geschrieben von Heidi
Von Bekannten zu Freunden
Martin und ich kennen uns eigentlich schon immer. Wir kommen beide aus einem kleinen 2000-Seelen-Dorf mit nur einem Kindergarten, einer Volksschule, einer Musikkapelle. So richtig miteinander zu tun hatten wir aber erst, als wir beide dasselbe Instrument lernten und denselben Lehrer hatten. Verstanden haben wir uns von Anfang an gut. Mit 14 Jahren habe ich angefangen, abends ab und zu auszugehen. Da wir eh nicht weit gehen konnten, hat es meine Mutter relativ früh erlaubt.
Martin und ich waren auch in derselben Clique. Zusammengekommen bin ich aber mit dem besten Freund von Martin. Unsere Freundschaft wurde dennoch immer enger. Er war ein Jahr älter als ich und als ich später auf dieselbe Hochschule kam wie er, saßen wir auch im Bus immer zusammen oder hingen auf dem Pausenhof zusammen ab. Meinem Freund hat es nix ausgemacht. Er arbeitete schon und hatte für „Schulkram“ nicht viel übrig. Außerdem waren wir ja wirklich nur Freunde.
Unsere Gespräche wurden immer tiefer. Wir waren Teenies und mitten in der Pubertät. Er Mann, ich Frau – und nicht ineinander verliebt. Wir mussten uns nichts beweisen und auch für nichts schämen. So haben wir über alles gesprochen. Schulängste, Streits zu Hause, Beziehungsprobleme, aber auch über die Veränderungen in unseren Körpern, über neue Gelüste, feuchte Träume, Selbstbefriedigung und unsere ersten Male. Ich habe alles aus der Sicht eines Jungen erfahren und er aus Mädchensicht. Ich denke, ich habe auch etwas Anteil daran, dass er bald umschwärmter Mädchenheld wurde. Er wusste, worauf viele Mädchen stehen und wurde zum Frauenversteher.
Etwas verändert sich
So ging das fast vier Jahre. Ich war immer in einer festen Beziehung und Martin hatte kürzere und längere Geschichten. Nicht alle seine Frauen konnten mit unserer Freundschaft umgehen. Er hat aber immer zu mir gestanden. Dann kam sein Abschlussjahr und mir graute schon vor der Zeit ohne ihn an der Schule.
Ich kann heute nicht mehr sagen, wann und wie es passiert ist. Es war wahrscheinlich schon ein schleichender Prozess. Aber irgendwann gab es den Tag, wo wir uns anschauten und mein Herz hat Purzelbäume geschlagen. Ich wollte ihn nur noch küssen und ihm ging es ähnlich. Wir waren ehrlich zueinander. Ich weiß noch, wie ich ihm sagte, dass es unmöglich sei, ich aber dennoch in ihn verliebt wäre. Er hat mich umarmt und ich habe geweint. Er vielleicht auch.
Geheime Beziehung
Von meinem Freund trennte ich mich ….. Wir hatten uns schon lange auseinandergelebt und es war keine große Sache. Vier Jahre waren zwar eine lange Zeit, aber es passte schon länger nicht mehr. Zusammenkommen konnten Martin und ich dennoch nicht. Das Dorf war zu klein. Wir wollten niemanden verletzen und auch das Getratsche war uns damals zu viel. Heute, 20 Jahre später muss ich fast lachen über unsere Sorgen von damals.
Getroffen haben wir uns trotzdem. Vor unserer Clique waren wir weiterhin beste Freunde. Aber wenn wir alleine waren, haben wir geredet, geschmust und konnten die Finger nicht voneinander lassen. Martin wusste alles von mir. Auch in puncto Sex waren wir immer offen miteinander. Wir kannten unsere Fantasien und unsere Ängste. Zusammen konnten wir nun alles ausleben. Wir waren jung und auch unerfahren. Aber bis heute muss ich sagen, es war der tabuloseste und beste Sex, den man sich vorstellen kann. Aber nicht nur. Von Martin bekam ich die schönsten und romantischsten Liebesbriefe ever. Handgeschrieben. Ich habe sie heute noch in einem Karton im Schrank. Wir waren wahnsinnig verliebt. Hatten aber beide nie den Mut, zu unserer Beziehung zu stehen.
Tja und nach einem Jahr ging Martin für das Studium nach Graz. Ich hatte noch mein Abschlussjahr vor mir. Skype war unsere Rettung. Telefonsex haben wir auch gelernt. Aber ich vermisste meinen besten Freund. Die Schulter zum Anlehen. Wir haben uns besucht, aber so schleichend haben wir uns auch wieder mehr der Außenwelt gewidmet. Fast drei Jahre ging das so.
Die Zeit vergeht
Dann kam der Tag, an dem mir Martin sagte, er habe sich verliebt. Es war nicht so schlimm wie erwartet. Vielleicht wussten wir beide, dass wir keine Zukunft als Paar haben würden?
Die erste Zeit danach hörten wir wenig voneinander. Dann fing es wieder mit kurzen SMS an und wir telefonierten auch bald wieder regelmäßig. Beide hatten wir Beziehungen, kürzere und längere und zwischen uns war wieder die alte Vertrautheit und Freundschaft da, als ob es nie etwas anderes gewesen war. Wir telefonierten mal öfters, dann wieder einige Zeit nicht, aber wenn wir uns hörten, war es, als ob nur wenige Tage dazwischen gewesen wären. Ich wechselte von Wien nach Innsbruck und zurück nach Südtirol. Wir trafen uns, redeten und wussten wieder ziemlich alles voneinander. Vor drei Jahren schrieben wir uns, dass wir telefonieren müssten. Und zeitgleich erzählten wir uns freudig, dass wir Eltern werden.
Wir sind mittlerweile beide Mitte 30. Nun teilen wir außer Sexfantasien, Geldsorgen und Beziehungsproblemen auch noch Erziehungstipps und Kinderfotos miteinander. Unsere Partner wissen von unserer Freundschaft und unsere Kinder haben sich schon kennengelernt. Uns trennen mittlerweile über 800 Kilometer, aber ich weiß, er ist immer für mich da. Und das ist ein schönes Gefühl.
Was wäre wenn…?
Bis ich selbst in einer ernsthaften Beziehung war, habe ich mich ganz oft gefragt, was passiert wäre, wenn wir uns getraut hätten. Ich habe mir oft Vorwürfe gemacht, ob vielleicht ich mutiger sein hätte sollen. In meiner Vorstellung war er dann der absolute Traummann. Liebevoll, verständnisvoll, gutaussehend, lustig, gut im Bett. Klar, wir hatten eigentlich auch nur gute Zeiten miteinander. Streit gab es nie. Aber wir mussten uns auch nie einem Alltag stellen. Hätten wir uns damals getraut, glaube ich nicht, dass wir noch zusammen wären. Ihn hat es immer in die Stadt gezogen. Weg vom kleinen, engen Südtirol, raus in die Freiheit. Party, Action und Neues hat ihn schon früh gelockt. Ich bin nach Wien, wo es mir schnell zu anonym und zu groß war, auch Innsbruck war nicht meine Welt, ich fühlte mich verloren.
Ich wollte nach Hause und möchte auch jetzt nicht mehr weg. Wären wir zusammengeblieben, hätte einer von uns nachgeben müssen und egal wer, wir wären beide unglücklich geworden. Denn er braucht die Stadt, die Anonymität, Essen gehen, Kino und so weiter. Und ich wäre draufgegangen in der Stadt. Irgendwann hätten wir uns getrennt und ich weiß nicht, ob unsere Freundschaft das überstanden hätte. Denn dann hätten wir Alltag zusammengehabt. Ein gemeinsames Leben, Erinnerungen. Und immer die Schmerzen. Um eine Beziehung zu verarbeiten, braucht es Abstand und der hätte uns wahrscheinlich die Freundschaft gekostet.
Es ist gut so, wie es ist
Deshalb bin ich froh, dass wir uns nicht getraut haben, und ich glaube, es war uns auch so bestimmt. Wir sind Seelenverwandte. Heute habe ich einen besten Freund, dem ich immer noch alles anvertrauen kann. Der alles von mir weiß und der mir auch mal eine unschöne Wahrheit ins Gesicht sagt. Habe ich Probleme in meiner Beziehung, hilft er mir ganz oft, indem er mir auch die Sicht eines Mannes erklärt. Somit profitiert sogar mein Partner von unserer Freundschaft.
Eifersüchtig war er nur am Anfang, da er nicht glauben konnte, dass es eine Freundschaft zwischen Mann und Frau wirklich gibt. Mittlerweile kennt er auch ihn und unsere Geschichte und hat uns auch schon zusammen erlebt. Eifersucht gibt es keine mehr. Ab und zu, wenn ich ein Thema anschneide dass mich beschäftigt, sagt er sogar, ob ich nicht lieber mit Martin darüber reden möchte.