das Herzchen schlug und wir würden zu Ostern 2022 dann zu fünft sein, hieß es. Aufgrund meines Alters (über 30 und weil die Geburt unseres zweiten Sohnes so dramatisch verlaufen war) riet meine Frauenärztin uns zu einem NIPT-Test, einem „Nicht-invasiven Pränataltest“, bei dem wir über eine Blutabnahme bei mir feststellen konnten, ob unser kleines Wunder ganz gesund ist. Uns wurden alle Vorteile erklärt, wie zum Beispiel das Erfahren des Geschlechts, Ausschluss einiger Trisomien, 13, 18 und 21. Eine Nackenfalten-Messung, die ebenfalls Aufschluss über eventuelle genetische Veränderungen geben konnte, wäre damit überholt und in unserem Fall völlig überflüssig.

Wir erfuhren von dem Bruder meines Mannes, dass sie ebenfalls einen NIPT-Test gemacht hatten und dies für eine wunderbare Möglichkeit hielten, um Gewissheit zu Erlangen. Nach für uns kurzer Überlegung machte ich einen Termin für die Blutabnahme, um den NIPT-Test zu machen.

In der 10. Schwangerschaftswoche war es dann so weit. Alles ging ganz einfach. Ein paar Zettel später wurde mir Blut abgenommen, ich unterschrieb alles und ging nach Hause. Mit dem sicheren Wissen, bald erfahren zu dürfen, ob wir einen dritten Jungen oder doch bald ein Mädchen in den Armen halten würden, bekam ich die letzten Worte in der Praxis nur beiläufig mit.

Gute drei Wochen später klingelte mein Telefon. Ich dachte: „Die Vorwahl kenne ich doch. Meine Frauenarzt-Praxis. Vielleicht soll ein Termin verschoben werden?“ Doch dann kam mir die Verabschiedung vom letzten Mal in den Sinn: “Wir melden uns nur dann telefonisch bei Ihnen, wenn es Auffälligkeiten beim Test gibt.“ Mir wurde angst und bange. „Hallo?“

„Hallo Frau XY, die Ergebnisse sind da und wir würden Sie bitten, morgen in die Praxis zu kommen.”

Ehrlich? Die wohl längsten 24 Stunden meines Lebens, mit dem Wissen, etwas stimmt nicht, folgten. 

Ein Tag später in der Praxis zitterte ich am ganzen Körper. Mir wurde ein Zettel überreicht.

Das Geschlecht darf man in der 13. Schwangerschaftswoche nicht nennen, aber die Testergebnisse waren auffällig! Unser Kind war krank! Es wurden keine Trisomien erkannt, aber eine Monosomie. Monosomie? Davon war nie die Rede. Was ist das überhaupt?

Mit dem Satz, dass wir uns Zuhause mal zusammensetzen sollen, wurde ich nach Hause geschickt. Keine weitere Erklärung. Nur nochmal der Hinweis, wie sicher diese Tests doch seien.

Puh … heulend rief ich meinen Freund an, kaum ein Wort brachte ich heraus. Meine Mutter sollte die Nächste sein, der ich erzählen wollte, dass meine kleine heile Welt in Schutt und Asche lag. Zuhause angekommen, weinend, fing ich an, überhaupt zu begreifen, was hier gerade wie im Film passierte. Ich zückte mein Handy, um zu erfahren, womit ich es überhaupt zu tun hatte. 

Ullrich-Turner-Syndrom. Es war also ein Mädchen! Doch dann: genetisch bedingte Erbkrankheit, Kleinwuchs, Unfruchtbarkeit, keine Pubertät, Mittelohrentzündungen, Herzfehler, rissige Gefäße, Nierenproblem, kurzer und breiter Hals, Schielen … die Liste war ellenlang. Ich fiel am tiefsten beim Lesen der Überlebenschance von … zwei Prozent. 98 Prozent der Babys sterben bis zur 32. Schwangerschaftswoche.

Spätabort? Ja? Nein? Können wir unseren anderen Kindern gerecht werden? Möchte ich das diesem kleinen Mädchen antun? Verkrafte ich den Verlust in einer späten Schwangerschaft? Angst! Stille. Ich suchte wie wild das Internet nach auch nur einem kleinen Funken Hoffnung ab. Es war immer die Rede von Mosaiken, vielleicht betraf es nicht alle Chromosomenpaare und irgendwo schwirrten noch ein Paar “X” rum.

Lange Wochen vergingen – mit der Schwangerschaft war ich noch nicht eins, keine Verbindung zwischen mir und dem Baby. Ganz ehrlich, ich wollte keine Verbindung zu einem Baby, welches ich eventuell nie lebend in den Armen halten würde. Das würde mir den Abschied erleichtern. Vorfreude war aus Angst gar keine aufgekommen. 

Doch dann der Lichtblick. Auf Instagram entdeckte ich endlich die erste Frau, welche ein Kind mit Monosomie zur Welt gebracht hatte und kein Bild von einer Beerdigung gepostet hatte. Sie machte mir Mut und wir entschieden uns FÜR unser Baby, komme, was wolle. Wir wollten die Testergebnisse durch eine Fruchtwasseruntersuchung bestätigen lassen, um Schwarz auf Weiß zu wissen, was auf uns zukommt und um uns endlich mit der Schwangerschaft zu befassen, die so überschattet gewesen war. 

Ich bekam einen Termin in der 19. Schwangerschaftswoche zur Amniozentese oder auch Fruchtwasseruntersuchung. Auch hier gab es wieder Risiken, denen wir unser Baby aussetzen mussten. Nach fünf langen Wochen, viel Liegen, um das Baby nach der Untersuchung nicht zu gefährden, kam ein Anruf aus dem Krankenhaus. Das Pränatal-Zentrum war am Apparat. Unser kleines Mädchen sei kerngesund! Keine Monosomie, keine Mosaikform, nichts. Das Ergebnis des NIPT-Tests war schlichtweg falsch. Ich war überwältigt und dennoch fühlte ich mich schlecht. Wieso hatte ich überhaupt je an unserem Baby gezweifelt? Warum hatte ich mich hinreißen lassen zu einem Test, der uns die ganze Freude an der Schwangerschaft nahm? 

Bei den Jungs hatte ich diesen Test nicht machen lassen und war wesentlich entspannter, lediglich die normalen Vorsorgeuntersuchungen. Hier war ich durch eine Hölle an Gefühlen gegangen, weil ich hoffte, mir durch diese Tests Sicherheit verschaffen zu können. Wir hatten kaum mehr ein Drittel der Schwangerschaft, um uns auf unser Baby vorzubereiten – und das alles nur wegen einer Blutabnahme und einem falschen Ergebnis. 

Verarbeitet habe ich dieses Gefühlschaos noch lange nicht, aber für mich steht fest, dass ich mehr an mich und meine Kinder glauben werde und nichts zu 100 % sicher ist. Neugier ist gut, aber manchmal sollte man auch mal innehalten und überlegen, welche Vor- und Nachteile diese Tests mit sich bringen. Wir hätten uns beinahe gegen unsere, am 14.04.2022 geborene, kerngesunde Tochter entschieden und hätten somit den größten Fehler unseres Lebens begangen. Noch jetzt bekomme ich Gänsehaut, wenn ich daran denke, dass meine Gedanken um einen Schwangerschaftsabbruch kreisten.