geschrieben von Cornelia
Um es vorwegzunehmen: Ja, man kann an der Waldorfschule Abitur machen. Durchschnittlich 47 % eines Jahrgangs legen die Abiturprüfung ab, noch einmal so viele beenden ihre Schulzeit nach 12 Jahren mit dem Realschulabschluss und haben einen Ausbildungsplatz.
Und…selbstverständlich können alle ihren Namen tanzen! Unsere Kinder (22, 19, 14) können das auch. Das haben sie in ihrer Grundschulzeit erledigt, genauso wie das Lesenlernen, Schreiben, Rechnen, Stricken, Sticken, Schnitzen, Flöten, Pflügen, Weben, Geschichtenschreiben, Gedichtelernen, Morgenspruch-Sprechen, Orchesterinstrument-Spielen usw. und so fort. Das gehört dazu, wenn man zur Waldorfschule geht und es erstaunt mich, im Übrigen mehr als meine Kinder, immer wieder, dass sie danach gefragt werden. Unsere Tochter hat beim Fußball immer sehr gut die Räume verschoben … vielleicht lag es auch an der Eurythmie.
Gemeinsam seit Tag 1
Unsere Motivation, die Kinder zur Waldorfschule zu schicken, war eher soziokultureller Natur. Als Skandinavistin und Kind einer Schwedin ist mir das skandinavische Bildungssystem sehr vertraut. In Schweden geht man neun Jahre in eine Klasse, bis man sich in verschiedenen Zweigen spezialisiert. Das fanden wir vernünftig. In der Waldorfschule geht man vom ersten bis zum letzten Schultag zusammen zur Schule. Im Abiturjahrgang unseres Sohnes sind ausnahmslos alle seit der ersten Klasse dabei, eigentlich schon seit dem Kindergarten, bis auf einen, das ist der Neue, den sie erst bei der Einschulung kennengelernt haben.
Für unsere Kinder und uns als Familie ist die Schulzeit, unsere Tochter studiert inzwischen nach einem FSJ in Italien Jura, sehr positiv, lebendig, bereichernd und geradezu schaffig (Anm. d. Red.: fleißig) gewesen. An den Waldorfschulen ist das Curriculum streng und manchmal auch dogmatisch. Wir wussten aber immer, was die Kinder erwartet, und sie sind ohne große Komplikationen durch ihre Schulzeit gegangen. Die Klassenlehrerzeit von acht Jahren fanden wir großartig, unsere Kinder hatten Glück mit ihren Lehrern.
Unser Wunsch, dass die Schule der schönste Ort für die Kinder sein soll, erfüllte sich. Rein äußerlich betrachtet war ein Klassenraum schöner gestaltet und einladender als der andere und erst später lernten wir, dass das Farbkonzept strengen Kriterien folgt. Schulisch gesehen erwarben (und erwerben) sie in dieser Lernatmosphäre Eigenverantwortlichkeit, Willensstärkung, Selbstständigkeit, soziale und intellektuelle Kompetenzen, die sie gut auf ihr Leben vorbereiten. Die Waldorfschule ist eine Gesamtschule. Unsere Kinder lernten und erfuhren wie nebenbei, dass jedes Kind ein Könner ist. Das finden wir wichtig und gut!
Waldorfschule, ein Verein
Die meisten Waldorfschulen sind einzügig, das heißt jeder kennt jeden; das ist Fluch und Segen zugleich und wenn man will, kann man Teil einer großen Erziehungsgemeinschaft werden. Wir haben als Familie viele schöne, abwechslungsreiche und auch nervtötende Zeiten erlebt. Wir werkelten gemeinsam für den Martinsmarkt, begleiteten Klassenfahrten, organisierten Orchesterreisen, drückten die Daumen bei „Jugend Musiziert“, nähten Kostüme, bauten Kulissen und lebten bei den Theaterstücken in Klasse 8 und 12 im Ausnahmezustand.
Wir organisierten Klassenfeste, backten Pizza im Holzofen, verteilten Flyer auf Messen und fuhren die Kinder zum Landwirtschaftspraktikum in den Schwarzwald. Wir diskutierten auf unzähligen Elternabenden, stritten uns im Vorstand oder beschwerten uns bei der Schulleitung. Wir entzweiten uns mit einigen und fanden Freunde fürs Leben. Manchmal war es einfach nur ermüdend und nervig … aber in welchem Verein ist das nicht so?
Krisenmanagement und Musik
Zurück zur Schulzeit unserer Kinder: Unser älterer Sohn steckt mitten im Abitur und unsere Schule ist während der Pandemie über sich hinausgewachsen. Alle Lehrer sind engagiert und bemüht und wir haben keinen Zweifel, dass es für ihn gut ausgehen wird. Unser 8-Klässler vermisst allerdings auch seine Mitschüler und es gibt viele Dinge, die fehlen: die Bewegung, das Lernen mit Kopf, Herz und Hand … also z.B. Eurythmie, Orchester, Sport, Werken, Schneidern, Theaterspielen. Wir hoffen auf die Aufführung von „Emil und die Detektive“ im Sommer, draußen!
Und noch etwas: die Waldorfschule hat uns die Tür zur Musik geöffnet. Ab Klasse 4 ist jede Klasse ein Orchester, dazu kommen das Mittelstufen- und das Oberstufenorchester. Unsere Kinder spielen Geige, Oboe und Fagott. Wir haben so viel Musik ins Haus bekommen, dass ich etwas Sorge habe, dass es sehr still wird, wenn die Kinder aus dem Haus sind. Das dauert zum Glück noch etwas und darüber sind mein Mann und ich glücklich!