geschrieben von Corina und Vidhya / @allesregelbar
In dem Artikel “Die Sache mit den Worten” dreht sich alles um die Macht und Bedeutung von Wörtern und Sprache, die unter anderem das weibliche Geschlechtsteil und gesellschaftliche Umgangsformen betreffen.
Sprache ist in aller Munde. Gerechte Sprache, faire Sprache, was darf man noch sagen, was darf man nicht und was sollte man fragen. Der oder die eine mag das Ganze satthaben, doch die Bedeutsamkeit dieses Diskurses ist groß. Denn: Sprache ist Macht. Sprache kreiert Realität. Wie wir miteinander und über uns selbst reden, beeinflusst unsere Wahrnehmung und Selbstbestimmung. Wenn uns die Worte fehlen, fehlen uns Identifikation und Verständnis. Sprache ist ein Spiegel der Gesellschaft. Wen wir ansprechen und wen nicht, hat Konsequenzen. Selbst wenn es versehentlich durch eine falsche Wortwahl geschieht, können wir Menschen ausschließen. Wenn wir aber darauf bedacht sind, alle betroffenen Personen anzusprechen, verleihen wir unterschiedlichen Stimmen und Perspektiven Gehör. Dies schafft Inklusion und öffnet den Blick für verschiedene und sich teilweise überschneidende Diskriminierungsformen. Von dieser Konfrontation können wir alle profitieren.
WIESO EIGENTLICH GENDERN?
Geschlechtergerechte Sprache wird immer präsenter, hat aber leider noch nicht gänzlich Einzug in die Alltagssprache gefunden. Doch wie wichtig und effektiv sie sein kann, zeigt zum Beispiel eine Studie von 2015, in der Psycholog*innen bewiesen haben, dass junge Mädchen sich mehr zutrauten, auch Berufen nachzugehen, die traditionell männlich konnotiert sind, wenn ihnen diese Berufe in weiblicher und männlicher Form vorgestellt wurden. Bei Jungs hingegen konnte keine negative Veränderung der Selbstbeurteilung durch die Beidnennung festgestellt werden.
Das bedeutet, dass die sprachliche Repräsentation von weiblichen Personen vor allem in „Männerberufen“ zu einer mentalen Sichtbarkeit und somit Legitimation von Frauen in dieser Domäne führt. Diese Ermutigung kann zu einer Selbstverständlichkeit und zu einem Ausbrechen aus traditionellen Geschlechterrollen verhelfen, wenn Kindern bereits in jungen Jahren gezeigt wird, dass sie alles sein können: “If you can see it, you can be it.”
Wir versuchen geschlechtergerechte Sprache immer mehr in unseren Alltag einzugliedern und, wenn wir ehrlich sind, stolpern wir selbst auch noch an Stellen darüber –, aber allein der Versuch zählt schon einmal. Indem wir unseren Sprachgebrauch bewusster überdenken, ertappen wir uns immer wieder dabei, das generische Maskulinum zu benutzen, auch wenn wir in dem Moment alle Geschlechter meinen. Manch einer oder eine mag sich über ein *innen aufregen, aber ganz ehrlich, in Deutschland, dem Land der langen Wörter wie Arbeiterunfallversicherungsgesetz? Da werden wohl zwei Silben mehr oder eine Beidnennung niemandem wehtun. Und wenn dieser Sprachgebrauch bereits von der Kindheit an normalisiert wäre, gäbe es keine schwerfällige Anpassungsphase, wie wir sie derzeit erleben. Schachmatt!
HOW TO: RICHTIG BELEIDIGEN
Wenn wir sauer oder wütend sind, denken wir wohl am wenigsten darüber nach, mit welcher Art von Beleidigung wir gerade um uns werfen. Dann war dieser Typ, der den letzten freien Parkplatz vor der Nase weggeschnappt hat, halt ein Hurensohn, oder ein anderer, der an einem Abend mit den Jungs kein Bier trinken möchte, eine Pussy.
Auffallende Gemeinsamkeit: Genau, männlich gelesene Personen werden mit Worten beleidigt, die weiblich konnotiert sind. Was für ein Licht wirft das auf die gesellschaftliche Betrachtung der Frau, ihren Körper und ihre Sexualität?! Stimmt, kein Gutes, sondern ein Sexistisches! Doch es geht munter weiter, denn auf der anderen Seite werden weiblich gelesene Personen oft als Schlampe oder Fotze beschimpft. Richtig, die Bezeichnung des weiblichen Genitals gilt also als größtmöglich abwertende Beschimpfung gegen Frauen! Wenn wir den Spieß mal umdrehen, merken wir schnell, dass hier etwas gewaltig schiefläuft, oder wann habt ihr zuletzt gehört, dass jemand herablassend als Penis bezeichnet wurde?!
Besonders traurig ist es eigentlich, dass auch Frauen derartige Beleidigungen benutzen, ohne sich vielleicht darüber bewusst zu sein, dass sie damit dem Bild von Weiblichkeit schaden. Was das über den Wert von Weiblichkeit und vor allem dem der weiblichen Genitalien aussagt, ist klar: Sie sind minderwertig, schwach und dreckig. Das wir alle mal aus dieser angeblich schwachen Pussy unter Schmerzen herausgepresst wurden – wir ihr also wortwörtlich unser Leben verdanken und sie für ihre Stärke wertschätzen sollten – wird anscheinend vergessen.
Auch in Bezug auf Sex herrscht eine Doppelmoral: Eine Frau, die wann und mit wem sie will, selbstbestimmten Sex hat, wird oft als Schlampe oder Hure bezeichnet. Ein Mann, der dasselbe tut, ist ein Aufreißer, ein echter Kerl halt. Wenn wir jetzt hier noch das Fass mit der toxischen Männlichkeit aufmachen, würde das wohl den Rahmen sprengen, dennoch ein kurzer Gedanke dazu, um den Kreis zu schließen: Die herablassendste Bezeichnung für einen Mann, ist ihn mit Weiblichkeit zu versehen. Warum gilt Weiblichkeit als schwach? Warum heißt es, Frauen seien das schwache Geschlecht?
Können wir auch hier mehr auf unsere Sprache achten? Unsere Wortwahl macht einen unfassbar großen Unterschied, selbst in den Momenten, in denen wir ausfallend werden. Natürlich wünschen wir uns mehr Freundlichkeit im Umgang miteinander, aber wenn wir das nächste Mal Dampf ablassen müssen, dann sollten wir doch bitte unser Untenrum aus dem Spiel lassen … obwohl … Arschloch ist definitiv erlaubt, das ist so wunderbar genderfrei!
“NO ONE IS FREE UNTIL WE ARE ALL FREE”
Noch immer wird das Wort Feminismus fehlinterpretiert, deswegen hier noch einmal die genaue Definition: Feminismus ist nicht mehr und nicht weniger als die Überzeugung an und die Befürwortung der politischen, ökonomischen und sozialen Gleichberechtigung der Geschlechter (nach Merriam-Webster). Wir reden von Gleichberechtigung, nicht Vormachtstellung, und davon, dass alle Geschlechter denselben Wert in unserer Welt haben und auch dementsprechend behandelt werden. Und obwohl die Frauenbewegung bereits einige Errungenschaften erzielt hat, wird in den letzten Jahren immer klarer, dass vor allem weiße Frauen davon profitiert haben.
Währenddessen sind marginalisierte Personen weiterhin sowohl von Sexismus als auch weiteren Diskriminierungen wie Rassismus, Islamophobie, Klassismus oder Ableismus betroffen. Inklusion ist wichtig für den Zusammenhalt der Gesellschaft und das Bewusstsein verschiedenster Einflüsse und Unterdrückungsmechanismen, zum Vorankommen aller. Und dieses Vorankommen kann wiederum positive Einflüsse auf die gesamte Bevölkerung haben, wenn man zum Beispiel an das Aufbrechen limitierender Geschlechterrollen denkt. Solange nur ein Teil der Bewegung oder der gesamten weiblichen Bevölkerung von sozialen, politischen und wirtschaftlichen Fortschritten im Namen des Feminismus profitiert, kann nicht von wahrhaftiger Gleichberechtigung und Freiheit gesprochen werden. Unser Denken, Sprechen und Handeln sollte die Interessen aller Betroffenen im Sinn haben.
NICHT NUR FRAUEN MENSTRUIEREN
Auch rund um das Thema Menstruation und Geschlechtsorgane besteht in unserem Sprachgebrauch noch Verbesserungsbedarf. Denn was in unserem Reden über die Menstruation oft vernachlässigt wird, ist, dass nicht jede menstruierende Person eine Frau ist. Menschen, die transgender, nicht-binär oder intersexuell sind, menstruieren genauso wie Cis-Frauen. Viele von uns haben daran vielleicht noch nicht gedacht, denn es mangelt heutzutage noch an Aufklärung und Repräsentation über Identitäten, die nicht in das binäre Geschlechtersystem passen. Doch es ist gerade deswegen wichtig, diese Menschen nicht weiterhin zu ignorieren (ob bewusst oder unbewusst) und stattdessen zu inkludieren.
Cisgender: Personen, deren Geschlechtsidentität mit dem biologischen Geschlecht übereinstimmt, mit dem sie geboren bzw. welches ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde.
Transgender: Menschen, deren Geschlechtsidentität nicht ihrer zugewiesenen entspricht.
Nicht-binär: Menschen, deren Identität sich nicht über das binäre Geschlechtersystem von Mann und Frau definieren lässt.
Intersexuell: Oberbegriff für Menschen, die mit Geschlechtsteilen geboren sind, die nicht den typischen Definitionen von männlich oder weiblich entsprechen.
Das zyklische Aufkommen der Menstruation kann bei Personen, die sich dem weiblichen Geschlecht nicht zugehörig fühlen, zu einer Geschlechtsidentitätsstörung führen. Denn ihnen wird kontinuierlich vom eigenen Körper gezeigt, dass sie etwas anderes seien, als sie es für sich wissen. Und es kann sich nicht jede Person leisten, Hormone zu nehmen, um die Menstruation zu stoppen oder medizinisch das Geschlecht umzuwandeln, bzw. möchten manche dies auch nicht.
Wenn wir uns für die Enttabuisierung der Menstruation einsetzen, sollten wir darauf bedacht sein, marginalisierte Menstruierende bei diesem Ziel mit einzuschließen, auch weil sie durch ihre Normabweichung oft vielfach diskriminiert und gleichzeitig übersehen werden. Cis-Frauen haben es an vielen Stellen absolut nicht leicht, aber in Bezug auf die Menstruation nicht von Frauen und Mädchen, sondern von Menstruierenden zu sprechen, respektiert alle Zugehörigen.
WHAT ABOUT THE INTIMBEREICH?
Ein Mangel an Sprache und somit Identifikation kann zu einem Mangel an Verständnis und Zugehörigkeit führen. Wenn es um intime Körperteile geht, kann diese Sprachlosigkeit Scham gegenüber dem eigenen Körper hervorrufen. Und einmal in jungen Jahren verinnerlicht, ist es schwer, diese Unsicherheiten im Alter wieder abzuschütteln, denn das Gefühl der Isolation hindert uns daran, mit anderen offen zu sprechen.
Da hört es leider nicht auf. Denn viele Menschen nutzen unbewusst den falschen Begriff für das äußere Geschlechtsorgan: Oft ist nämlich die Rede von der Vagina, wenn eigentlich die Vulva gemeint ist. Die Vulva umfasst alle von außen sichtbaren Körperteile des Intimbereichs – und das sind einige! Dazu zählen sowohl der Venushügel, die Klitoris (zumindest ihr sichtbarer Teil), die Harnröhre, der Scheidenvorhof, die inneren und äußeren Vulvalippen als auch die Vagina bzw. ihr Eingang. Die Vagina hingegen verbindet die äußeren Geschlechtsorgane, die Vulva, mit den inneren Geschlechtsorganen über den Gebärmutterhals mit der Gebärmutter.
Nicht nur Sprache, sondern auch Wissen ist Macht. Das Bewusstsein über unsere intimsten Körperteile kann dabei helfen, unser Selbstverständnis und -bewusstsein aufzuwerten. Viele von uns hatten eine, sagen wir mal, eher limitierte Aufklärungserfahrung im Sexualkunde-Unterricht. Und wenn weder Schule noch Familie (weil es einigen noch immer zu unangenehm ist) richtig über diese Themen aufklären, wissen viele gar nicht, was sie eventuell falsch sagen oder denken. Obwohl das Thema Sex omnipräsent ist, ist es immer noch tabuisiert, über die SEXualorgane zu sprechen oder zu informieren. Diese fehlende Aufklärung kann zu Schamgefühlen über unsere Körper, Identität und Sexualität führen.
Apropos: Was hat das Wort Scham eigentlich in unserem Intimbereich verloren? Schambereich, Schamhaare und Schamlippen … Das Wort Scham und das damit verbundene Schamgefühl sollen uns kleinhalten, uns ein schlechtes Gefühl oder Gewissen geben, uns lähmen. Der Umgang mit der weiblichen Sexualität und dem weiblich gelesenen Körper wird dadurch als etwas deklariert, worüber nicht geredet werden soll. Der Begriff Vulvalippen ersetzt den negativ konnotierten Begriff der Schamlippen, denn sie gehören schließlich auch zur Vulva. Die Verwendung von voreingenommener Sprache, ob bewusst oder unbewusst, beeinflusst unsere Denkweisen und führt zu negativen Gefühlen über unseren eigenen Körper.
UNSERE ERMUTIGUNG TO GO
Zu Beginn kann es schwierig sein, zu gendern, außerhalb des binären Geschlechtersystems zu denken und Worte zu ändern, die man nie hinterfragt oder anders benutzt hat. Es kann schwierig sein, sich in die Erfahrung von anderen hineinzufühlen, wenn man diese nicht teilt. Doch all dies ist wichtig für einen respektvollen Umgang miteinander und mit uns selbst. Unsere Handlungen und Sprache reflektieren und formen unsere Wahrnehmungen und Denkweisen. Diese Macht sollte und darf nicht unterschätzt werden. Der Mangel an korrekten Bezeichnungen für weibliche Geschlechtsorgane führt zu einem andauernden Missverständnis und einer Abwertung des weiblichen Körpers und folglich von Frauen. Und im Jahre 2021… ist das einfach nur noch traurig und frustrierend, aber ehrlich gesagt auch langweilig geworden.
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Bildcredit: @allesregelbar
Quellen:
“Feminism.” In: Merriam-Webster.
Hill, Masie (2019): Period Power. Harness Your Hormones and Get Your Cycle Working For You. Green Tree
King, Martin Luther (1963): “I Have A Dream.” In: “17 Inspiring Martin Luther King Jr. Quotes”, Biography.com.
Marvel, Elizabeth: “If you can see it, you can be it.” In: Brainyquote.com.
Vervecken, D., & Hannover, B. (2015): Yes I can! Effects of gender fair job descriptions on children’s perceptions of job status, job difficulty, and vocational self-efficacy. Social Psychology, Nr. 46.
“Warum sind fiese Beleidigungen oft weiblich?” In: pinkstinks.