Nele Sehrt ist nicht nur Paartherapeutin, sondern auch Sexual-, Trauma- und Suchttherapeutin. Vier oft ineinander übergehende Bereiche, die ihr dabei helfen, die vielschichtigen Sorgen und Probleme ihrer Klienten und Klientinnen zu betreuen. Seit vielen Jahren tut sie das bereits und spricht offen und locker über die Dinge, für die viele keine Worte finden. Sich selbst dabei nicht zu ernst nehmen und keinen Hehl aus Tabuthemen zu machen, gehört für Nele dazu. Ich habe mit ihr über Partnerschaft gesprochen. Darüber, was eine gute Partnerschaft ausmacht, was zwei Menschen zusammenhalten oder auseinander bringen kann und wie man eine Beziehung rettet.
Gleich zu Beginn vielleicht eine etwas plumpe Frage, aber wie sieht eine gute Partnerschaft aus?
Es ist wichtig, dass beide sich wohlfühlen und an der Beziehung interessiert sind. Dass man offen reden kann und beide respektieren, wenn man sich in andere Richtungen entwickelt und andere Meinungen hat. Und dass man den Mut hat, die Beziehung nach den eigenen Bedürfnissen zu gestalten. Dann sollte es allen gut gehen.
Mit allgemeingültigen Aussagen darüber, wie genau das geht, legt man die Zufriedenheit der eigenen Partnerschaft in andere Hände. Bedingungslose Liebe funktioniert besser, wenn man selbst lernt, die eigenen Schwächen zu respektieren. So lässt man dem oder der anderen auch meist mehr Raum, für Fehler, Schwächen und Gefühle.
Kommunikation gilt als ein Schlüssel zu einer gesunden Beziehung. Wie wichtig ist sie?
Die meisten Paare behaupten, dass sie viel miteinander kommunizieren. Aber wenn ich frage, worüber – ob über Privates und darüber, wo man gerade im Leben steht und was sie verletzt hat – dann werden sie oft still. Weil sie merken, dass sie meist über organisatorische Dinge sprechen, nicht aber über sich selbst. Ich glaube, dass es dabei hilft, Intimität aufzubauen, wenn man sich auf einer persönlichen Ebene gut unterhalten kann. Aber niemand erzählt sich wirklich alles. Ein Austausch ist daher auch nicht immer hilfreich, wenn sich der oder die eine unter Druck gesetzt fühlt, etwas zu teilen, was er oder sie nicht will.
Natürlich ist es wichtig, ein Miteinander zu haben, aber es ist auch wichtig, sich nicht in einer Beziehung zu verlieren. Wie kann man sich selbst erhalten?
In einer Beziehung gibt es immer noch ein Ich und ein Du. Um sich dessen bewusst zu bleiben, kann man sich ein paar Fragen stellen, zum Beispiel: Wie viel Verbindung brauchen wir? Wie viel Selbstständigkeit? Wie viel Raum will ich für mich und wie viel für die Partnerschaft? Spannende, aber vielleicht auch schmerzhafte Fragen, wenn die Empfindungen und Sichtweisen hier auseinandergehen. Aber nichtsdestotrotz wichtig.
Bemerkst du eine Entwicklung, dass mehr Menschen von der Norm der “traditionellen” Familie weggehen oder dafür offen sind?
Wir haben heutzutage nicht mehr die Situation, dass wir zusammen sein müssen und unbedingt eine Partnerschaft für Sicherheit und Unterhalt brauchen. Es gibt so viele alternative Lebensweisen und die richtige muss jeder Mensch für sich finden. Das ist toll und birgt viele Chancen. Aber etwas Neues auszuprobieren ist auch immer eine Überwindung.
Ab wann macht eine Paartherapie Sinn? Für viele wirkt es wie die letzte Hoffnung, aber sie kann sicher schon präventiv helfen?
Manchmal kommen Paare auch sehr spät zur Therapie. Wenn sie schon kraftlos sind und lange Frust ausgehalten haben. Dann kommen sie natürlich mit dem Wunsch, dass alles schnell wieder gut wird. Aber so einfach ist das leider oft nicht und es braucht Zeit, sowohl die eigenen Gedanken und Empfindungen als auch die des oder der anderen aufzuarbeiten.
Ich würde eine Therapie empfehlen, wenn man merkt, dass man lernen möchte, besser mit den eigenen Emotionen umzugehen und diese zu kommunizieren. Es ist ja auch ein Luxus, wenn da jemand ist, der einem dabei helfen kann, sich zu sortieren. In der Therapie ist es dann das Wichtigste, dass man sich gut aufgehoben fühlt, denn das ist eine ganz intime Situation.
Erlebst du Sex als einen großen Krisenfaktor in Beziehungen? Oder ist das gar nicht so ein Riesending, wie es angenommen wird?
Ich glaube vielmehr, dass Sexualität eine Auswirkung von anderen Konflikten ist. Wenn ich mich in der Beziehung nicht respektiert fühle oder das Gefühl habe, dass er oder sie sich nicht für mich interessiert, dann verschwindet auch meine Lust, mich (sexuell) mit ihm oder ihr zu verbinden.
Wenn ein Partner oder eine Partnerin eine gewisse Art von Sexualität haben möchte und der oder die andere sich nicht traut, etwas zu sagen, kann zum Beispiel eine Therapie helfen, die gegenseitigen Bedürfnisse zu kommunizieren.
In jede neue Beziehung bringen wir zuvor gemachte Erfahrungen oder erlebte Traumata mit. Wie kann man damit am besten umgehen?
Wir müssen ja erst einmal erkennen, wenn wir ein Muster wiederholen. Wichtig ist, auf sich zu hören und eigene Reaktionen zu respektieren. Es muss auch nicht immer alles logisch erklärt werden. Wir haben so viele Gefühle – wenn ich erst rausfinden sollte, warum ich sie fühle, setze ich mich unter Druck. Und weniger Druck tut allen Beziehungspartner*innen gut. Ich persönlich glaube auch, dass wir gar nicht drum herum kommen, zu merken, wenn wir Muster wiederholen. Da braucht man sich nicht aktiv kümmern, denn es fällt einem meist vor die Füße.
Wie stehst du zu der Aussage “Du kannst niemand anderen lieben, wenn du dich nicht selbst liebst”? Viele Menschen haben ein geringes Selbstwertgefühl oder es fällt ihnen schwer, sich selbst zu lieben. Sollte man erst an sich arbeiten oder kann eine Partnerschaft dabei helfen, das zu überwinden?
Beziehungen helfen zu heilen. Wenn eine*r in der Beziehung sicher ist und eine*r etwas unsicher, dann kann diese Sicherheit heilend sein. Wenn jemand lernt, sich fallen zu lassen und sich einem anderen Menschen zu offenbaren, ist das wie eine Liebeserklärung. Wir können nur Vertrauen entwickeln, wenn wir unsere Verletzlichkeit zeigen und das Risiko eingehen, verletzt zu werden. Es ist also hilfreich für eine Beziehung, wenn man sich gut um sich selbst kümmern kann. Denn andererseits kann eine Unsicherheit aber auch überschwappen und die Beziehung belasten. Das weiß man erst, wenn man es versucht.
“Nicht wütend schlafen gehen” ist so ein typischer Ratschlag. Stimmst du zu? Oder kann es helfen, einen Streit zu “pausieren” und mit neuer Energie weiterzumachen? Anders gefragt: Wie streitet man richtig?
In Streits geht es ja meist nicht darum, die Beziehung aufzugeben, sondern ein Verhalten aufzugeben. Und das muss jede*r für sich gucken. Äußerliche Gründe und Stress können Streits zusätzlich beeinflussen. Beim Schlafengehen kann man auch fragen: Was für ein Denken steckt dahinter? Wer nach einem Streit sofort schlafen kann, hat vielleicht ein gutes Vertrauen in die Beziehung und kann den Streit loslassen, weil er oder sie weiß, wir kriegen das hin.
Gibt es deinen Erfahrungen nach einen Punkt, an dem es kein Zurück gibt, oder glaubst du, dass jede Beziehung gerettet werden kann? Wann ist es Zeit, loszulassen?
Eine Beziehung ist immer auch ein Geben und Nehmen, Aufwand und Ertrag. Sowohl für den Partner oder die Partnerin und sich selbst. Und wenn ich weniger zurückbekomme als ich gebe und damit nicht glücklich bin, dann muss eine Lösung her. Wenn ich die selbst nicht sehe, kann zum Beispiel eine Therapie helfen. Denn häufig schafft man es nicht alleine da raus.
Die Auseinandersetzung mit Themen wie Loslassen und Fremdbestimmung sind da sehr wichtig – ob die Beziehung weiterbesteht oder nicht. Loslassen von Denkmustern und Strukturen, sowie Loslassen von Gefühlen und auch Menschen.
Natürlich gibt es auch Beziehungen, die – in Bezug auf die psychische und physische Unversehrtheit – so ungesund sind, dass es mehr Sinn macht, sich zu trennen, als zu bleiben. Aber auch da ist es oft schwierig, sich zu trennen. Da kann es sehr hilfreich sein, sich zu öffnen und mit jemandem darüber zu sprechen – auch wenn es schwer fällt.
Letztes Jahr hast du dein Buch “Liebe passiert, Beziehung ist Arbeit” herausgebracht. Magst du etwas zur Bedeutung des Titels sagen?
Beziehungen sind einfach mit die größte Herausforderung, die wir Menschen haben. Mit anderen Menschen umzugehen ist schwierig, denn wir haben alle andere Meinungen und Vorstellungen. Je enger ich mit jemanden verbunden bin, desto intensiver wird das. Diese “Arbeit” kann einen auch zu sich selbst führen. Denn wenn Konflikte entstehen, bekommt man die Chance, zu erkennen, was einem selbst und dem oder der anderen wichtig ist. So können Konflikte eine Reflexion für die Beziehung sein, in welche Richtung die Bindung nicht gehen sollte.
Aufklärungsarbeit hilft, das Stigma rund um Therapie aufzulösen, aber es besteht noch. Daher meine letzte Frage: Was würdest du Menschen mitgeben, die Therapie verurteilen?
Viele denken noch immer, dass man “kaputt” sei und geheilt werden muss. So ist es nicht. Die Klient*innen entscheiden, was besprochen wird und wo er oder sie hin möchte. Es geht darum, dass Menschen lernen, auf sich selbst zu hören, die eigenen Gefühle richtig zu interpretieren und zu kommunizieren. Therapie ist nicht fremdbestimmt, sondern selbstbestimmt.
Mehr von Nele und ihrer Arbeit, findet ihr hier auf ihrer Webseite und hier auf ihrem Instagram-Profil.