Wir dachten: An dieser Schule wird unser Kind zerbrechen. Wir gingen also den schweren Weg und suchten eine neue Grundschule. Ein sehr persönlicher Bericht.

Ein Schulstart mit Hoffnungen

Unsere Stadtteilschule hat einen guten Ruf. Geringer Krankenstand, viele junge Lehrkräfte, ein frisch saniertes Schulgebäude – und sie liegt nur drei Gehminuten von unserer Wohnung entfernt. Objektiv sprach also nichts dagegen, unsere Tochter dort zur ersten Klasse anzumelden. Dennoch hatte ich ein schlechtes Gefühl. Ich wusste, dass die Schule viel Wert auf Leistung legt. Das war das Gegenteil von dem, was ich mir für mein von sich aus ehrgeiziges und sensibles Kind wünschte. Ich wollte einen Ort, an dem sie ohne Druck lernen konnte.

Freunde sagten uns: „Es steht und fällt mit der Lehrerin“. Darum versuchten wir es. Vielleicht würde ja alles gut werden, dachten wir.

Wie alles anders kam

Schon in der ersten Schulwoche holte ich ein niedergeschlagenes Kind ab. Meine Tochter sah aus, als habe man ihr einen Lebenstraum genommen. Monatelang war sie heiß auf die Schule gewesen – und dann machte es einfach gar keinen Spaß. Sie stürzte sich voller Eifer in den Lernstoff, um dann festzustellen, dass alle Inhalte immer und immer wieder geübt werden mussten und sie sich dabei unendlich langweilte. Das viele Stillsitzen und die hohen Erwartungen der Lehrerin an gutes Betragen und gespitzte Stifte raubten ihr die Kraft, denn sie wollte alles perfekt erfüllen. Meine Tochter kam jeden Tag mit Frust nach Hause. Wir dachten: Sie braucht bestimmt einfach ein bisschen.

Der Aufprall

Die ersten Herbstferien brachten etwas Entspannung. Doch der letzte Abend, bevor es wieder losging, war der Horror. Unsere Tochter krümmte sich mit Bauchschmerzen. Am nächsten Morgen waren die Schmerzen weg, aber ihr Blick war vernebelt. Sie ging mit Vorfreude auf die Freundinnen zur Schule, aber der Nebel blieb. Irgendwann konnten wir sie morgens kaum noch motivieren.

Wir stellten Überlegungen an, telefonierten mit der Klassenlehrerin und hatten das Gefühl, dass sie unser Kind gut im Blick hatte. Gemeinsam überlegten wir, was unserer Tochter helfen könnte. Sie bekam einen „Kraft-Stein“ in die Tasche und wir gaben ihr die „Erlaubnis“, auch Fehler machen zu dürfen. Ich reduzierte meine Arbeitsstunden, um mehr für sie da sein zu können.

All das half mal eine Woche, zwei Wochen. An der Grundstimmung änderte sich nichts. Nach etwa einem halben Jahr hatten wir alles versucht, doch jeden Abend sagte unsere Tochter, dass sie nicht mehr zur Schule gehen wolle. Im Unterricht strengte sie sich an, die Lehrerin war zufrieden mit ihren Leistungen, aber wir konnten förmlich dabei zusehen, wie sie emotional verkümmerte und vor allem die Lust am Lernen verlor.

Verzweiflung und eine glückliche Fügung

Es gab nicht den einen Moment, in dem wir den Schulwechsel beschlossen. Es war ein langsames Werden. Wir schauten uns wieder und wieder Webseiten anderer Schulen an. Hörten uns um. Aktivierten Kontakte. Auf freien Schulen in der Umgebung gab es meterlange Wartelisten. Wir dachten: Wenn wir nichts finden, wird unser Kind zerbrechen an all dem.

Einen Morgen werde ich nie vergessen: Schwer atmend riss sich unsere Tochter zusammen und wuchtete ihren Ranzen auf den Rücken. Als wir nebeneinander hergingen, sah ich, dass sie still weinte. Ich nahm sie an der Hand, drehte um und ging mit ihr nach Hause. Mein Kind wird nicht mehr in diese Schule gehen, sagte ich mir. Egal was, aber das werden wir nicht mehr tun.

Was dann folgte, kann ich nur als glückliche Fügung bezeichnen, und ich glaube eigentlich nicht an so etwas: Durch Zufall entdeckten wir eine Schule, auf der Kinder genauso lernten, wie es für unsere Tochter passte: projektorientiert, offen und eigenverantwortlich. Irgendetwas gab mir den inneren Impuls, einfach anzufragen – und es war tatsächlich ein Platz frei in einer ersten Klasse. 

Einen kurzen Moment des Zögerns gab es, weil die neue Schule sehr viel weiter von unserem Wohnort entfernt lag und unsere Tochter bis auf Weiteres immer mit dem Auto gebracht und geholt werden musste. In dieser Zeit diskutierten mein Mann und ich nächtelang. Wir mussten vieles aushandeln und uns erneut auf gemeinsame Werte verständigen: Was nehmen wir für das Glück unseres Kindes in Kauf? Wie stark können wir unseren Alltag einschränken? Am Ende entschieden wir uns dafür. 

In den Wochen davor, in denen ich aktiv den Schulwechsel vorantrieb, bewältigte ich wie im Autopiloten meine Arbeit und steckte emotional komplett in der Herausforderung, eine Schule zu finden. Eines Abends war meine Tochter wieder einmal völlig aufgelöst und sie schrie mich an: „Ich will da nicht mehr hingehen und du tust nichts!“ Doch genau das war der Abend, an dem ich ihr endlich sagen konnte: „Ich tue etwas. Ich habe eine Schule für dich gefunden, auf der es dir besser gehen wird. Wir brauchen nur noch die endgültige Zusage.“ Ein paar Tage später kam dann auch der erlösende Anruf.

Wann sollte man über einen Schulwechsel nachdenken?

Als valide Gründe werden meist Mobbing, Überforderung oder Krankheit genannt. Ich würde aus unserer Erfahrung heraus aber sagen: Wenn ein Kind sich weigert, in die Schule zu gehen, liegt schlicht und ergreifend ein Grund vor. Gerade jüngere Kinder können diesen vielleicht noch nicht genau benennen, aber Unwohlsein und Verweigerung abzutun, wäre fatal. Natürlich ist es schwer, herauszufinden, was die Bauchschmerzen auslöst. Ich bezeichne diese Entscheidung als eine der schwersten in meiner bisherigen Elternschaft.

Wann sollte man NICHT die Schule wechseln?

Ein Schulwechsel ist ein großer Einschnitt. Er bedeutet für die Familie große Umstellungen. Darum sollte er nicht leichtfertig angegangen werden. Gibt es Unstimmigkeiten mit Lehrkräften oder Mitschülern, solltet ihr erst einmal das Gespräch mit allen Beteiligten suchen. Oft lassen sich so Missverständnisse aus dem Weg räumen. Manchmal können Schul-Sozialpädagogen helfen. Seid ihr prinzipiell mit der Schule einverstanden, könnt ihr auch einen Wechsel in eine andere Klasse auf der gleichen Schule erwägen.

Wie läuft der Wechsel formal ab?

Das hängt von eurem Bundesland ab und davon, von und auf welche Schulform ihr wechselt. Wir gingen von einer staatlichen auf eine staatliche Schule, der Vorgang brauchte nur einen Mausklick. Voraussetzung ist aber immer, dass die Wunsch-Schule einen Platz frei hat und das Kind aufnimmt.

Grundsätzlich ist ein Wechsel in der Grundschule leichter. In höheren Klassen sollte eher zum Halb- oder Schuljahreswechsel darüber nachgedacht werden, damit Noten angerechnet werden können. Sehr viel komplizierter wird es, wenn man zum Beispiel wegen Umzugs von Bundesland zu Bundesland wechselt. Eine gute Übersicht gibt es hier.

Wie kann man einen Schulwechsel als Eltern gut begleiten?

Zum Glück hatte mir ein schlauer Mensch mal gesagt: Wenn dein Kind in die Schule kommt, wird es dich wieder so sehr brauchen wie in den ersten drei Lebensjahren. Ich war also vorbereitet und kann bestätigen: Wir Eltern waren in diesem Dreivierteljahr permanent gefordert. Wir mussten Tränen trocknen, Wut begleiten, Gespräche mit der Lehrerin führen und nicht zuletzt Nächte um Nächte über Lösungen sprechen und nachdenken.

Auch auf die Zeit nach dem Wechsel sollte man sich vorbereiten, falls das Kind ein bisschen braucht sich einzugewöhnen. Wir hatten allerdings Glück: Unsere Tochter fand sich innerhalb von wenigen Tagen problemlos in die neue Klasse ein. Sie hatte sofort Freundinnen gefunden und wurde toll aufgenommen. Wir hatten wahnsinniges Glück mit der neuen Lehrerin, mit der wir uns mehrmals wöchentlich austauschten. So einen engen Kontakt kann ich unabhängig vom Alter des Kindes dringend empfehlen – vor allem, um als Eltern beruhigt zu sein.

Was ist mein Fazit?

Obwohl es schon fast ein Jahr her ist, sprechen wir immer noch viel über den Schulwechsel. Der Vergleich mit der alten Schule kommt meiner Tochter oft in den Sinn. Oft seufzt sie dann richtig erleichtert auf. Sie kann viel besser wertschätzen, wie sie heute lernen darf.

Auch der Beziehung zwischen uns Eltern und unserer Tochter hat der Wechsel gutgetan. Sie hat gespürt, dass wir alles in unser Macht Stehende tun, wenn es ihr schlecht geht. Dass sie an erster Stelle steht und wir für sie einstehen. Diese zusammen gemeisterte Krise hat uns als Familie enger zusammengeschweißt. Und wenn wieder schwierige Situationen kommen, weiß ich: Wir haben das einmal geschafft. Wir schaffen es auch wieder.