geschrieben von Djamila
Der Umstand, dass ich in meinem Leben nur viermal einen Polylux benutzt habe und bis zu meinem Abitur 2018 mehr auf interaktiven Tafeln als auf Kreidetafeln geschrieben habe, dürfte wohl durchaus auf ein Stirnrunzeln treffen. Dabei erfährt Deutschland doch gerade hinsichtlich der Fortschrittlichkeit in Schulen so viel Kritik.
Dass ich noch nie eine Schule besucht habe, in welcher man beschmierte Toiletten, Tische oder gar kleine Rauchernischen finden konnte, scheint wohl auch der einen oder dem anderen etwas ungewöhnlich vorzukommen. Dem muss ich sogar zustimmen, denn wenn man meinen Lebenslauf betrachtet und sich meine Schullaufbahn genauer anschaut, erkennt man schnell, dass ich Schulen besuchen durfte, welche tatsächlich zum größten Teil nur für die „Elite“ erreichbar sind.
Ich war ein “Tigerkind”
Beginnend mit zarten sechs Jahren startete meine dreizehnjährige Schullaufbahn in der Montessorischule. Ich besuchte nicht die 1a, 1b oder sogar 1f … nein, ich gehörte zu der „Tigerklasse“ im „roten Flur“ und fand mich in einem gemütlichen Klassenzimmer mit vier weiteren Erstklässler*innen an Tischgruppen, bestehend aus Tischen in verschiedenen Höhen, wieder. Zuerst wurden wir gemessen und durften dann an einen Tisch gehen, der für unsere Größe passend war.
Später kamen noch die anderen „Tigerkinder“ dazu. Jeweils fünf Kinder der zweiten, dritten und vierten Klasse. Zusammen waren wir also 20 Kinder verschiedenen Alters, die von nun an gemeinsam die meiste Zeit in der Grundschule verbringen würden. Nach dem täglichen „Morgenkreis“, begann auch schon die „Freiarbeit“.
Wir hatten einen Jahresplan abzuarbeiten, der nach unserem persönlichen Lernniveau ausgerichtet war. Da ich mir schon im Kindergarten viele Basics beigebracht hatte, arbeitete ich teilweise also schon an den Aufgaben der dritten Klasse und bekam nie Langeweile.
Hörspiele und Mandalas
Ich erfuhr Schule mit allen Sinnen: schrieb Buchstaben in Sand, schüttete beim Rechnen die Perlen der Rechenapotheke hin und her, spiegelte Körper am Spiegel und hörte Hörspiele, während ich Mandalas malte. Die Materialien waren wirklich sehr anschaulich und tatsächlich stelle ich immer wieder fest, wie ich noch heute bei Rechenaufgaben in meinem Kopf Perlen hin und her schütte.
Ich konnte schon in jungen Jahren sehr selbständig und zielstrebig arbeiten und habe auch stets eine Notwendigkeit darin gesehen, mich den unschönen, schwierigen Dingen auf meinem Jahresplan diszipliniert zu widmen. Als wieder einmal einer der regelmäßigen Gottesdienste des evangelischen Schulzentrums anstand, war ich tatsächlich genervt, dass ich in meiner Arbeit gestört wurde!
Sachkunde, Kunst, Sport, Religion und die ganzen anderen Nebenfächer fanden unter Gleichaltrigen derselben Klasse statt. So trafen sich also 20 Erstklässler des „roten bzw. gelben Flurs“ in einem Raum und lernten gemeinsam oder machten zusammen Sport. Dabei erntete ich keine 5, weil ich nicht die Kletterstange heraufkam oder beim Schlagballweitwurf keine 20 Meter schaffte. Es gab auch keine Siegerehrungen nach dem Sportfest.
Landesgymnasium statt Montessori-Mittelstufe
Grundsätzlich kam mir meine Grundschulzeit sehr wertfrei vor. Erst in der 4. Klasse bekamen wir Zensuren und auch da nur in Mathe und Deutsch. Mit einem Durchschnitt von unglaublichen 1,0 war ich ein Kind von vielen, welches nach vier Jahren an ein Gymnasium wechseln durfte. Nebenan gab es ein Montessori-Gymnasium, welches ich sicherlich auch besucht hätte, wenn ich nicht in meinem Hobby, dem Fechten, eine Perspektive und meine absolute Leidenschaft gesehen hätte.
Also fand ich mich, nach einem Aufnahmetest, in der 5. Klasse auf dem Landesgymnasium für Sport wieder und erlebte schon am ersten Tag einen Kulturschock! Die Bänke und Tische standen in Reihen, ich sollte zur Begrüßung aufstehen und in einem monotonen Singsang meine Lehrer*Innen begrüßen. Herzlich Willkommen autoritärer Frontalunterricht!
Zehn Minuten nach den ersten Belehrungen und Bekanntmachungen kam auch schon die erste Drohung eines Überraschungstests, sollte in den nächsten Tagen die gleiche laute Unruhe in der Klasse herrschen. Meine Mitschüler*innen, alles begnadete Sportler*innen verschiedener Sportarten, gehörten fast ausschließlich zur oberen Mittelschicht – denn Sport ist teuer. Ausrüstungen sind dem Verschleiß unterworfen, Wettkämpfe und Startgelder werden von den Eltern gezahlt, Übernachtungen inklusive. Wenn ich ein erfolgreicher Fußballer geworden wäre, hätte ich meinen Eltern auf jeden Fall ein deutlich volleres Portemonnaie beschert.
Leistungsdruck
Das Landesgymnasium hatte das Privileg, Gelder nicht nur von der Stadt, sondern auch vom Land zu bekommen und so wurde vor und während meiner Schulzeit das Schulgebäude mit Fahrstühlen, PC-Pools, interaktiven Tafeln und Toiletten für beeinträchtigte Menschen ergänzt. Die Klassen bestanden aus 10 bis maximal 20 Schüler*innen. Somit lernte ich also wieder einmal keine überfüllten Klassenzimmer sowie Menschen aus verschiedenen sozialen Schichten kennen. Stattdessen, beste High-end-Ausstattung in den Klassenräumen, engagierte Lehrer*innen, Ernährungsberater*innen und saubere Toiletten mit funktionierenden Schlössern und Spülungen!
Das Ganze hatte jedoch seinen Preis. Wir hatten einen Job zu erledigen, der daraus bestand, den normalen Schulalltag mit überdurchschnittlich viel Training unter einen Hut zu bekommen und dabei möglichst gute Leistungen zu erzielen, um nicht von der Schule zu fliegen. Ich sah noch in der 10. Klasse Mitschüler*innen die Schule wechseln, weil sie dem sportlichen, schulischen und körperlichen Druck nicht standhielten oder bestimmte Leistungen nicht erfüllten.
Selbstdisziplin, Zielstrebigkeit und Organisation sind Tugenden, die dich an so einer Schule überleben lassen und gleichzeitig ganz stark deine Zukunft und dein späteres Arbeiten bereichern werden. Was leider in meiner Schulzeit auf der Strecke blieb: die Fähigkeit, mich außerhalb meiner schulischen und sportlichen Leistungen und Erfolge zu definieren. Grund dafür ist wahrscheinlich hauptsächlich die fehlende Freizeit.
“Was kann ich?”
Nach dem Abitur entschieden sich über die Hälfte meiner Mitschüler*innen, den Sport aufzugeben, um sich fokussiert dem Auslandsjahr, Studiengang oder der Ausbildung zu widmen. Und da war sie, die Freizeit. Spätestens nach dem Auslandsjahr wurden auch die letzten meiner Freund*innen von ihr eingeholt. Der größte Teil rutschte in ein tiefes Loch und hatte sich erstmals mit verschiedenen Fragen zu befassen: „Was kann ich?“, „Welche Hobbies interessieren mich?“ und „Wo möchte ich stehen?“ Tatsächlich musste auch durchaus die soziale Interaktion geübt werden, da man sich zeitbedingt hauptsächlich in seinen Peer Groups innerhalb des Sportgymnasiums aufgehalten hatte – Sport verbindet.
Rückblickend finde ich den sportlichen und schulischen Druck absolut bedenklich in so jungen Jahren. Nichtsdestotrotz war es für mich eine absolute Bereicherung und ein Privileg, jeden Tag fechten zu dürfen und auch für Trainingslager bzw. Wettkämpfe unproblematisch freigestellt zu werden. Das Zusammengehörigkeitsgefühl in der ganzen Schule ist der Wahnsinn, da alle Mitschüler*innen die gleiche Leidenschaft, die des Sports, teilen. In meinem jetzigen Studium und im Familienalltag stelle ich immer wieder fest, wie belastbar und stressresistent ich eigentlich bin.
Zukunftsmusik
Ob ich meinem Kind die gleiche Schullaufbahn ermöglichen würde? Ich stehe absolut hinter dem Konzept der Montessorischule, doch ich weiß, dass auch diese Schulform nicht passend sein könnte, sollte mein Kind keine Eigenmotivation sowie Selbstdisziplin mitbringen und eine führende Hand brauchen.
Die Sportschule ist nun so speziell, dass ich mich da niemals festlegen würde. Sicher ist jedoch, sollte mein Kind eine sportliche Leidenschaft und die entsprechende Motivation diese auszubauen besitzen, würde ich ihm niemals im Weg stehen.